Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_223.001 "Denn alle, die einst wettkämpften mit ihm, hat er ja, der eine, bewältigt, pwo_223.002 pwo_223.021Die Lumpen und Not aushöhnten und stets sich herum nur balgten mit pwo_223.003 Läusen. pwo_223.004 Die Herakles dann, die ewig den Mund vollkneteten, hungernd und lungernd, pwo_223.005 Und die Flüchtlinge dort und das Gaunergezücht und was zum Vergnügen pwo_223.006 sich durchpeitscht, pwo_223.007 Die trieb er zuerst mit Schande hinweg; auch schuf er der Sklaven Erlösung, pwo_223.008 Die stets auftraten mit lautem Geheul, nur aus dem ergötzlichen Grunde, pwo_223.009 Daß mit höhnischem Spott ihr Mitknecht dann sie wegen der Schläge befragte: pwo_223.010 Armseliger, ach, was traf dir das Fell? Brach etwa der borstige Zagel pwo_223.011 Mit Heeresgewalt in die Flanken dir ein und zerbläute dir tüchtig den Rücken? pwo_223.012 Solch faules Geschwätz, solch häßlichen Schund, solch widrige Fratzen vertrieb pwo_223.013 er pwo_223.014 Und erschuf uns groß die gesunkene Kunst und türmte den Bau in die Lüfte pwo_223.015 Mit Gedanken und Wort von erhabnem Gehalt und nicht marktähnlichen pwo_223.016 Witzen, pwo_223.017 Das Gewöhnliche nicht durchziehend mit Spott, alltägliche Männlein und pwo_223.018 Weiblein: pwo_223.019 Nein, Herakleswut in der zornigen Brust, legt er an die Mächtigsten pwo_223.020 Hand an." Da erscheint also neben Alltäglichkeit der Stoffe und Seichtheit der pwo_223.022 pwo_223.001 „Denn alle, die einst wettkämpften mit ihm, hat er ja, der eine, bewältigt, pwo_223.002 pwo_223.021Die Lumpen und Not aushöhnten und stets sich herum nur balgten mit pwo_223.003 Läusen. pwo_223.004 Die Herakles dann, die ewig den Mund vollkneteten, hungernd und lungernd, pwo_223.005 Und die Flüchtlinge dort und das Gaunergezücht und was zum Vergnügen pwo_223.006 sich durchpeitscht, pwo_223.007 Die trieb er zuerst mit Schande hinweg; auch schuf er der Sklaven Erlösung, pwo_223.008 Die stets auftraten mit lautem Geheul, nur aus dem ergötzlichen Grunde, pwo_223.009 Daß mit höhnischem Spott ihr Mitknecht dann sie wegen der Schläge befragte: pwo_223.010 Armseliger, ach, was traf dir das Fell? Brach etwa der borstige Zagel pwo_223.011 Mit Heeresgewalt in die Flanken dir ein und zerbläute dir tüchtig den Rücken? pwo_223.012 Solch faules Geschwätz, solch häßlichen Schund, solch widrige Fratzen vertrieb pwo_223.013 er pwo_223.014 Und erschuf uns groß die gesunkene Kunst und türmte den Bau in die Lüfte pwo_223.015 Mit Gedanken und Wort von erhabnem Gehalt und nicht marktähnlichen pwo_223.016 Witzen, pwo_223.017 Das Gewöhnliche nicht durchziehend mit Spott, alltägliche Männlein und pwo_223.018 Weiblein: pwo_223.019 Nein, Herakleswut in der zornigen Brust, legt er an die Mächtigsten pwo_223.020 Hand an.“ Da erscheint also neben Alltäglichkeit der Stoffe und Seichtheit der pwo_223.022 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0237" n="223"/> <lb n="pwo_223.001"/> <lg> <l>„Denn alle, die einst wettkämpften mit ihm, hat er ja, der eine, bewältigt,</l> <lb n="pwo_223.002"/> <l>Die Lumpen und Not aushöhnten und stets sich herum nur balgten mit <lb n="pwo_223.003"/> Läusen.</l> <lb n="pwo_223.004"/> <l>Die Herakles dann, die ewig den Mund vollkneteten, hungernd und lungernd,</l> <lb n="pwo_223.005"/> <l>Und die Flüchtlinge dort und das Gaunergezücht und was zum Vergnügen <lb n="pwo_223.006"/> sich durchpeitscht,</l> <lb n="pwo_223.007"/> <l>Die trieb er zuerst mit Schande hinweg; auch schuf er der Sklaven Erlösung,</l> <lb n="pwo_223.008"/> <l>Die stets auftraten mit lautem Geheul, nur aus dem ergötzlichen Grunde,</l> <lb n="pwo_223.009"/> <l>Daß mit höhnischem Spott ihr Mitknecht dann sie wegen der Schläge befragte:</l> <lb n="pwo_223.010"/> <l>Armseliger, ach, was traf dir das Fell? 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Die Zeichnung originaler <lb n="pwo_223.024"/> Charaktere mit direkter Anlehnung an individuelle Gestalten <lb n="pwo_223.025"/> bildet auch den bedeutsamsten Ruhmestitel des Aristophanes. Jndem <lb n="pwo_223.026"/> er mit Vorliebe Gestalten aus seiner eigenen Zeit, bald einen Kleon, <lb n="pwo_223.027"/> bald Sokrates, bald Euripides, aufgreift und teils unmittelbar, teils <lb n="pwo_223.028"/> in leicht durchsichtiger Hülle auf die Scene bringt, selbst ihr äußeres <lb n="pwo_223.029"/> Auftreten und ihre Gewohnheiten aufnimmt, giebt er seinen Figuren <lb n="pwo_223.030"/> einen gewissen Anstrich von Jndividualität, obschon er sie im Kern <lb n="pwo_223.031"/> als Typen faßt und seine Modelle ausdrücklich nach dieser Richtung <lb n="pwo_223.032"/> verallgemeinert. Namentlich in den „Wolken“ hat man denn auch <lb n="pwo_223.033"/> die Zeichnung des Sokrates nach dem Typus der Sophisten von je <lb n="pwo_223.034"/> her übel empfunden. Jmmerhin bricht hier fast überall bereits das <lb n="pwo_223.035"/> Wesen des Charakterdramas durch. Von den Menschen und ihrem <lb n="pwo_223.036"/> Wesen, nicht von Ereignissen und Schicksalen, geht ja der Dichter bereits <lb n="pwo_223.037"/> aus. So wird denn die Komik des Aristophanes zunehmend <lb n="pwo_223.038"/> Charakterkomik. Allerdings verschmäht selbst er noch nicht die Hauptmittel <lb n="pwo_223.039"/> früher Komik: Unanständigkeiten und Prügel. Aber es handelt </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [223/0237]
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„Denn alle, die einst wettkämpften mit ihm, hat er ja, der eine, bewältigt, pwo_223.002
Die Lumpen und Not aushöhnten und stets sich herum nur balgten mit pwo_223.003
Läusen. pwo_223.004
Die Herakles dann, die ewig den Mund vollkneteten, hungernd und lungernd, pwo_223.005
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sich durchpeitscht, pwo_223.007
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Armseliger, ach, was traf dir das Fell? Brach etwa der borstige Zagel pwo_223.011
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Solch faules Geschwätz, solch häßlichen Schund, solch widrige Fratzen vertrieb pwo_223.013
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Weiblein: pwo_223.019
Nein, Herakleswut in der zornigen Brust, legt er an die Mächtigsten pwo_223.020
Hand an.“
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Da erscheint also neben Alltäglichkeit der Stoffe und Seichtheit der pwo_223.022
Sprache bereits die konventionelle Wiederkehr gewisser niedrigkomischer pwo_223.023
Typen als bezeichnend für die frühe Komödie. Die Zeichnung originaler pwo_223.024
Charaktere mit direkter Anlehnung an individuelle Gestalten pwo_223.025
bildet auch den bedeutsamsten Ruhmestitel des Aristophanes. Jndem pwo_223.026
er mit Vorliebe Gestalten aus seiner eigenen Zeit, bald einen Kleon, pwo_223.027
bald Sokrates, bald Euripides, aufgreift und teils unmittelbar, teils pwo_223.028
in leicht durchsichtiger Hülle auf die Scene bringt, selbst ihr äußeres pwo_223.029
Auftreten und ihre Gewohnheiten aufnimmt, giebt er seinen Figuren pwo_223.030
einen gewissen Anstrich von Jndividualität, obschon er sie im Kern pwo_223.031
als Typen faßt und seine Modelle ausdrücklich nach dieser Richtung pwo_223.032
verallgemeinert. Namentlich in den „Wolken“ hat man denn auch pwo_223.033
die Zeichnung des Sokrates nach dem Typus der Sophisten von je pwo_223.034
her übel empfunden. Jmmerhin bricht hier fast überall bereits das pwo_223.035
Wesen des Charakterdramas durch. Von den Menschen und ihrem pwo_223.036
Wesen, nicht von Ereignissen und Schicksalen, geht ja der Dichter bereits pwo_223.037
aus. So wird denn die Komik des Aristophanes zunehmend pwo_223.038
Charakterkomik. Allerdings verschmäht selbst er noch nicht die Hauptmittel pwo_223.039
früher Komik: Unanständigkeiten und Prügel. Aber es handelt
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Zitationshilfe: | Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_poetik_1899/237>, abgerufen am 27.07.2024. |