Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

ruhiger Zuneigung. R's dagegen mit Sehnsucht, mit Unruhe, mit der Gesammtheit von Gefühlen, welche zum Glücke des Lebens wenig förderlich sind. Alles rief ich mir zurück, er hatte sich immer gut, freundlich, liebenswürdig erwiesen, während von mir der Friede ohne Anlaß von seiner Seite gebrochen worden war.

Ludwig's Scharfsinn errieth ohne Zweifel den Kampf in meinem Innern, er sprach oft und ungezwungen von beiden Freunden. Ich sah, sagte er mir einst, voraus, wie Alles kommen würde, aber gewisse Erfahrungen kann man Niemandem ersparen. Es liegt in der Unvollkommenheit des Daseins, daß ein so unschuldiges, beglückendes, friedliches Verhältniß, wie es zwischen dir und R. Statt fand, wo jeder Morgen das Glück des vergangenen Tages frisch und entzückend zurückbringt, daß ein solches nicht bestehen kann, daß es mit Schmerz, mit Nachrede, mit Thränen enden muß. Man möchte glauben, die Vorsehung wolle uns mit ernster Lehre darauf hinweisen, daß wir das Liebenswürdigste sehen und würdigen müssen, ohne es uns zueignen zu können. Das sind die Sterne, die wir anerkennen, aber nicht begehren dürfen. Deine ganze Phantasie ist von R.'s Bilde erfüllt, er ist für Frauen ein Irrlicht, dessen glänzender Schimmer ins Verderben lockt. Dein Herz wird aber einst von Victor's Bilde erfüllt werden, der dich wahrhaft liebt, mit dem du glücklich sein kannst. -- Schwerlich wärst du es je mit R. geworden, zu lebhafte Leidenschaft für ihn möchte

ruhiger Zuneigung. R's dagegen mit Sehnsucht, mit Unruhe, mit der Gesammtheit von Gefühlen, welche zum Glücke des Lebens wenig förderlich sind. Alles rief ich mir zurück, er hatte sich immer gut, freundlich, liebenswürdig erwiesen, während von mir der Friede ohne Anlaß von seiner Seite gebrochen worden war.

Ludwig's Scharfsinn errieth ohne Zweifel den Kampf in meinem Innern, er sprach oft und ungezwungen von beiden Freunden. Ich sah, sagte er mir einst, voraus, wie Alles kommen würde, aber gewisse Erfahrungen kann man Niemandem ersparen. Es liegt in der Unvollkommenheit des Daseins, daß ein so unschuldiges, beglückendes, friedliches Verhältniß, wie es zwischen dir und R. Statt fand, wo jeder Morgen das Glück des vergangenen Tages frisch und entzückend zurückbringt, daß ein solches nicht bestehen kann, daß es mit Schmerz, mit Nachrede, mit Thränen enden muß. Man möchte glauben, die Vorsehung wolle uns mit ernster Lehre darauf hinweisen, daß wir das Liebenswürdigste sehen und würdigen müssen, ohne es uns zueignen zu können. Das sind die Sterne, die wir anerkennen, aber nicht begehren dürfen. Deine ganze Phantasie ist von R.'s Bilde erfüllt, er ist für Frauen ein Irrlicht, dessen glänzender Schimmer ins Verderben lockt. Dein Herz wird aber einst von Victor's Bilde erfüllt werden, der dich wahrhaft liebt, mit dem du glücklich sein kannst. — Schwerlich wärst du es je mit R. geworden, zu lebhafte Leidenschaft für ihn möchte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter">
        <p><pb facs="#f0032"/>
ruhiger Zuneigung. R's dagegen mit      Sehnsucht, mit Unruhe, mit der Gesammtheit von Gefühlen, welche zum Glücke des Lebens wenig      förderlich sind. Alles rief ich mir zurück, er hatte sich immer gut, freundlich, liebenswürdig      erwiesen, während von mir der Friede ohne Anlaß von seiner Seite gebrochen worden war.</p><lb/>
        <p>Ludwig's Scharfsinn errieth ohne Zweifel den Kampf in meinem Innern, er sprach oft und      ungezwungen von beiden Freunden. Ich sah, sagte er mir einst, voraus, wie Alles kommen würde,      aber gewisse Erfahrungen kann man Niemandem ersparen. Es liegt in der Unvollkommenheit des      Daseins, daß ein so unschuldiges, beglückendes, friedliches Verhältniß, wie es zwischen dir und      R. Statt fand, wo jeder Morgen das Glück des vergangenen Tages frisch und entzückend      zurückbringt, daß ein solches nicht bestehen kann, daß es mit Schmerz, mit Nachrede, mit      Thränen enden muß. Man möchte glauben, die Vorsehung wolle uns mit ernster Lehre darauf      hinweisen, daß wir das Liebenswürdigste sehen und würdigen müssen, ohne es uns zueignen zu      können. Das sind die Sterne, die wir anerkennen, aber nicht begehren dürfen. Deine ganze      Phantasie ist von R.'s Bilde erfüllt, er ist für Frauen ein Irrlicht, dessen glänzender      Schimmer ins Verderben lockt. Dein Herz wird aber einst von Victor's Bilde erfüllt werden, der      dich wahrhaft liebt, mit dem du glücklich sein kannst. &#x2014; Schwerlich wärst du es je mit R.      geworden, zu lebhafte Leidenschaft für ihn möchte<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0032] ruhiger Zuneigung. R's dagegen mit Sehnsucht, mit Unruhe, mit der Gesammtheit von Gefühlen, welche zum Glücke des Lebens wenig förderlich sind. Alles rief ich mir zurück, er hatte sich immer gut, freundlich, liebenswürdig erwiesen, während von mir der Friede ohne Anlaß von seiner Seite gebrochen worden war. Ludwig's Scharfsinn errieth ohne Zweifel den Kampf in meinem Innern, er sprach oft und ungezwungen von beiden Freunden. Ich sah, sagte er mir einst, voraus, wie Alles kommen würde, aber gewisse Erfahrungen kann man Niemandem ersparen. Es liegt in der Unvollkommenheit des Daseins, daß ein so unschuldiges, beglückendes, friedliches Verhältniß, wie es zwischen dir und R. Statt fand, wo jeder Morgen das Glück des vergangenen Tages frisch und entzückend zurückbringt, daß ein solches nicht bestehen kann, daß es mit Schmerz, mit Nachrede, mit Thränen enden muß. Man möchte glauben, die Vorsehung wolle uns mit ernster Lehre darauf hinweisen, daß wir das Liebenswürdigste sehen und würdigen müssen, ohne es uns zueignen zu können. Das sind die Sterne, die wir anerkennen, aber nicht begehren dürfen. Deine ganze Phantasie ist von R.'s Bilde erfüllt, er ist für Frauen ein Irrlicht, dessen glänzender Schimmer ins Verderben lockt. Dein Herz wird aber einst von Victor's Bilde erfüllt werden, der dich wahrhaft liebt, mit dem du glücklich sein kannst. — Schwerlich wärst du es je mit R. geworden, zu lebhafte Leidenschaft für ihn möchte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:52:17Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_selbstsucht_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_selbstsucht_1910/32
Zitationshilfe: F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_selbstsucht_1910/32>, abgerufen am 22.11.2024.