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Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.

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Die Anschauung vermittelt nur die äußere Gestalt und Bewegung pwo_243.002
der Naturkörper und Naturerscheinungen. Von dieser Gestalt pwo_243.003
und Bewegung wird auch noch der Eindruck auf das Gemüt bestimmt. pwo_243.004
Jndem aber der Dichtergeist diesen zu ergründen sucht, wird pwo_243.005
sein Vorstellungsvermögen, eben die Phantasie, herausgefordert. Sie pwo_243.006
nun überträgt aus der zunächst vertrauten organischen Welt, aus dem pwo_243.007
menschlichen und tierischen Bereich, die vertrauten Vorstellungen auf pwo_243.008
die unbekannte Welt. Aus der Wirkung wird auf die Kraft geschlossen, pwo_243.009
entsprechende menschliche und tierische Eigenschaften werden pwo_243.010
allen Naturerscheinungen je nach verwandter Wirkung beigelegt. So pwo_243.011
bekundet sich die Phantasie in ihrer vollen Lebhaftigkeit durch ununterbrochene pwo_243.012
Jdeenassoziation.

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Schon hier wird klar, daß die dichterische Erfindung keine pwo_243.014
Schöpfung aus dem Nichts bedeutet, sondern eine freie, zunächst sich pwo_243.015
aber ihrer Freiheit nicht einmal bewußte Kombination vorhandener pwo_243.016
Thatsachen.

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Scheinbar tritt uns mit der heroischen Epoche der Sänger in pwo_243.018
einer neuen Funktion entgegen. Er berichtet über die Thaten von pwo_243.019
Helden der Vorzeit nach der ihm gewordenen Ueberlieferung, wie sie pwo_243.020
sich von Geschlecht zu Geschlecht fortpflanzt. Stark ausgebildetes pwo_243.021
Erinnerungsvermögen gesellt sich danach den dichterischen Funktionen pwo_243.022
hinzu. Jndes darf in einer durch die Oberfläche zum Kern pwo_243.023
vordringenden Kunstlehre dies Erinnerungsvermögen keineswegs nur pwo_243.024
in dem äußerlichen Sinne eines guten Gedächtnisses Raum beanspruchen. pwo_243.025
Weit hinaus über die Bewahrung des bloßen Stoffes hat pwo_243.026
der Dichter Vorstellungen, Gestalten, Erinnerungsbilder zu bewahren, pwo_243.027
demnach die Anschauung, die seine Phantasie mit dem überlieferten pwo_243.028
Stoff verbunden hat. Wo die unmittelbar wirkliche pwo_243.029
Anschauung fehlt, erwirbt die Phantasie eine mittelbare pwo_243.030
Anschauung durch Uebertragung und Ausgestaltung pwo_243.031
von Erinnerungsbildern aus den verwandten Bereichen pwo_243.032
der unmittelbaren Erfahrung.

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Auch im einzelnen bleibt der Jnhalt der Ueberlieferung keineswegs pwo_243.034
starr und unverändert. Durch unbewußte Kombination greift pwo_243.035
eine andauernde Umbildung ein. Vor allem fühlt sich die Phantasie pwo_243.036
zur Ausfüllung von Lücken herausgefordert. Eine Kampfepisode sei

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  Die Anschauung vermittelt nur die äußere Gestalt und Bewegung pwo_243.002
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allen Naturerscheinungen je nach verwandter Wirkung beigelegt. So pwo_243.011
bekundet sich die Phantasie in ihrer vollen Lebhaftigkeit durch ununterbrochene pwo_243.012
Jdeenassoziation.

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  Schon hier wird klar, daß die dichterische Erfindung keine pwo_243.014
Schöpfung aus dem Nichts bedeutet, sondern eine freie, zunächst sich pwo_243.015
aber ihrer Freiheit nicht einmal bewußte Kombination vorhandener pwo_243.016
Thatsachen.

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  Scheinbar tritt uns mit der heroischen Epoche der Sänger in pwo_243.018
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Anschauung durch Uebertragung und Ausgestaltung pwo_243.031
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der unmittelbaren Erfahrung.

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  Auch im einzelnen bleibt der Jnhalt der Ueberlieferung keineswegs pwo_243.034
starr und unverändert. Durch unbewußte Kombination greift pwo_243.035
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[243/0257] pwo_243.001   Die Anschauung vermittelt nur die äußere Gestalt und Bewegung pwo_243.002 der Naturkörper und Naturerscheinungen. Von dieser Gestalt pwo_243.003 und Bewegung wird auch noch der Eindruck auf das Gemüt bestimmt. pwo_243.004 Jndem aber der Dichtergeist diesen zu ergründen sucht, wird pwo_243.005 sein Vorstellungsvermögen, eben die Phantasie, herausgefordert. Sie pwo_243.006 nun überträgt aus der zunächst vertrauten organischen Welt, aus dem pwo_243.007 menschlichen und tierischen Bereich, die vertrauten Vorstellungen auf pwo_243.008 die unbekannte Welt. Aus der Wirkung wird auf die Kraft geschlossen, pwo_243.009 entsprechende menschliche und tierische Eigenschaften werden pwo_243.010 allen Naturerscheinungen je nach verwandter Wirkung beigelegt. So pwo_243.011 bekundet sich die Phantasie in ihrer vollen Lebhaftigkeit durch ununterbrochene pwo_243.012 Jdeenassoziation. pwo_243.013   Schon hier wird klar, daß die dichterische Erfindung keine pwo_243.014 Schöpfung aus dem Nichts bedeutet, sondern eine freie, zunächst sich pwo_243.015 aber ihrer Freiheit nicht einmal bewußte Kombination vorhandener pwo_243.016 Thatsachen. pwo_243.017   Scheinbar tritt uns mit der heroischen Epoche der Sänger in pwo_243.018 einer neuen Funktion entgegen. Er berichtet über die Thaten von pwo_243.019 Helden der Vorzeit nach der ihm gewordenen Ueberlieferung, wie sie pwo_243.020 sich von Geschlecht zu Geschlecht fortpflanzt. Stark ausgebildetes pwo_243.021 Erinnerungsvermögen gesellt sich danach den dichterischen Funktionen pwo_243.022 hinzu. Jndes darf in einer durch die Oberfläche zum Kern pwo_243.023 vordringenden Kunstlehre dies Erinnerungsvermögen keineswegs nur pwo_243.024 in dem äußerlichen Sinne eines guten Gedächtnisses Raum beanspruchen. pwo_243.025 Weit hinaus über die Bewahrung des bloßen Stoffes hat pwo_243.026 der Dichter Vorstellungen, Gestalten, Erinnerungsbilder zu bewahren, pwo_243.027 demnach die Anschauung, die seine Phantasie mit dem überlieferten pwo_243.028 Stoff verbunden hat. Wo die unmittelbar wirkliche pwo_243.029 Anschauung fehlt, erwirbt die Phantasie eine mittelbare pwo_243.030 Anschauung durch Uebertragung und Ausgestaltung pwo_243.031 von Erinnerungsbildern aus den verwandten Bereichen pwo_243.032 der unmittelbaren Erfahrung. pwo_243.033   Auch im einzelnen bleibt der Jnhalt der Ueberlieferung keineswegs pwo_243.034 starr und unverändert. Durch unbewußte Kombination greift pwo_243.035 eine andauernde Umbildung ein. Vor allem fühlt sich die Phantasie pwo_243.036 zur Ausfüllung von Lücken herausgefordert. Eine Kampfepisode sei

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Zitationshilfe: Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_poetik_1899/257>, abgerufen am 24.11.2024.