Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_244.001 Bei alledem bleibt die Anschauung eine wesentliche Stütze der pwo_244.010 Man hat diese Freiheit dichterischer Jdeenassoziation mit dem pwo_244.014 Eine anderweitige "Berührung" zwischen Genie und Wahnsinn pwo_244.033 pwo_244.001 Bei alledem bleibt die Anschauung eine wesentliche Stütze der pwo_244.010 Man hat diese Freiheit dichterischer Jdeenassoziation mit dem pwo_244.014 Eine anderweitige „Berührung“ zwischen Genie und Wahnsinn pwo_244.033 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0258" n="244"/><lb n="pwo_244.001"/> noch so vollkommen ausgeführt: vielleicht ist die Rüstung eines Kämpfers <lb n="pwo_244.002"/> nicht eingehend beschrieben, und unbewußt übernimmt der Dichter <lb n="pwo_244.003"/> solche Schilderung aus anderweitiger unmittelbaren oder durch eine <lb n="pwo_244.004"/> anderweitige Darstellung vermittelten Anschauung; oder er verwechselt <lb n="pwo_244.005"/> ähnliche. Weitere Kombination geschieht durch mißverstehende, weil <lb n="pwo_244.006"/> zunächst unbeabsichtigte Verschiebung und Vermischung von verwandten <lb n="pwo_244.007"/> Ereignissen und Personen oder selbst von Personen mit verwandtem <lb n="pwo_244.008"/> Namen.</p> <lb n="pwo_244.009"/> <p> Bei alledem bleibt die Anschauung eine wesentliche Stütze der <lb n="pwo_244.010"/> Erinnerung bei ihrer Reproduktions- und Assoziationsthätigkeit: die <lb n="pwo_244.011"/> selbst geschauten Kämpfe, die selbst geschauten Helden bilden den Nährboden <lb n="pwo_244.012"/> für das freie Spiel der Phantasie.</p> <lb n="pwo_244.013"/> <p> Man hat diese Freiheit dichterischer Jdeenassoziation mit dem <lb n="pwo_244.014"/> <hi rendition="#g">Traum</hi> verglichen und sogar auf Berührung mit dem <hi rendition="#g">Wahnsinn</hi> <lb n="pwo_244.015"/> hingewiesen. Treffend begrenzt aber bereits Wilhelm Dilthey: „Diese <lb n="pwo_244.016"/> Verwandtschaft entsteht aus der Abwesenheit der Bedingungen, die <lb n="pwo_244.017"/> sonst Vorstellungen regulieren; jedoch wird sie in dem Träumenden, <lb n="pwo_244.018"/> dem Jrren oder Hypnotischen durch Ursachen ganz andrer Art hervorgebracht, <lb n="pwo_244.019"/> als in dem Künstler oder Dichter; dort ist der erworbene <lb n="pwo_244.020"/> Zusammenhang des Seelenlebens gemindert, hier wird seine ganze <lb n="pwo_244.021"/> Energie in der Richtung freien Schaffens verwandt.“ – Ja, es <lb n="pwo_244.022"/> leuchtet ein, daß die scheinbare Berührung in Wirklichkeit vielmehr <lb n="pwo_244.023"/> auf einen Gegensatz hinausläuft: der träumende Geist kombiniert <lb n="pwo_244.024"/> willenlos Erinnerungsbilder unter vorübergehender Einschläferung des <lb n="pwo_244.025"/> regulierenden Verstandes; der irre Geist kombiniert Erinnerungsbilder <lb n="pwo_244.026"/> mit teilweise beschränkter Willenskraft unter krankhafter Störung des <lb n="pwo_244.027"/> regulierenden Verstandes; wohingegen der geniale Geist, die dichterische <lb n="pwo_244.028"/> Phantasie, die real nicht zusammenhängenden Erinnerungsbilder <lb n="pwo_244.029"/> mit einer aufs äußerste gesteigerten, nur zunächst unbewußten <lb n="pwo_244.030"/> Energie der Willenskraft und voller, nur unbewußter Wirksamkeit des <lb n="pwo_244.031"/> regulierenden Verstandes kombiniert.</p> <lb n="pwo_244.032"/> <p> Eine anderweitige „Berührung“ zwischen Genie und Wahnsinn <lb n="pwo_244.033"/> hat man aus dem häufigen Auftreten geistiger Störungen in genialen <lb n="pwo_244.034"/> Familien entnehmen wollen. Teilweise verhalten sich aber auch nach <lb n="pwo_244.035"/> dieser Richtung Genie und Wahnsinn wie äußerste Energie des Geistes <lb n="pwo_244.036"/> und seine äußerste Erschöpfung, die sich ja gewiß „berühren“, </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [244/0258]
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noch so vollkommen ausgeführt: vielleicht ist die Rüstung eines Kämpfers pwo_244.002
nicht eingehend beschrieben, und unbewußt übernimmt der Dichter pwo_244.003
solche Schilderung aus anderweitiger unmittelbaren oder durch eine pwo_244.004
anderweitige Darstellung vermittelten Anschauung; oder er verwechselt pwo_244.005
ähnliche. Weitere Kombination geschieht durch mißverstehende, weil pwo_244.006
zunächst unbeabsichtigte Verschiebung und Vermischung von verwandten pwo_244.007
Ereignissen und Personen oder selbst von Personen mit verwandtem pwo_244.008
Namen.
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Bei alledem bleibt die Anschauung eine wesentliche Stütze der pwo_244.010
Erinnerung bei ihrer Reproduktions- und Assoziationsthätigkeit: die pwo_244.011
selbst geschauten Kämpfe, die selbst geschauten Helden bilden den Nährboden pwo_244.012
für das freie Spiel der Phantasie.
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Man hat diese Freiheit dichterischer Jdeenassoziation mit dem pwo_244.014
Traum verglichen und sogar auf Berührung mit dem Wahnsinn pwo_244.015
hingewiesen. Treffend begrenzt aber bereits Wilhelm Dilthey: „Diese pwo_244.016
Verwandtschaft entsteht aus der Abwesenheit der Bedingungen, die pwo_244.017
sonst Vorstellungen regulieren; jedoch wird sie in dem Träumenden, pwo_244.018
dem Jrren oder Hypnotischen durch Ursachen ganz andrer Art hervorgebracht, pwo_244.019
als in dem Künstler oder Dichter; dort ist der erworbene pwo_244.020
Zusammenhang des Seelenlebens gemindert, hier wird seine ganze pwo_244.021
Energie in der Richtung freien Schaffens verwandt.“ – Ja, es pwo_244.022
leuchtet ein, daß die scheinbare Berührung in Wirklichkeit vielmehr pwo_244.023
auf einen Gegensatz hinausläuft: der träumende Geist kombiniert pwo_244.024
willenlos Erinnerungsbilder unter vorübergehender Einschläferung des pwo_244.025
regulierenden Verstandes; der irre Geist kombiniert Erinnerungsbilder pwo_244.026
mit teilweise beschränkter Willenskraft unter krankhafter Störung des pwo_244.027
regulierenden Verstandes; wohingegen der geniale Geist, die dichterische pwo_244.028
Phantasie, die real nicht zusammenhängenden Erinnerungsbilder pwo_244.029
mit einer aufs äußerste gesteigerten, nur zunächst unbewußten pwo_244.030
Energie der Willenskraft und voller, nur unbewußter Wirksamkeit des pwo_244.031
regulierenden Verstandes kombiniert.
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Eine anderweitige „Berührung“ zwischen Genie und Wahnsinn pwo_244.033
hat man aus dem häufigen Auftreten geistiger Störungen in genialen pwo_244.034
Familien entnehmen wollen. Teilweise verhalten sich aber auch nach pwo_244.035
dieser Richtung Genie und Wahnsinn wie äußerste Energie des Geistes pwo_244.036
und seine äußerste Erschöpfung, die sich ja gewiß „berühren“,
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