Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_240.001 Das Seelenleben des Dichters. pwo_240.002 § 93. pwo_240.003 pwo_240.004Die Erfahrung über die Dichterseele. Die Werke der Dichtkunst ließen wir für sich selbst sprechen, um pwo_240.005 Zunächst hebt nun aber solch Verfahren mannigfache Züge hervor, pwo_240.013 pwo_240.001 Das Seelenleben des Dichters. pwo_240.002 § 93. pwo_240.003 pwo_240.004Die Erfahrung über die Dichterseele. Die Werke der Dichtkunst ließen wir für sich selbst sprechen, um pwo_240.005 Zunächst hebt nun aber solch Verfahren mannigfache Züge hervor, pwo_240.013 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0254" n="E240"/> </div> </div> </div> <div n="2"> <lb n="pwo_240.001"/> <head> <hi rendition="#c">Das Seelenleben des Dichters.</hi> </head> <div n="3"> <lb n="pwo_240.002"/> <head> <hi rendition="#c">§ 93. <lb n="pwo_240.003"/> Die Erfahrung über die Dichterseele.</hi> </head> <lb n="pwo_240.004"/> <p> Die Werke der Dichtkunst ließen wir für sich selbst sprechen, um <lb n="pwo_240.005"/> durch Jnduktion das Wesen der poetischen Gattungen zu bestimmen. <lb n="pwo_240.006"/> Es liegt nahe, ähnlich die Funktion des Dichters, die Beschaffenheit <lb n="pwo_240.007"/> der Dichterseele zu bestimmen, indem man die Dichter selbst befragt. <lb n="pwo_240.008"/> Hier, scheint es, fließt das Material für eine Betrachtungsweise, die <lb n="pwo_240.009"/> sich wie die unsere auf Zeugnisse stützt, in reicher Fülle. Selbstgeständnisse, <lb n="pwo_240.010"/> Tagebücher, Briefe, Gespräche sammelt man seit mehr <lb n="pwo_240.011"/> als einem Jahrhundert mit übermäßigem Eifer.</p> <lb n="pwo_240.012"/> <p> Zunächst hebt nun aber solch Verfahren mannigfache Züge hervor, <lb n="pwo_240.013"/> die bestenfalls subjektive Begleiterscheinungen der Dichtergabe, <lb n="pwo_240.014"/> nicht das Wesen, die ausschlaggebende Voraussetzung des dichterischen <lb n="pwo_240.015"/> Prozesses darstellen. Ueberdies bleiben diese Zeugnisse fast ausschließlich <lb n="pwo_240.016"/> auf die neuere und neueste Zeit beschränkt und führen in ihrer <lb n="pwo_240.017"/> zusammenhangslosen Nebeneinanderstellung zu keinerlei allgemeingültigem <lb n="pwo_240.018"/> Ergebnis. Jst vor allem der Dichter selbst wirklich der objektive <lb n="pwo_240.019"/> Gegenstand, sein Selbstgeständnis das objektive Material induktiver <lb n="pwo_240.020"/> Erfahrung über die Dichterseele, über den Jnbegriff der Dichtergabe? <lb n="pwo_240.021"/> Vielmehr gelangt auch er nicht über den Charakter des subjektiven <lb n="pwo_240.022"/> Zeugen hinaus, sein Zeugnis stellt immer bis zum gewissen <lb n="pwo_240.023"/> Grade eine Reflexion über sein Wesen, nicht dieses selbst dar; und <lb n="pwo_240.024"/> so gewiß seine unbewußten Offenbarungen der Prüfung wert erscheinen, <lb n="pwo_240.025"/> bleibt der Mensch doch immer der verdächtigste Zeuge über <lb n="pwo_240.026"/> sich selbst.</p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [E240/0254]
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Das Seelenleben des Dichters. pwo_240.002
§ 93. pwo_240.003
Die Erfahrung über die Dichterseele. pwo_240.004
Die Werke der Dichtkunst ließen wir für sich selbst sprechen, um pwo_240.005
durch Jnduktion das Wesen der poetischen Gattungen zu bestimmen. pwo_240.006
Es liegt nahe, ähnlich die Funktion des Dichters, die Beschaffenheit pwo_240.007
der Dichterseele zu bestimmen, indem man die Dichter selbst befragt. pwo_240.008
Hier, scheint es, fließt das Material für eine Betrachtungsweise, die pwo_240.009
sich wie die unsere auf Zeugnisse stützt, in reicher Fülle. Selbstgeständnisse, pwo_240.010
Tagebücher, Briefe, Gespräche sammelt man seit mehr pwo_240.011
als einem Jahrhundert mit übermäßigem Eifer.
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Zunächst hebt nun aber solch Verfahren mannigfache Züge hervor, pwo_240.013
die bestenfalls subjektive Begleiterscheinungen der Dichtergabe, pwo_240.014
nicht das Wesen, die ausschlaggebende Voraussetzung des dichterischen pwo_240.015
Prozesses darstellen. Ueberdies bleiben diese Zeugnisse fast ausschließlich pwo_240.016
auf die neuere und neueste Zeit beschränkt und führen in ihrer pwo_240.017
zusammenhangslosen Nebeneinanderstellung zu keinerlei allgemeingültigem pwo_240.018
Ergebnis. Jst vor allem der Dichter selbst wirklich der objektive pwo_240.019
Gegenstand, sein Selbstgeständnis das objektive Material induktiver pwo_240.020
Erfahrung über die Dichterseele, über den Jnbegriff der Dichtergabe? pwo_240.021
Vielmehr gelangt auch er nicht über den Charakter des subjektiven pwo_240.022
Zeugen hinaus, sein Zeugnis stellt immer bis zum gewissen pwo_240.023
Grade eine Reflexion über sein Wesen, nicht dieses selbst dar; und pwo_240.024
so gewiß seine unbewußten Offenbarungen der Prüfung wert erscheinen, pwo_240.025
bleibt der Mensch doch immer der verdächtigste Zeuge über pwo_240.026
sich selbst.
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(2015-09-30T09:54:39Z)
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