F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.eigen ist. Ein Etwas in seinem Wesen, in seinem Lächeln verrieth es mir und verdroß mich unbeschreiblich. Nicht, daß ich jemals verleugnen würde, was empfunden zu haben natürlich war, aber es ist schmerzlich, auf solche Weise daran erinnert werden. Herr von Steinberg befand sich auf dem Wege nach Wien, wo er einige Monate zu verweilen denkt, und schied mit dem Versprechen, bei der Rückkehr von dort uns wieder aufsuchen zu wollen. Nachdem er Abschied genommen, begab ich mich mit Sophie in den Garten. Es war ein wunderschöner Abend, wir setzten uns an das Geländer, welches den Garten vom Strome trennt, und Sophie blickte lange nachdenkend in die silberhelle Flut hinab. Wie seltsam, sagte sie nach einer Weile, fühle ich mich immer durch diese weiche, laue, schmeichelnde Luft beruhigt. Es ist, als ob sie mit ihrem magischen Einflusse bis tief in meine Seele dränge und jeden unruhigen Gedanken daraus hinweg zauberte. Von Allem, was in mir vorgeht, wüßte ich keine Rechenschaft abzulegen, es ist Friede, Sehnen, gedankenloses Denken und Träumen. Bei dem klaren Erwachen aus solchem Sinnen ist R. mein erster Gedanke, weßhalb ich denn auch annehmen möchte, daß meine ganze Seele in solchen Augenblicken, mir selber unbewußt, bei ihm weile. O könnten solche Friedensgefühle auch Ruhe in sein Inneres hauchen! Zwischen uns findet, wie verschieden wir auch sein mögen, eine seltsame Gleichheit der Em- eigen ist. Ein Etwas in seinem Wesen, in seinem Lächeln verrieth es mir und verdroß mich unbeschreiblich. Nicht, daß ich jemals verleugnen würde, was empfunden zu haben natürlich war, aber es ist schmerzlich, auf solche Weise daran erinnert werden. Herr von Steinberg befand sich auf dem Wege nach Wien, wo er einige Monate zu verweilen denkt, und schied mit dem Versprechen, bei der Rückkehr von dort uns wieder aufsuchen zu wollen. Nachdem er Abschied genommen, begab ich mich mit Sophie in den Garten. Es war ein wunderschöner Abend, wir setzten uns an das Geländer, welches den Garten vom Strome trennt, und Sophie blickte lange nachdenkend in die silberhelle Flut hinab. Wie seltsam, sagte sie nach einer Weile, fühle ich mich immer durch diese weiche, laue, schmeichelnde Luft beruhigt. Es ist, als ob sie mit ihrem magischen Einflusse bis tief in meine Seele dränge und jeden unruhigen Gedanken daraus hinweg zauberte. Von Allem, was in mir vorgeht, wüßte ich keine Rechenschaft abzulegen, es ist Friede, Sehnen, gedankenloses Denken und Träumen. Bei dem klaren Erwachen aus solchem Sinnen ist R. mein erster Gedanke, weßhalb ich denn auch annehmen möchte, daß meine ganze Seele in solchen Augenblicken, mir selber unbewußt, bei ihm weile. O könnten solche Friedensgefühle auch Ruhe in sein Inneres hauchen! Zwischen uns findet, wie verschieden wir auch sein mögen, eine seltsame Gleichheit der Em- <TEI> <text> <body> <div type="letter"> <p><pb facs="#f0060"/> eigen ist. Ein Etwas in seinem Wesen, in seinem Lächeln verrieth es mir und verdroß mich unbeschreiblich. Nicht, daß ich jemals verleugnen würde, was empfunden zu haben natürlich war, aber es ist schmerzlich, auf solche Weise daran erinnert werden. Herr von Steinberg befand sich auf dem Wege nach Wien, wo er einige Monate zu verweilen denkt, und schied mit dem Versprechen, bei der Rückkehr von dort uns wieder aufsuchen zu wollen.</p><lb/> <p>Nachdem er Abschied genommen, begab ich mich mit Sophie in den Garten. Es war ein wunderschöner Abend, wir setzten uns an das Geländer, welches den Garten vom Strome trennt, und Sophie blickte lange nachdenkend in die silberhelle Flut hinab. Wie seltsam, sagte sie nach einer Weile, fühle ich mich immer durch diese weiche, laue, schmeichelnde Luft beruhigt. Es ist, als ob sie mit ihrem magischen Einflusse bis tief in meine Seele dränge und jeden unruhigen Gedanken daraus hinweg zauberte. Von Allem, was in mir vorgeht, wüßte ich keine Rechenschaft abzulegen, es ist Friede, Sehnen, gedankenloses Denken und Träumen. Bei dem klaren Erwachen aus solchem Sinnen ist R. mein erster Gedanke, weßhalb ich denn auch annehmen möchte, daß meine ganze Seele in solchen Augenblicken, mir selber unbewußt, bei ihm weile. O könnten solche Friedensgefühle auch Ruhe in sein Inneres hauchen! Zwischen uns findet, wie verschieden wir auch sein mögen, eine seltsame Gleichheit der Em-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0060]
eigen ist. Ein Etwas in seinem Wesen, in seinem Lächeln verrieth es mir und verdroß mich unbeschreiblich. Nicht, daß ich jemals verleugnen würde, was empfunden zu haben natürlich war, aber es ist schmerzlich, auf solche Weise daran erinnert werden. Herr von Steinberg befand sich auf dem Wege nach Wien, wo er einige Monate zu verweilen denkt, und schied mit dem Versprechen, bei der Rückkehr von dort uns wieder aufsuchen zu wollen.
Nachdem er Abschied genommen, begab ich mich mit Sophie in den Garten. Es war ein wunderschöner Abend, wir setzten uns an das Geländer, welches den Garten vom Strome trennt, und Sophie blickte lange nachdenkend in die silberhelle Flut hinab. Wie seltsam, sagte sie nach einer Weile, fühle ich mich immer durch diese weiche, laue, schmeichelnde Luft beruhigt. Es ist, als ob sie mit ihrem magischen Einflusse bis tief in meine Seele dränge und jeden unruhigen Gedanken daraus hinweg zauberte. Von Allem, was in mir vorgeht, wüßte ich keine Rechenschaft abzulegen, es ist Friede, Sehnen, gedankenloses Denken und Träumen. Bei dem klaren Erwachen aus solchem Sinnen ist R. mein erster Gedanke, weßhalb ich denn auch annehmen möchte, daß meine ganze Seele in solchen Augenblicken, mir selber unbewußt, bei ihm weile. O könnten solche Friedensgefühle auch Ruhe in sein Inneres hauchen! Zwischen uns findet, wie verschieden wir auch sein mögen, eine seltsame Gleichheit der Em-
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