Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_230.001 Außer den vorherrschenden sozialen Stoffen unmittelbar aus der pwo_230.004 Die Aufführung geschah zunächst nicht öffentlich, sondern in Privathäusern pwo_230.017 Diese jungen Advokaten waren es, welche den noch heute lebendigen pwo_230.025 pwo_230.001 Außer den vorherrschenden sozialen Stoffen unmittelbar aus der pwo_230.004 Die Aufführung geschah zunächst nicht öffentlich, sondern in Privathäusern pwo_230.017 Diese jungen Advokaten waren es, welche den noch heute lebendigen pwo_230.025 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0244" n="230"/><lb n="pwo_230.001"/> zur Notwendigkeit; und nun entfaltet sich die heitere Gattung in <lb n="pwo_230.002"/> üppigster Selbständigkeit.</p> <lb n="pwo_230.003"/> <p> Außer den vorherrschenden sozialen Stoffen unmittelbar aus der <lb n="pwo_230.004"/> Gegenwart behandelten die so zur Ausbildung gelangten Fastnachtspiele <lb n="pwo_230.005"/> und sonstigen heitern Dramen auch politische und historische <lb n="pwo_230.006"/> Themata. Die Komik bestand in Schimpfwörtern und Flüchen, leiblichen <lb n="pwo_230.007"/> Gebrechen, Schlägereien, Fressen und besonders Saufen, vor <lb n="pwo_230.008"/> allem aber in Unanständigkeiten. Daneben erscheinen komische Typen: <lb n="pwo_230.009"/> Krämer, Aerzte, Juden, alte Weiber, plumpe und schmutzige Bauern, <lb n="pwo_230.010"/> – vor allem auch der Teufel selbst als komische Person. Das macht: <lb n="pwo_230.011"/> das Laster wird als Narrheit gefaßt, und so erscheinen doch alle <lb n="pwo_230.012"/> niedrigkomischen Worte, Situationen und Typen dem befreienden und <lb n="pwo_230.013"/> immerhin schon erhebenden Prinzip untergeordnet, daß heitere Betrachtung <lb n="pwo_230.014"/> des Lebens über den Ekel und Aerger am Rohstoff <lb n="pwo_230.015"/> hinausführt.</p> <lb n="pwo_230.016"/> <p> Die Aufführung geschah zunächst nicht öffentlich, sondern in Privathäusern <lb n="pwo_230.017"/> bei Privatgesellschaften zum Fastnachtsschmaus. Jn Paris <lb n="pwo_230.018"/> thaten sich vornehme junge Leute als „<hi rendition="#aq">Enfans sans soucy</hi>“ zusammen, <lb n="pwo_230.019"/> um dergleichen dramatische Karnevalsscherze als Nachspiele <lb n="pwo_230.020"/> zu den Mysterien darzustellen. Eine andre Gesellschaft aus juristischen <lb n="pwo_230.021"/> Kreisen, die „<hi rendition="#aq">Clercs de la Bazoche</hi>“, welche zuerst Moralitäten <lb n="pwo_230.022"/> aufgeführt und in diesen bereits der Satire weiten Spielraum <lb n="pwo_230.023"/> gewährt hatten, zogen später die Farce in ihren Wirkungskreis.</p> <lb n="pwo_230.024"/> <p> Diese jungen Advokaten waren es, welche den noch heute lebendigen <lb n="pwo_230.025"/> und wirksamen „Meister Pathelin“ zur Aufführung brachten. <lb n="pwo_230.026"/> Das berühmte Stück bietet einen recht lehrreichen Beitrag zur Erkenntnis <lb n="pwo_230.027"/> sieghafter Komik. Weit entfernt von bitteren Ausfällen etwa <lb n="pwo_230.028"/> gegen Feinde ihres Standes, stellen die Advokaten einen Angehöriger <lb n="pwo_230.029"/> ihres Standes ganz nach der karikierenden populären Meinung als <lb n="pwo_230.030"/> zungenfertigen, geriebenen Rechtsverdreher dar, welcher überdies von <lb n="pwo_230.031"/> einem beschränkten Schäfer selbst geprellt, mit seinen eigenen Waffen <lb n="pwo_230.032"/> geschlagen wird. Der Betrüger wird zum Betrogenen: wiederum erwächst <lb n="pwo_230.033"/> die Heiterkeit aus dem Gegensatz zu dem, was der ernste Verlauf <lb n="pwo_230.034"/> der Dinge zu bringen schien; wiederum hält sich ein Kreis ein <lb n="pwo_230.035"/> heiteres, harmloses Gegenbild des Lebens, noch dazu des eigenen, <lb n="pwo_230.036"/> vor, – nicht um sich oder andre ernstlich zu entlarven, nur um sich </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [230/0244]
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zur Notwendigkeit; und nun entfaltet sich die heitere Gattung in pwo_230.002
üppigster Selbständigkeit.
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Außer den vorherrschenden sozialen Stoffen unmittelbar aus der pwo_230.004
Gegenwart behandelten die so zur Ausbildung gelangten Fastnachtspiele pwo_230.005
und sonstigen heitern Dramen auch politische und historische pwo_230.006
Themata. Die Komik bestand in Schimpfwörtern und Flüchen, leiblichen pwo_230.007
Gebrechen, Schlägereien, Fressen und besonders Saufen, vor pwo_230.008
allem aber in Unanständigkeiten. Daneben erscheinen komische Typen: pwo_230.009
Krämer, Aerzte, Juden, alte Weiber, plumpe und schmutzige Bauern, pwo_230.010
– vor allem auch der Teufel selbst als komische Person. Das macht: pwo_230.011
das Laster wird als Narrheit gefaßt, und so erscheinen doch alle pwo_230.012
niedrigkomischen Worte, Situationen und Typen dem befreienden und pwo_230.013
immerhin schon erhebenden Prinzip untergeordnet, daß heitere Betrachtung pwo_230.014
des Lebens über den Ekel und Aerger am Rohstoff pwo_230.015
hinausführt.
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Die Aufführung geschah zunächst nicht öffentlich, sondern in Privathäusern pwo_230.017
bei Privatgesellschaften zum Fastnachtsschmaus. Jn Paris pwo_230.018
thaten sich vornehme junge Leute als „Enfans sans soucy“ zusammen, pwo_230.019
um dergleichen dramatische Karnevalsscherze als Nachspiele pwo_230.020
zu den Mysterien darzustellen. Eine andre Gesellschaft aus juristischen pwo_230.021
Kreisen, die „Clercs de la Bazoche“, welche zuerst Moralitäten pwo_230.022
aufgeführt und in diesen bereits der Satire weiten Spielraum pwo_230.023
gewährt hatten, zogen später die Farce in ihren Wirkungskreis.
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Diese jungen Advokaten waren es, welche den noch heute lebendigen pwo_230.025
und wirksamen „Meister Pathelin“ zur Aufführung brachten. pwo_230.026
Das berühmte Stück bietet einen recht lehrreichen Beitrag zur Erkenntnis pwo_230.027
sieghafter Komik. Weit entfernt von bitteren Ausfällen etwa pwo_230.028
gegen Feinde ihres Standes, stellen die Advokaten einen Angehöriger pwo_230.029
ihres Standes ganz nach der karikierenden populären Meinung als pwo_230.030
zungenfertigen, geriebenen Rechtsverdreher dar, welcher überdies von pwo_230.031
einem beschränkten Schäfer selbst geprellt, mit seinen eigenen Waffen pwo_230.032
geschlagen wird. Der Betrüger wird zum Betrogenen: wiederum erwächst pwo_230.033
die Heiterkeit aus dem Gegensatz zu dem, was der ernste Verlauf pwo_230.034
der Dinge zu bringen schien; wiederum hält sich ein Kreis ein pwo_230.035
heiteres, harmloses Gegenbild des Lebens, noch dazu des eigenen, pwo_230.036
vor, – nicht um sich oder andre ernstlich zu entlarven, nur um sich
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