F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Jetzt, eben jetzt, verläßt sein Fuß den deutschen Boden, aber sein Herz bleibt zurück; seine rastlose Unruhe treibt ihn vorwärts; einst wird er wiederkehren, beruhigt, aufgeklärter, veredelter, und Alles gut machen! -- Flüsterte kein Hauch, kein Bote der Luft, kein Engel es dir zu? -- O meine Sophie, so höre es jetzt von mir, und glaube daran. -- Am Nachmittage stieg am fernen Horizont ein Gewitter auf, leuchtende Blitze durchkreuzten die Wolken; das dumpfe Rollen des Donners war aus der Ferne vernehmbar, die Wellen des Flusses stiegen wie empört und murmelnd in die Höhe. Mich entzückte der Anblick; einzelne Lichtstreifen hoben in schräger Richtung das Grün der Ufer hervor, in wundervoller Beleuchtung. Unzählige Fischerkähne strebten mit ihren aufgespannten Segeln, leichten Wasservögeln gleich, in ängstlicher Hast die hannöversche Küste zu gewinnen. Zahlreiche Möven, diese Vögel des Ungewitters, hoben sich kreischend, flügelschlagend empor, und verloren sich gegen die dunkeln Wolken gleich Silberpunkten in unabsehbare Ferne. Mit einbrechender Dämmerung erreichten wir das Meer. Alles war in die Kajüten hinabgegangen, ich blieb allein auf dem Verdecke in beglückender, erwünschter Einsamkeit. Das Fahrzeug bewegte sich stärker, aber gleichmäßig, von den majestätischen Wellen des Meeres getragen. Die Luft war unendlich mild, sanft schlug der Regen mir ins Gesicht, strich der Nachtwind mir das Haar von der Stirne. Jetzt, eben jetzt, verläßt sein Fuß den deutschen Boden, aber sein Herz bleibt zurück; seine rastlose Unruhe treibt ihn vorwärts; einst wird er wiederkehren, beruhigt, aufgeklärter, veredelter, und Alles gut machen! — Flüsterte kein Hauch, kein Bote der Luft, kein Engel es dir zu? — O meine Sophie, so höre es jetzt von mir, und glaube daran. — Am Nachmittage stieg am fernen Horizont ein Gewitter auf, leuchtende Blitze durchkreuzten die Wolken; das dumpfe Rollen des Donners war aus der Ferne vernehmbar, die Wellen des Flusses stiegen wie empört und murmelnd in die Höhe. Mich entzückte der Anblick; einzelne Lichtstreifen hoben in schräger Richtung das Grün der Ufer hervor, in wundervoller Beleuchtung. Unzählige Fischerkähne strebten mit ihren aufgespannten Segeln, leichten Wasservögeln gleich, in ängstlicher Hast die hannöversche Küste zu gewinnen. Zahlreiche Möven, diese Vögel des Ungewitters, hoben sich kreischend, flügelschlagend empor, und verloren sich gegen die dunkeln Wolken gleich Silberpunkten in unabsehbare Ferne. Mit einbrechender Dämmerung erreichten wir das Meer. Alles war in die Kajüten hinabgegangen, ich blieb allein auf dem Verdecke in beglückender, erwünschter Einsamkeit. Das Fahrzeug bewegte sich stärker, aber gleichmäßig, von den majestätischen Wellen des Meeres getragen. Die Luft war unendlich mild, sanft schlug der Regen mir ins Gesicht, strich der Nachtwind mir das Haar von der Stirne. <TEI> <text> <body> <div type="letter"> <p><pb facs="#f0051"/> Jetzt, eben jetzt, verläßt sein Fuß den deutschen Boden, aber sein Herz bleibt zurück; seine rastlose Unruhe treibt ihn vorwärts; einst wird er wiederkehren, beruhigt, aufgeklärter, veredelter, und Alles gut machen! — Flüsterte kein Hauch, kein Bote der Luft, kein Engel es dir zu? — O meine Sophie, so höre es jetzt von mir, und glaube daran. — </p><lb/> <p>Am Nachmittage stieg am fernen Horizont ein Gewitter auf, leuchtende Blitze durchkreuzten die Wolken; das dumpfe Rollen des Donners war aus der Ferne vernehmbar, die Wellen des Flusses stiegen wie empört und murmelnd in die Höhe. Mich entzückte der Anblick; einzelne Lichtstreifen hoben in schräger Richtung das Grün der Ufer hervor, in wundervoller Beleuchtung. Unzählige Fischerkähne strebten mit ihren aufgespannten Segeln, leichten Wasservögeln gleich, in ängstlicher Hast die hannöversche Küste zu gewinnen. Zahlreiche Möven, diese Vögel des Ungewitters, hoben sich kreischend, flügelschlagend empor, und verloren sich gegen die dunkeln Wolken gleich Silberpunkten in unabsehbare Ferne. Mit einbrechender Dämmerung erreichten wir das Meer. Alles war in die Kajüten hinabgegangen, ich blieb allein auf dem Verdecke in beglückender, erwünschter Einsamkeit. Das Fahrzeug bewegte sich stärker, aber gleichmäßig, von den majestätischen Wellen des Meeres getragen. Die Luft war unendlich mild, sanft schlug der Regen mir ins Gesicht, strich der Nachtwind mir das Haar von der Stirne.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0051]
Jetzt, eben jetzt, verläßt sein Fuß den deutschen Boden, aber sein Herz bleibt zurück; seine rastlose Unruhe treibt ihn vorwärts; einst wird er wiederkehren, beruhigt, aufgeklärter, veredelter, und Alles gut machen! — Flüsterte kein Hauch, kein Bote der Luft, kein Engel es dir zu? — O meine Sophie, so höre es jetzt von mir, und glaube daran. —
Am Nachmittage stieg am fernen Horizont ein Gewitter auf, leuchtende Blitze durchkreuzten die Wolken; das dumpfe Rollen des Donners war aus der Ferne vernehmbar, die Wellen des Flusses stiegen wie empört und murmelnd in die Höhe. Mich entzückte der Anblick; einzelne Lichtstreifen hoben in schräger Richtung das Grün der Ufer hervor, in wundervoller Beleuchtung. Unzählige Fischerkähne strebten mit ihren aufgespannten Segeln, leichten Wasservögeln gleich, in ängstlicher Hast die hannöversche Küste zu gewinnen. Zahlreiche Möven, diese Vögel des Ungewitters, hoben sich kreischend, flügelschlagend empor, und verloren sich gegen die dunkeln Wolken gleich Silberpunkten in unabsehbare Ferne. Mit einbrechender Dämmerung erreichten wir das Meer. Alles war in die Kajüten hinabgegangen, ich blieb allein auf dem Verdecke in beglückender, erwünschter Einsamkeit. Das Fahrzeug bewegte sich stärker, aber gleichmäßig, von den majestätischen Wellen des Meeres getragen. Die Luft war unendlich mild, sanft schlug der Regen mir ins Gesicht, strich der Nachtwind mir das Haar von der Stirne.
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Zitationshilfe: | F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_selbstsucht_1910/51>, abgerufen am 16.02.2025. |