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F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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von Glückseligkeit aus, welches ihnen nicht zugedacht war. Nicht zugedacht? fragst du. Nein, nicht zugedacht. Jeder soll, kann glücklich sein, auf seine Weise, aber der Nachtvogel darf nicht im hellen Sonnenschein flattern wollen. Ist er deßhalb zu beklagen? Sieht er nicht die schönen, geheimnißvollen Sterne, leuchtet ihm nicht der Mond im stillen Zauber sanft erhellter Nacht, liegt, selbst im Dunkel, welches ihn umfängt, nicht magischer Reiz und süßer Friede? Gewiß, es giebt Menschen, die auf andere Art ihr Heil erlangen sollen, als die Mehrzahl, und ließe man sie gewähren, sie würden es finden und glücklich sein auf ihre Weise. Gewöhnlich aber wird ihnen keine Ruhe, man setzt ihnen so lange mit Bitten zu, mit Ermahnungen, ja selbst mit Spott, bis sie betäubt aus ihrem Geleise weichen und elend werden. -- Auch ich streckte, so hingerissen, einst mit jugendlicher Zuversicht die Hand nach dem schönsten Schmucke des Lebens aus, für immer wurde ich enttäuscht. Dieses Geständniß wird hoffentlich dein liebes Herz mir wieder zuwenden, wenn meine anscheinende Kälte uns entfremdet haben sollte.

Ist R. schon bei euch angelangt? Sein Name ist auch bis zu mir gedrungen, mit Lob und Tadel, wie ja beides ausgezeichneten Menschen in gleichem Maaße zu Theil wird. -- Schreibe mir von ihm, von Sophien und vor allen Dingen von dir, die ich von ganzem Herzen liebe.

Charlotte.

von Glückseligkeit aus, welches ihnen nicht zugedacht war. Nicht zugedacht? fragst du. Nein, nicht zugedacht. Jeder soll, kann glücklich sein, auf seine Weise, aber der Nachtvogel darf nicht im hellen Sonnenschein flattern wollen. Ist er deßhalb zu beklagen? Sieht er nicht die schönen, geheimnißvollen Sterne, leuchtet ihm nicht der Mond im stillen Zauber sanft erhellter Nacht, liegt, selbst im Dunkel, welches ihn umfängt, nicht magischer Reiz und süßer Friede? Gewiß, es giebt Menschen, die auf andere Art ihr Heil erlangen sollen, als die Mehrzahl, und ließe man sie gewähren, sie würden es finden und glücklich sein auf ihre Weise. Gewöhnlich aber wird ihnen keine Ruhe, man setzt ihnen so lange mit Bitten zu, mit Ermahnungen, ja selbst mit Spott, bis sie betäubt aus ihrem Geleise weichen und elend werden. — Auch ich streckte, so hingerissen, einst mit jugendlicher Zuversicht die Hand nach dem schönsten Schmucke des Lebens aus, für immer wurde ich enttäuscht. Dieses Geständniß wird hoffentlich dein liebes Herz mir wieder zuwenden, wenn meine anscheinende Kälte uns entfremdet haben sollte.

Ist R. schon bei euch angelangt? Sein Name ist auch bis zu mir gedrungen, mit Lob und Tadel, wie ja beides ausgezeichneten Menschen in gleichem Maaße zu Theil wird. — Schreibe mir von ihm, von Sophien und vor allen Dingen von dir, die ich von ganzem Herzen liebe.

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[0022] von Glückseligkeit aus, welches ihnen nicht zugedacht war. Nicht zugedacht? fragst du. Nein, nicht zugedacht. Jeder soll, kann glücklich sein, auf seine Weise, aber der Nachtvogel darf nicht im hellen Sonnenschein flattern wollen. Ist er deßhalb zu beklagen? Sieht er nicht die schönen, geheimnißvollen Sterne, leuchtet ihm nicht der Mond im stillen Zauber sanft erhellter Nacht, liegt, selbst im Dunkel, welches ihn umfängt, nicht magischer Reiz und süßer Friede? Gewiß, es giebt Menschen, die auf andere Art ihr Heil erlangen sollen, als die Mehrzahl, und ließe man sie gewähren, sie würden es finden und glücklich sein auf ihre Weise. Gewöhnlich aber wird ihnen keine Ruhe, man setzt ihnen so lange mit Bitten zu, mit Ermahnungen, ja selbst mit Spott, bis sie betäubt aus ihrem Geleise weichen und elend werden. — Auch ich streckte, so hingerissen, einst mit jugendlicher Zuversicht die Hand nach dem schönsten Schmucke des Lebens aus, für immer wurde ich enttäuscht. Dieses Geständniß wird hoffentlich dein liebes Herz mir wieder zuwenden, wenn meine anscheinende Kälte uns entfremdet haben sollte. Ist R. schon bei euch angelangt? Sein Name ist auch bis zu mir gedrungen, mit Lob und Tadel, wie ja beides ausgezeichneten Menschen in gleichem Maaße zu Theil wird. — Schreibe mir von ihm, von Sophien und vor allen Dingen von dir, die ich von ganzem Herzen liebe. Charlotte.

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:52:17Z)

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Zitationshilfe: F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_selbstsucht_1910/22>, abgerufen am 22.11.2024.