F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.an Zersplitterung so wünschenswerther Gaben scheiterst. -- Leider ist in dir keine Einheit; verworren liegen die schönsten Blüten verstreut, hier Knospen, dort Blätter, hier Blumen, alles der verschiedensten Art, nichts aneinander gereiht, nichts gesammelt. Die Menge staunt die phantastische Verworrenheit an, der Kenner beklagt sie. Es ist ein Chaos, aus welchem das Wünschenswertheste dem Blicke sich darbietet; nur du vermagst es zu ordnen. Nur wer völlig mit sich einig ist, mag im Stande sein, ein vernunftgemäßes Urtheil über fremde Menschen und Zustände zu fällen. In vollkommener Einheit liegt einzig sicheres Fortschreiten. Eine weitere Ausbildung durch Reisen scheint mir für dich nun völlig überflüssig. Die Welt, in ihren guten und verderblichen Beziehungen, hat schon genug an dir gebildet. Die glänzende, äußere Hülle ist vorhanden, nach dem innern Kern wage ich manchmal nicht zu fragen. -- Wie seltsam hast du dich selber gestellt! Deinen Gewohnheiten, deinem unabhängigen Sinne, deiner Gutherzigkeit nach, würdest du ganz für das bürgerliche Leben passen; dein Hochmuth, deine Eitelkeit und zu verfeinerte Bildung ziehen dich unablässig in einen Kreis, der dich beengt, unbefriedigt läßt, und doch dir unentbehrlich erscheint. Auch hier ist Zwiespalt, denn nicht selten gefällst du dir auch in geringeren, deiner völlig unwerthen Kreisen. Der Wunsch zu gefallen zieht dich hier, zieht dich dorthin; das Ende sehe ich leider voraus: du willst Alle und besonders an Zersplitterung so wünschenswerther Gaben scheiterst. — Leider ist in dir keine Einheit; verworren liegen die schönsten Blüten verstreut, hier Knospen, dort Blätter, hier Blumen, alles der verschiedensten Art, nichts aneinander gereiht, nichts gesammelt. Die Menge staunt die phantastische Verworrenheit an, der Kenner beklagt sie. Es ist ein Chaos, aus welchem das Wünschenswertheste dem Blicke sich darbietet; nur du vermagst es zu ordnen. Nur wer völlig mit sich einig ist, mag im Stande sein, ein vernunftgemäßes Urtheil über fremde Menschen und Zustände zu fällen. In vollkommener Einheit liegt einzig sicheres Fortschreiten. Eine weitere Ausbildung durch Reisen scheint mir für dich nun völlig überflüssig. Die Welt, in ihren guten und verderblichen Beziehungen, hat schon genug an dir gebildet. Die glänzende, äußere Hülle ist vorhanden, nach dem innern Kern wage ich manchmal nicht zu fragen. — Wie seltsam hast du dich selber gestellt! Deinen Gewohnheiten, deinem unabhängigen Sinne, deiner Gutherzigkeit nach, würdest du ganz für das bürgerliche Leben passen; dein Hochmuth, deine Eitelkeit und zu verfeinerte Bildung ziehen dich unablässig in einen Kreis, der dich beengt, unbefriedigt läßt, und doch dir unentbehrlich erscheint. Auch hier ist Zwiespalt, denn nicht selten gefällst du dir auch in geringeren, deiner völlig unwerthen Kreisen. Der Wunsch zu gefallen zieht dich hier, zieht dich dorthin; das Ende sehe ich leider voraus: du willst Alle und besonders <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0015"/> an Zersplitterung so wünschenswerther Gaben scheiterst. — Leider ist in dir keine Einheit; verworren liegen die schönsten Blüten verstreut, hier Knospen, dort Blätter, hier Blumen, alles der verschiedensten Art, nichts aneinander gereiht, nichts gesammelt. Die Menge staunt die phantastische Verworrenheit an, der Kenner beklagt sie. Es ist ein Chaos, aus welchem das Wünschenswertheste dem Blicke sich darbietet; nur du vermagst es zu ordnen. Nur wer völlig mit sich einig ist, mag im Stande sein, ein vernunftgemäßes Urtheil über fremde Menschen und Zustände zu fällen. In vollkommener Einheit liegt einzig sicheres Fortschreiten. Eine weitere Ausbildung durch Reisen scheint mir für dich nun völlig überflüssig. Die Welt, in ihren guten und verderblichen Beziehungen, hat schon genug an dir gebildet. Die glänzende, äußere Hülle ist vorhanden, nach dem innern Kern wage ich manchmal nicht zu fragen. — Wie seltsam hast du dich selber gestellt! Deinen Gewohnheiten, deinem unabhängigen Sinne, deiner Gutherzigkeit nach, würdest du ganz für das bürgerliche Leben passen; dein Hochmuth, deine Eitelkeit und zu verfeinerte Bildung ziehen dich unablässig in einen Kreis, der dich beengt, unbefriedigt läßt, und doch dir unentbehrlich erscheint. Auch hier ist Zwiespalt, denn nicht selten gefällst du dir auch in geringeren, deiner völlig unwerthen Kreisen. Der Wunsch zu gefallen zieht dich hier, zieht dich dorthin; das Ende sehe ich leider voraus: du willst Alle und besonders<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0015]
an Zersplitterung so wünschenswerther Gaben scheiterst. — Leider ist in dir keine Einheit; verworren liegen die schönsten Blüten verstreut, hier Knospen, dort Blätter, hier Blumen, alles der verschiedensten Art, nichts aneinander gereiht, nichts gesammelt. Die Menge staunt die phantastische Verworrenheit an, der Kenner beklagt sie. Es ist ein Chaos, aus welchem das Wünschenswertheste dem Blicke sich darbietet; nur du vermagst es zu ordnen. Nur wer völlig mit sich einig ist, mag im Stande sein, ein vernunftgemäßes Urtheil über fremde Menschen und Zustände zu fällen. In vollkommener Einheit liegt einzig sicheres Fortschreiten. Eine weitere Ausbildung durch Reisen scheint mir für dich nun völlig überflüssig. Die Welt, in ihren guten und verderblichen Beziehungen, hat schon genug an dir gebildet. Die glänzende, äußere Hülle ist vorhanden, nach dem innern Kern wage ich manchmal nicht zu fragen. — Wie seltsam hast du dich selber gestellt! Deinen Gewohnheiten, deinem unabhängigen Sinne, deiner Gutherzigkeit nach, würdest du ganz für das bürgerliche Leben passen; dein Hochmuth, deine Eitelkeit und zu verfeinerte Bildung ziehen dich unablässig in einen Kreis, der dich beengt, unbefriedigt läßt, und doch dir unentbehrlich erscheint. Auch hier ist Zwiespalt, denn nicht selten gefällst du dir auch in geringeren, deiner völlig unwerthen Kreisen. Der Wunsch zu gefallen zieht dich hier, zieht dich dorthin; das Ende sehe ich leider voraus: du willst Alle und besonders
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Zitationshilfe: | F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_selbstsucht_1910/15>, abgerufen am 17.02.2025. |