F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Vater, sage Allen von mir, was dich gut dünkt. Dir aber soll, darf nie ein Anderer sagen als ich, daß du ihm das Liebste auf Erden bist. -- Emmy an Charlotte. Seit ich dir zuletzt schrieb, was, zu meiner Beschämung gestehe ich, lange her ist, hat Sophie einen Brief von R. bekommen. Nachdem sie ihn gelesen, schloß sie mich in ihre Arme und sagte liebreich: Du hast längst errathen, daß ich durch ein festes Versprechen R. angehöre. Auf seinen Wunsch schweige ich darüber, er -- ach Emmy! was soll ich dir sagen? Du kennst ihn, man muß Alles wollen, was er will, wenn man ihn lieb hat. Die Furcht, mein Vater werde ein größeres Ansehen über ihn geltend machen, kann wohl die Hauptursache eines Verlangens gewesen sein, welches für mich quälend und drückend ist. Mir scheint, auf dieser Liebe könne unter solchen Verhältnissen kein Segen ruhen. -- Danke Gott, liebste Emmy, daß du nie ein Glück hast kennen lernen, wie meines ist. Kenntest du nur den kleinsten Theil der Qualen, die mein Herz zerrissen haben, du würdest denken, es sei zu theuer erkauft. Nur in der Ruhe liegt Glück. Wann habe ich diese empfunden? -- Wann bin ich zu dem Bewußtsein gelangt, dieses Herz ganz zu erfüllen, zu befriedigen, zu beglücken, welches alle Ansprüche macht und so wenig dafür aus seinem unerschöpflichen Reichthume spendet? Vater, sage Allen von mir, was dich gut dünkt. Dir aber soll, darf nie ein Anderer sagen als ich, daß du ihm das Liebste auf Erden bist. — Emmy an Charlotte. Seit ich dir zuletzt schrieb, was, zu meiner Beschämung gestehe ich, lange her ist, hat Sophie einen Brief von R. bekommen. Nachdem sie ihn gelesen, schloß sie mich in ihre Arme und sagte liebreich: Du hast längst errathen, daß ich durch ein festes Versprechen R. angehöre. Auf seinen Wunsch schweige ich darüber, er — ach Emmy! was soll ich dir sagen? Du kennst ihn, man muß Alles wollen, was er will, wenn man ihn lieb hat. Die Furcht, mein Vater werde ein größeres Ansehen über ihn geltend machen, kann wohl die Hauptursache eines Verlangens gewesen sein, welches für mich quälend und drückend ist. Mir scheint, auf dieser Liebe könne unter solchen Verhältnissen kein Segen ruhen. — Danke Gott, liebste Emmy, daß du nie ein Glück hast kennen lernen, wie meines ist. Kenntest du nur den kleinsten Theil der Qualen, die mein Herz zerrissen haben, du würdest denken, es sei zu theuer erkauft. Nur in der Ruhe liegt Glück. Wann habe ich diese empfunden? — Wann bin ich zu dem Bewußtsein gelangt, dieses Herz ganz zu erfüllen, zu befriedigen, zu beglücken, welches alle Ansprüche macht und so wenig dafür aus seinem unerschöpflichen Reichthume spendet? <TEI> <text> <body> <div type="letter"> <p><pb facs="#f0053"/> Vater, sage Allen von mir, was dich gut dünkt. Dir aber soll, darf nie ein Anderer sagen als ich, daß du ihm das Liebste auf Erden bist. — </p><lb/> </div> <div type="letter"> <head>Emmy an Charlotte.</head> <p>Seit ich dir zuletzt schrieb, was, zu meiner Beschämung gestehe ich, lange her ist, hat Sophie einen Brief von R. bekommen. Nachdem sie ihn gelesen, schloß sie mich in ihre Arme und sagte liebreich: Du hast längst errathen, daß ich durch ein festes Versprechen R. angehöre. Auf seinen Wunsch schweige ich darüber, er — ach Emmy! was soll ich dir sagen? Du kennst ihn, man muß Alles wollen, was er will, wenn man ihn lieb hat. Die Furcht, mein Vater werde ein größeres Ansehen über ihn geltend machen, kann wohl die Hauptursache eines Verlangens gewesen sein, welches für mich quälend und drückend ist. Mir scheint, auf dieser Liebe könne unter solchen Verhältnissen kein Segen ruhen. — Danke Gott, liebste Emmy, daß du nie ein Glück hast kennen lernen, wie meines ist. Kenntest du nur den kleinsten Theil der Qualen, die mein Herz zerrissen haben, du würdest denken, es sei zu theuer erkauft. Nur in der Ruhe liegt Glück. Wann habe ich diese empfunden? — Wann bin ich zu dem Bewußtsein gelangt, dieses Herz ganz zu erfüllen, zu befriedigen, zu beglücken, welches alle Ansprüche macht und so wenig dafür aus seinem unerschöpflichen Reichthume spendet?<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0053]
Vater, sage Allen von mir, was dich gut dünkt. Dir aber soll, darf nie ein Anderer sagen als ich, daß du ihm das Liebste auf Erden bist. —
Emmy an Charlotte. Seit ich dir zuletzt schrieb, was, zu meiner Beschämung gestehe ich, lange her ist, hat Sophie einen Brief von R. bekommen. Nachdem sie ihn gelesen, schloß sie mich in ihre Arme und sagte liebreich: Du hast längst errathen, daß ich durch ein festes Versprechen R. angehöre. Auf seinen Wunsch schweige ich darüber, er — ach Emmy! was soll ich dir sagen? Du kennst ihn, man muß Alles wollen, was er will, wenn man ihn lieb hat. Die Furcht, mein Vater werde ein größeres Ansehen über ihn geltend machen, kann wohl die Hauptursache eines Verlangens gewesen sein, welches für mich quälend und drückend ist. Mir scheint, auf dieser Liebe könne unter solchen Verhältnissen kein Segen ruhen. — Danke Gott, liebste Emmy, daß du nie ein Glück hast kennen lernen, wie meines ist. Kenntest du nur den kleinsten Theil der Qualen, die mein Herz zerrissen haben, du würdest denken, es sei zu theuer erkauft. Nur in der Ruhe liegt Glück. Wann habe ich diese empfunden? — Wann bin ich zu dem Bewußtsein gelangt, dieses Herz ganz zu erfüllen, zu befriedigen, zu beglücken, welches alle Ansprüche macht und so wenig dafür aus seinem unerschöpflichen Reichthume spendet?
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Zitationshilfe: | F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_selbstsucht_1910/53>, abgerufen am 16.02.2025. |