Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_084.001 "Die Schranken waren eng, der Kampf begann, pwo_084.002 pwo_084.009Mit kurzen Speeren griffen sie sich an; pwo_084.003 So Schaft als Spitze gingen bald in Splitter, pwo_084.004 Da prallten, links sich wendend, beide Ritter pwo_084.005 Mit ihrem Hinduschwerterpaar zusammen, pwo_084.006 Aus beiden Klingen sprühten helle Flammen, pwo_084.007 Schlag fiel auf Schlag, der Klingen Stahl zerbrach, pwo_084.008 Es schien, als wär's der Auferstehungstag ..." Nicht genug an solchen vereinzelten Urteilen des Dichters: Seelenschilderungen pwo_084.010 "Schweißtriefend stand der Alte wie der Junge, pwo_084.012 pwo_084.025Den Mund mit Staub gefüllt und dürr die Zunge; pwo_084.013 So ließen denn die beiden ab vom Streit, pwo_084.014 Voll Weh der Vater und der Sohn voll Leid. pwo_084.015 O Welt, wie wunderbar ist doch dein Lauf! pwo_084.016 Du stürzest nieder und du richtest auf! pwo_084.017 Nicht regte in den beiden sich die Liebe, pwo_084.018 Nicht zeigte die Verwandtschaft ihre Triebe! pwo_084.019 Kennt doch ein jedes Tier - das Wild der Flur, pwo_084.020 Der Fisch des Meers - sein Junges von Natur, pwo_084.021 Vom Menschen nur, im Kampfe sonder Frieden, pwo_084.022 Wird nicht der Sohn vom Feinde unterschieden. pwo_084.023 Zu sich sprach Rustem so: ,Dies junge Blut pwo_084.024 Kämpft hitz'ger als ein Krokodil in Wut ...'" Ein solches lang fortgesponnenes Selbstgespräch entfernt vollends pwo_084.026 "Auch Sohrabs Mutter hörte, was geschehn, pwo_084.029 pwo_084.036Daß ihr der Sohn geraubt sei und durch wen: pwo_084.030 Da ihr Gewand zerriß das schöne Weib, pwo_084.031 Rubinengleich erschien ihr nackter Leib; pwo_084.032 Die Hände rang sie, schluchzte laut vor Qual, pwo_084.033 Jn Ohnmacht sank sie ein ums andre Mal, pwo_084.034 Die Locken um die Finger rollte sie, pwo_084.035 Und riß sie aus, nicht Tröstung wollte sie." Jn gleicher Ausführlichkeit wird noch weiter ihr Schmerz geschildert, pwo_084.037 pwo_084.001 „Die Schranken waren eng, der Kampf begann, pwo_084.002 pwo_084.009Mit kurzen Speeren griffen sie sich an; pwo_084.003 So Schaft als Spitze gingen bald in Splitter, pwo_084.004 Da prallten, links sich wendend, beide Ritter pwo_084.005 Mit ihrem Hinduschwerterpaar zusammen, pwo_084.006 Aus beiden Klingen sprühten helle Flammen, pwo_084.007 Schlag fiel auf Schlag, der Klingen Stahl zerbrach, pwo_084.008 Es schien, als wär's der Auferstehungstag ...“ Nicht genug an solchen vereinzelten Urteilen des Dichters: Seelenschilderungen pwo_084.010 „Schweißtriefend stand der Alte wie der Junge, pwo_084.012 pwo_084.025Den Mund mit Staub gefüllt und dürr die Zunge; pwo_084.013 So ließen denn die beiden ab vom Streit, pwo_084.014 Voll Weh der Vater und der Sohn voll Leid. pwo_084.015 O Welt, wie wunderbar ist doch dein Lauf! pwo_084.016 Du stürzest nieder und du richtest auf! pwo_084.017 Nicht regte in den beiden sich die Liebe, pwo_084.018 Nicht zeigte die Verwandtschaft ihre Triebe! pwo_084.019 Kennt doch ein jedes Tier – das Wild der Flur, pwo_084.020 Der Fisch des Meers – sein Junges von Natur, pwo_084.021 Vom Menschen nur, im Kampfe sonder Frieden, pwo_084.022 Wird nicht der Sohn vom Feinde unterschieden. pwo_084.023 Zu sich sprach Rustem so: ‚Dies junge Blut pwo_084.024 Kämpft hitz'ger als ein Krokodil in Wut ...'“ Ein solches lang fortgesponnenes Selbstgespräch entfernt vollends pwo_084.026 „Auch Sohrabs Mutter hörte, was geschehn, pwo_084.029 pwo_084.036Daß ihr der Sohn geraubt sei und durch wen: pwo_084.030 Da ihr Gewand zerriß das schöne Weib, pwo_084.031 Rubinengleich erschien ihr nackter Leib; pwo_084.032 Die Hände rang sie, schluchzte laut vor Qual, pwo_084.033 Jn Ohnmacht sank sie ein ums andre Mal, pwo_084.034 Die Locken um die Finger rollte sie, pwo_084.035 Und riß sie aus, nicht Tröstung wollte sie.“ Jn gleicher Ausführlichkeit wird noch weiter ihr Schmerz geschildert, pwo_084.037 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0098" n="84"/> <lb n="pwo_084.001"/> <lg> <l>„Die Schranken waren eng, der Kampf begann,</l> <lb n="pwo_084.002"/> <l>Mit kurzen Speeren griffen sie sich an;</l> <lb n="pwo_084.003"/> <l>So Schaft als Spitze gingen bald in Splitter,</l> <lb n="pwo_084.004"/> <l>Da prallten, links sich wendend, beide Ritter</l> <lb n="pwo_084.005"/> <l>Mit ihrem Hinduschwerterpaar zusammen,</l> <lb n="pwo_084.006"/> <l>Aus beiden Klingen sprühten helle Flammen,</l> <lb n="pwo_084.007"/> <l>Schlag fiel auf Schlag, der Klingen Stahl zerbrach,</l> <lb n="pwo_084.008"/> <l>Es schien, als wär's der Auferstehungstag ...“</l> </lg> <lb n="pwo_084.009"/> <p>Nicht genug an solchen vereinzelten Urteilen des Dichters: <hi rendition="#g">Seelenschilderungen</hi> <lb n="pwo_084.010"/> durchbrechen weithin die Handlung:</p> <lb n="pwo_084.011"/> <lg> <l>„Schweißtriefend stand der Alte wie der Junge,</l> <lb n="pwo_084.012"/> <l>Den Mund mit Staub gefüllt und dürr die Zunge;</l> <lb n="pwo_084.013"/> <l>So ließen denn die beiden ab vom Streit,</l> <lb n="pwo_084.014"/> <l>Voll Weh der Vater und der Sohn voll Leid.</l> <lb n="pwo_084.015"/> <l>O Welt, wie wunderbar ist doch dein Lauf!</l> <lb n="pwo_084.016"/> <l>Du stürzest nieder und du richtest auf!</l> <lb n="pwo_084.017"/> <l>Nicht regte in den beiden sich die Liebe,</l> <lb n="pwo_084.018"/> <l>Nicht zeigte die Verwandtschaft ihre Triebe!</l> <lb n="pwo_084.019"/> <l>Kennt doch ein jedes Tier – das Wild der Flur,</l> <lb n="pwo_084.020"/> <l>Der Fisch des Meers – sein Junges von Natur,</l> <lb n="pwo_084.021"/> <l>Vom Menschen nur, im Kampfe sonder Frieden,</l> <lb n="pwo_084.022"/> <l>Wird nicht der Sohn vom Feinde unterschieden.</l> <lb n="pwo_084.023"/> <l>Zu sich sprach Rustem so: ‚Dies junge Blut</l> <lb n="pwo_084.024"/> <l>Kämpft hitz'ger als ein Krokodil in Wut ...'“</l> </lg> <lb n="pwo_084.025"/> <p>Ein solches lang fortgesponnenes <hi rendition="#g">Selbstgespräch</hi> entfernt vollends <lb n="pwo_084.026"/> von der reflexionslosen Gegenständlichkeit und Plastik des alten <lb n="pwo_084.027"/> Liederstils.</p> <lb n="pwo_084.028"/> <lg> <l>„Auch Sohrabs Mutter hörte, was geschehn,</l> <lb n="pwo_084.029"/> <l>Daß ihr der Sohn geraubt sei und durch wen:</l> <lb n="pwo_084.030"/> <l>Da ihr Gewand zerriß das schöne Weib,</l> <lb n="pwo_084.031"/> <l>Rubinengleich erschien ihr nackter Leib;</l> <lb n="pwo_084.032"/> <l>Die Hände rang sie, schluchzte laut vor Qual,</l> <lb n="pwo_084.033"/> <l>Jn Ohnmacht sank sie ein ums andre Mal,</l> <lb n="pwo_084.034"/> <l>Die Locken um die Finger rollte sie,</l> <lb n="pwo_084.035"/> <l>Und riß sie aus, nicht Tröstung wollte sie.“</l> </lg> <lb n="pwo_084.036"/> <p>Jn gleicher Ausführlichkeit wird noch weiter ihr Schmerz geschildert, <lb n="pwo_084.037"/> bis sie ihm überdies direkt in einer langen Kette von Versen <lb n="pwo_084.038"/> leidenschaftlich Luft macht. 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allerorten:
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