F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Augen zu lesen? -- Wie sehr, wie innig hatte ich gehofft, du werdest zu einer großartigeren Ansicht dich erheben können, als solche den Frauen im Allgemeinen eigen zu sein pflegt. Müßtest du nicht mit Bestimmtheit fühlen, daß Nichts mich wahrhaft von dir entfernen kann, daß jeder anziehende Reiz mich an dich erinnert, die so viel reizender ist, als alle Anderen? Nie, nie noch hat ein fremdes Wesen mir das Gefühl eingeflößt, welches ich stets in deiner Nähe empfinde, das Gefühl, verstanden, gewürdigt, geliebt zu werden. Ist denn das Alles noch nicht hinreichend? Sophie erröthete und entgegnete sanft: Mit dir streiten kann ich nicht, ich kann nur Eines sagen, Eines wünschen: o möge dir, wenn du einmal dein ganzes Lebensglück auf ein Herz setzest -- möge dir dann ein besseres Geschick zu Theil werden, als mir geworden ist. -- Erschüttert wollte R. sie umfassen. Sophie! sagte er bewegt. Sie bog sich zurück und fuhr fort: Ich weiß, du würdest die Fehlschlagung eines fest gehegten Wunsches nie verschmerzen, sie mir nie vergeben; so reise denn, aber sei dann auch glücklich; gönne mir den Trost wenigstens für so viel Entsagung! Hörst du? setzte sie mit weicher Stimme hinzu. R. fuhr heftig mit der Hand über die Stirn und verließ rasch das Zimmer. -- Sophie blickte schmerzlich empor: Warum, o warum! Augen zu lesen? — Wie sehr, wie innig hatte ich gehofft, du werdest zu einer großartigeren Ansicht dich erheben können, als solche den Frauen im Allgemeinen eigen zu sein pflegt. Müßtest du nicht mit Bestimmtheit fühlen, daß Nichts mich wahrhaft von dir entfernen kann, daß jeder anziehende Reiz mich an dich erinnert, die so viel reizender ist, als alle Anderen? Nie, nie noch hat ein fremdes Wesen mir das Gefühl eingeflößt, welches ich stets in deiner Nähe empfinde, das Gefühl, verstanden, gewürdigt, geliebt zu werden. Ist denn das Alles noch nicht hinreichend? Sophie erröthete und entgegnete sanft: Mit dir streiten kann ich nicht, ich kann nur Eines sagen, Eines wünschen: o möge dir, wenn du einmal dein ganzes Lebensglück auf ein Herz setzest — möge dir dann ein besseres Geschick zu Theil werden, als mir geworden ist. — Erschüttert wollte R. sie umfassen. Sophie! sagte er bewegt. Sie bog sich zurück und fuhr fort: Ich weiß, du würdest die Fehlschlagung eines fest gehegten Wunsches nie verschmerzen, sie mir nie vergeben; so reise denn, aber sei dann auch glücklich; gönne mir den Trost wenigstens für so viel Entsagung! Hörst du? setzte sie mit weicher Stimme hinzu. R. fuhr heftig mit der Hand über die Stirn und verließ rasch das Zimmer. — Sophie blickte schmerzlich empor: Warum, o warum! <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0020"/> Augen zu lesen? — Wie sehr, wie innig hatte ich gehofft, du werdest zu einer großartigeren Ansicht dich erheben können, als solche den Frauen im Allgemeinen eigen zu sein pflegt. Müßtest du nicht mit Bestimmtheit fühlen, daß Nichts mich wahrhaft von dir entfernen kann, daß jeder anziehende Reiz mich an dich erinnert, die so viel reizender ist, als alle Anderen? Nie, nie noch hat ein fremdes Wesen mir das Gefühl eingeflößt, welches ich stets in deiner Nähe empfinde, das Gefühl, verstanden, gewürdigt, geliebt zu werden. Ist denn das Alles noch nicht hinreichend?</p><lb/> <p>Sophie erröthete und entgegnete sanft: Mit dir streiten kann ich nicht, ich kann nur Eines sagen, Eines wünschen: o möge dir, wenn du einmal dein ganzes Lebensglück auf ein Herz setzest — möge dir dann ein besseres Geschick zu Theil werden, als mir geworden ist. — </p><lb/> <p>Erschüttert wollte R. sie umfassen. Sophie! sagte er bewegt.</p><lb/> <p>Sie bog sich zurück und fuhr fort: Ich weiß, du würdest die Fehlschlagung eines fest gehegten Wunsches nie verschmerzen, sie mir nie vergeben; so reise denn, aber sei dann auch glücklich; gönne mir den Trost wenigstens für so viel Entsagung! Hörst du? setzte sie mit weicher Stimme hinzu.</p><lb/> <p>R. fuhr heftig mit der Hand über die Stirn und verließ rasch das Zimmer. — </p><lb/> <p>Sophie blickte schmerzlich empor: Warum, o warum!<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0020]
Augen zu lesen? — Wie sehr, wie innig hatte ich gehofft, du werdest zu einer großartigeren Ansicht dich erheben können, als solche den Frauen im Allgemeinen eigen zu sein pflegt. Müßtest du nicht mit Bestimmtheit fühlen, daß Nichts mich wahrhaft von dir entfernen kann, daß jeder anziehende Reiz mich an dich erinnert, die so viel reizender ist, als alle Anderen? Nie, nie noch hat ein fremdes Wesen mir das Gefühl eingeflößt, welches ich stets in deiner Nähe empfinde, das Gefühl, verstanden, gewürdigt, geliebt zu werden. Ist denn das Alles noch nicht hinreichend?
Sophie erröthete und entgegnete sanft: Mit dir streiten kann ich nicht, ich kann nur Eines sagen, Eines wünschen: o möge dir, wenn du einmal dein ganzes Lebensglück auf ein Herz setzest — möge dir dann ein besseres Geschick zu Theil werden, als mir geworden ist. —
Erschüttert wollte R. sie umfassen. Sophie! sagte er bewegt.
Sie bog sich zurück und fuhr fort: Ich weiß, du würdest die Fehlschlagung eines fest gehegten Wunsches nie verschmerzen, sie mir nie vergeben; so reise denn, aber sei dann auch glücklich; gönne mir den Trost wenigstens für so viel Entsagung! Hörst du? setzte sie mit weicher Stimme hinzu.
R. fuhr heftig mit der Hand über die Stirn und verließ rasch das Zimmer. —
Sophie blickte schmerzlich empor: Warum, o warum!
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Zitationshilfe: | F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_selbstsucht_1910/20>, abgerufen am 16.02.2025. |