pwo_013.001 mit der gebundenen Rede zu rechtfertigen. Jn anderer Hinsicht pwo_013.002 ist die Bestimmung umgekehrt sogar zu weit, denn sie schließt pwo_013.003 jedes Hochzeitskarmen, jede in gebundener Rede entworfene Geschäftsreklame pwo_013.004 in den Bezirk der Dichtung.
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§ 12. pwo_013.006 Der Nutzen als Zweck der Poesie.
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Die Poetik des 17. Jahrhunderts hatte noch eine weitere Lehre pwo_013.008 aus Horaz gezogen: nützen oder ergötzen, am besten beides solle die pwo_013.009 Poesie. Jndem man jedoch das Hauptgewicht auf den Nutzen legte, pwo_013.010 erschien die Bereicherung der intellektuellen und moralischen Anlagen pwo_013.011 als Ziel der Poesie.
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Der Geist damaliger Dichtung ist mit dieser Begriffsbestimmung pwo_013.013 gewiß getroffen, nicht aber der Geist aller Dichtung - und der höchsten pwo_013.014 am wenigsten. Um die Unzulänglichkeit einer Definition zu erweisen, pwo_013.015 bedarf es nicht eines umfassenden Gegenbeweises, es genügt pwo_013.016 die Erkenntnis, daß sie nicht allgemeingültig ist, ja wie wenig sie das pwo_013.017 Wesen derjenigen Dichtungen kennzeichnet, die als besonders eindrucksvolle pwo_013.018 Schöpfungen der Poesie erscheinen.
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Niemand wird als Zweck der Shakespeareschen Dramen den pwo_013.020 Nutzen hinstellen wollen. Der Zweck des "Hamlet" sollte in einer pwo_013.021 schalen Warnung vor dem Zaudern bestehen? "König Lear" wäre pwo_013.022 nichts als oder überhaupt ein Exempel zu dem Volksspruch:
pwo_013.023
"Wer seinen Kindern giebt das Brotpwo_013.024 Und leidet nachmals selber Not,pwo_013.025 Den soll man schlagen mit der Keule tot"?
pwo_013.026
Aehnlich müßte der Nutzen von "Romeo und Julia" in der Warnung pwo_013.027 vor Zwietracht oder vor Leidenschaft oder vor zu eilfertigem Selbstmord pwo_013.028 bestehen - genug, man gelangt auf diesem Wege zu unzähligen pwo_013.029 Absurditäten.
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Ebenso wenig sprechen Goethesche Gedichte von Nutzen und Belehrung:
pwo_013.031 pwo_013.032
"Fühle, was dies Herz empfindet!"
pwo_013.033
fordert das eine,
pwo_013.001 mit der gebundenen Rede zu rechtfertigen. Jn anderer Hinsicht pwo_013.002 ist die Bestimmung umgekehrt sogar zu weit, denn sie schließt pwo_013.003 jedes Hochzeitskarmen, jede in gebundener Rede entworfene Geschäftsreklame pwo_013.004 in den Bezirk der Dichtung.
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Die Poetik des 17. Jahrhunderts hatte noch eine weitere Lehre pwo_013.008 aus Horaz gezogen: nützen oder ergötzen, am besten beides solle die pwo_013.009 Poesie. Jndem man jedoch das Hauptgewicht auf den Nutzen legte, pwo_013.010 erschien die Bereicherung der intellektuellen und moralischen Anlagen pwo_013.011 als Ziel der Poesie.
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Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_poetik_1899/27>, abgerufen am 16.02.2025.
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