F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.als richtig erkannt wird, muß in der Beziehung als das Bessere gelten; nicht Alles ist so verkehrt, wie der Anschein uns glauben machen möchte. Ich habe mein Nachdenken solchen Betrachtungen oft zugewendet. Die Verschiedenheit der Gemüthsanlagen, ja selbst der äußern Persönlichkeit, welche man häufig in zwei einander nahe gelegenen Dorfschaften, häufig zwischen Städter und Vorstädter antrifft, mag der früher stattgehabten Einwanderung von Colonisten zuzuschreiben sein. Wenn hier ein ganzer Menschenschlag gutmüthig, lenksam und thätig erscheint, so findet man oftmals ganz in der Nähe ihn trotzig, auffahrend, verschlagen und unthätig. Nach dem Besseren zu streben ist unerläßlich, aber selbst das anscheinend Mangelhafte mag oft nützlich sein, daher würde ich mich an deiner Stelle darüber beruhigen. Bedenke wohl, was es heißt, zwei Jahre seines Lebens einem ungewissen Zwecke opfern, indessen der gewisse nothwendig und durchaus erforderlich erscheint. Du bist nicht reich, lieber Freund, kaum wohlhabend zu nennen, und folglich darf deine Wahl auf kein contemplatives Leben gerichtet sein, wenngleich ein solches dir am mehrsten zusagen dürfte. Für dich ist ein weiser Haushalt mit Zeit und Leben dringendes Bedürfniß, du sollst dir selber verdanken, was du einst sein wirst. Dein Verstand, deine schnelle Auffassungsgabe, deine Gewandtheit, ja selbst deine Fehler, welche ich unberührt zu lassen wünsche, werden dir zur Erreichung deiner Zwecke förderlich sein, wenn du nicht als richtig erkannt wird, muß in der Beziehung als das Bessere gelten; nicht Alles ist so verkehrt, wie der Anschein uns glauben machen möchte. Ich habe mein Nachdenken solchen Betrachtungen oft zugewendet. Die Verschiedenheit der Gemüthsanlagen, ja selbst der äußern Persönlichkeit, welche man häufig in zwei einander nahe gelegenen Dorfschaften, häufig zwischen Städter und Vorstädter antrifft, mag der früher stattgehabten Einwanderung von Colonisten zuzuschreiben sein. Wenn hier ein ganzer Menschenschlag gutmüthig, lenksam und thätig erscheint, so findet man oftmals ganz in der Nähe ihn trotzig, auffahrend, verschlagen und unthätig. Nach dem Besseren zu streben ist unerläßlich, aber selbst das anscheinend Mangelhafte mag oft nützlich sein, daher würde ich mich an deiner Stelle darüber beruhigen. Bedenke wohl, was es heißt, zwei Jahre seines Lebens einem ungewissen Zwecke opfern, indessen der gewisse nothwendig und durchaus erforderlich erscheint. Du bist nicht reich, lieber Freund, kaum wohlhabend zu nennen, und folglich darf deine Wahl auf kein contemplatives Leben gerichtet sein, wenngleich ein solches dir am mehrsten zusagen dürfte. Für dich ist ein weiser Haushalt mit Zeit und Leben dringendes Bedürfniß, du sollst dir selber verdanken, was du einst sein wirst. Dein Verstand, deine schnelle Auffassungsgabe, deine Gewandtheit, ja selbst deine Fehler, welche ich unberührt zu lassen wünsche, werden dir zur Erreichung deiner Zwecke förderlich sein, wenn du nicht <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0014"/> als richtig erkannt wird, muß in der Beziehung als das Bessere gelten; nicht Alles ist so verkehrt, wie der Anschein uns glauben machen möchte. Ich habe mein Nachdenken solchen Betrachtungen oft zugewendet. Die Verschiedenheit der Gemüthsanlagen, ja selbst der äußern Persönlichkeit, welche man häufig in zwei einander nahe gelegenen Dorfschaften, häufig zwischen Städter und Vorstädter antrifft, mag der früher stattgehabten Einwanderung von Colonisten zuzuschreiben sein. Wenn hier ein ganzer Menschenschlag gutmüthig, lenksam und thätig erscheint, so findet man oftmals ganz in der Nähe ihn trotzig, auffahrend, verschlagen und unthätig. Nach dem Besseren zu streben ist unerläßlich, aber selbst das anscheinend Mangelhafte mag oft nützlich sein, daher würde ich mich an deiner Stelle darüber beruhigen. Bedenke wohl, was es heißt, zwei Jahre seines Lebens einem ungewissen Zwecke opfern, indessen der gewisse nothwendig und durchaus erforderlich erscheint. Du bist nicht reich, lieber Freund, kaum wohlhabend zu nennen, und folglich darf deine Wahl auf kein contemplatives Leben gerichtet sein, wenngleich ein solches dir am mehrsten zusagen dürfte. Für dich ist ein weiser Haushalt mit Zeit und Leben dringendes Bedürfniß, du sollst dir selber verdanken, was du einst sein wirst. Dein Verstand, deine schnelle Auffassungsgabe, deine Gewandtheit, ja selbst deine Fehler, welche ich unberührt zu lassen wünsche, werden dir zur Erreichung deiner Zwecke förderlich sein, wenn du nicht<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0014]
als richtig erkannt wird, muß in der Beziehung als das Bessere gelten; nicht Alles ist so verkehrt, wie der Anschein uns glauben machen möchte. Ich habe mein Nachdenken solchen Betrachtungen oft zugewendet. Die Verschiedenheit der Gemüthsanlagen, ja selbst der äußern Persönlichkeit, welche man häufig in zwei einander nahe gelegenen Dorfschaften, häufig zwischen Städter und Vorstädter antrifft, mag der früher stattgehabten Einwanderung von Colonisten zuzuschreiben sein. Wenn hier ein ganzer Menschenschlag gutmüthig, lenksam und thätig erscheint, so findet man oftmals ganz in der Nähe ihn trotzig, auffahrend, verschlagen und unthätig. Nach dem Besseren zu streben ist unerläßlich, aber selbst das anscheinend Mangelhafte mag oft nützlich sein, daher würde ich mich an deiner Stelle darüber beruhigen. Bedenke wohl, was es heißt, zwei Jahre seines Lebens einem ungewissen Zwecke opfern, indessen der gewisse nothwendig und durchaus erforderlich erscheint. Du bist nicht reich, lieber Freund, kaum wohlhabend zu nennen, und folglich darf deine Wahl auf kein contemplatives Leben gerichtet sein, wenngleich ein solches dir am mehrsten zusagen dürfte. Für dich ist ein weiser Haushalt mit Zeit und Leben dringendes Bedürfniß, du sollst dir selber verdanken, was du einst sein wirst. Dein Verstand, deine schnelle Auffassungsgabe, deine Gewandtheit, ja selbst deine Fehler, welche ich unberührt zu lassen wünsche, werden dir zur Erreichung deiner Zwecke förderlich sein, wenn du nicht
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Zitationshilfe: | F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_selbstsucht_1910/14>, abgerufen am 16.02.2025. |