Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_215.001 "Was klagt ihr? Warum weint ihr? Freuen solltet pwo_215.004 pwo_215.012Jhr euch mit mir, daß meiner Leiden Ziel pwo_215.005 Nun endlich naht, daß meine Bande fallen, pwo_215.006 Mein Kerker aufgeht, und die frohe Seele sich pwo_215.007 Auf Engelsflügeln schwingt zur ew'gen Freiheit ... pwo_215.008 Wohlthätig, heilend nahet mir der Tod, pwo_215.009 Der ernste Freund! Mit seinen schwarzen Flügeln pwo_215.010 Bedeckt er meine Schmach - Den Menschen adelt, pwo_215.011 Den tiefstgesunkenen, das letzte Schicksal." Damit spricht die sterbende Maria Stuart für ihren Fall aus, was pwo_215.013 "Der die Verwirrung sandte, wird sie lösen! pwo_215.022 pwo_215.035Nur, wenn sie reif ist, fällt des Schicksals Frucht! pwo_215.023 Ein Tag wird kommen, der mich reiniget. pwo_215.024 Und die mich jetzt verworfen und verdammt, pwo_215.025 Sie werden ihres Wahnes inne werden, pwo_215.026 Und Thränen werden meinem Schicksal fließen ... pwo_215.027 Du siehst nur das Natürliche der Dinge, pwo_215.028 Denn deinen Blick umhüllt das ird'sche Band. pwo_215.029 Jch habe das Unsterbliche mit Augen pwo_215.030 Gesehen - Ohne Götter fällt kein Haar pwo_215.031 Vom Haupt des Menschen - Siehst du dort die Sonne pwo_215.032 Am Himmel niedergehen - So gewiß pwo_215.033 Sie morgen wiederkehrt in ihrer Klarheit, pwo_215.034 So unausbleiblich kommt der Tag der Wahrheit!" Jnfolge solcher konsequenten Durchführung der idealen Einheit zwischen pwo_215.036 pwo_215.001 „Was klagt ihr? Warum weint ihr? Freuen solltet pwo_215.004 pwo_215.012Jhr euch mit mir, daß meiner Leiden Ziel pwo_215.005 Nun endlich naht, daß meine Bande fallen, pwo_215.006 Mein Kerker aufgeht, und die frohe Seele sich pwo_215.007 Auf Engelsflügeln schwingt zur ew'gen Freiheit ... pwo_215.008 Wohlthätig, heilend nahet mir der Tod, pwo_215.009 Der ernste Freund! Mit seinen schwarzen Flügeln pwo_215.010 Bedeckt er meine Schmach – Den Menschen adelt, pwo_215.011 Den tiefstgesunkenen, das letzte Schicksal.“ Damit spricht die sterbende Maria Stuart für ihren Fall aus, was pwo_215.013 „Der die Verwirrung sandte, wird sie lösen! pwo_215.022 pwo_215.035Nur, wenn sie reif ist, fällt des Schicksals Frucht! pwo_215.023 Ein Tag wird kommen, der mich reiniget. pwo_215.024 Und die mich jetzt verworfen und verdammt, pwo_215.025 Sie werden ihres Wahnes inne werden, pwo_215.026 Und Thränen werden meinem Schicksal fließen ... pwo_215.027 Du siehst nur das Natürliche der Dinge, pwo_215.028 Denn deinen Blick umhüllt das ird'sche Band. pwo_215.029 Jch habe das Unsterbliche mit Augen pwo_215.030 Gesehen – Ohne Götter fällt kein Haar pwo_215.031 Vom Haupt des Menschen – Siehst du dort die Sonne pwo_215.032 Am Himmel niedergehen – So gewiß pwo_215.033 Sie morgen wiederkehrt in ihrer Klarheit, pwo_215.034 So unausbleiblich kommt der Tag der Wahrheit!“ Jnfolge solcher konsequenten Durchführung der idealen Einheit zwischen pwo_215.036 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0229" n="215"/><lb n="pwo_215.001"/> Schauer des Todes besiegt und die christliche Jdee der Weltüberwindung <lb n="pwo_215.002"/> zu reinster künstlerischen Ausgestaltung geführt.</p> <lb n="pwo_215.003"/> <lg> <l>„Was klagt ihr? 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Das Schicksal fällt aus Gottes Hand, aber nicht <lb n="pwo_215.015"/> blind verteilt er es, sondern heller sehend als die Sterblichen, nach <lb n="pwo_215.016"/> höchster Gerechtigkeit und aus dem Geiste göttlicher Wahrheit. Nicht <lb n="pwo_215.017"/> das physische Unterliegen bedeutet das letzte Entscheidungslos: das <lb n="pwo_215.018"/> fällt vor dem Forum einer höheren Sittlichkeit. An sie verweist die <lb n="pwo_215.019"/> tragische Muse über den Tod hinaus – wie es am unmittelbarsten <lb n="pwo_215.020"/> die Jungfrau von Orleans ausspricht:</p> <lb n="pwo_215.021"/> <lg> <l>„Der die Verwirrung sandte, wird sie lösen!</l> <lb n="pwo_215.022"/> <l>Nur, wenn sie reif ist, fällt des Schicksals Frucht!</l> <lb n="pwo_215.023"/> <l>Ein Tag wird kommen, der mich reiniget.</l> <lb n="pwo_215.024"/> <l>Und die mich jetzt verworfen und verdammt,</l> <lb n="pwo_215.025"/> <l>Sie werden ihres Wahnes inne werden,</l> <lb n="pwo_215.026"/> <l>Und Thränen werden meinem Schicksal fließen ...</l> <lb n="pwo_215.027"/> <l>Du siehst nur das Natürliche der Dinge,</l> <lb n="pwo_215.028"/> <l>Denn deinen Blick umhüllt das ird'sche Band.</l> <lb n="pwo_215.029"/> <l>Jch habe das Unsterbliche mit Augen</l> <lb n="pwo_215.030"/> <l>Gesehen – Ohne Götter fällt kein Haar</l> <lb n="pwo_215.031"/> <l>Vom Haupt des Menschen – Siehst du dort die Sonne</l> <lb n="pwo_215.032"/> <l>Am Himmel niedergehen – So gewiß</l> <lb n="pwo_215.033"/> <l>Sie morgen wiederkehrt in ihrer Klarheit,</l> <lb n="pwo_215.034"/> <l>So unausbleiblich kommt der Tag der Wahrheit!“</l> </lg> <lb n="pwo_215.035"/> <p>Jnfolge solcher konsequenten Durchführung der idealen Einheit zwischen <lb n="pwo_215.036"/> Charakter und Schicksal bezeichnet den tragischen Stil Schillers ein <lb n="pwo_215.037"/> weites Zurückweichen in der realen und individuellen Darstellung des <lb n="pwo_215.038"/> Charakters. So ist es denn das Ziel aller weiteren dramatischen </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [215/0229]
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Schauer des Todes besiegt und die christliche Jdee der Weltüberwindung pwo_215.002
zu reinster künstlerischen Ausgestaltung geführt.
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„Was klagt ihr? Warum weint ihr? Freuen solltet pwo_215.004
Jhr euch mit mir, daß meiner Leiden Ziel pwo_215.005
Nun endlich naht, daß meine Bande fallen, pwo_215.006
Mein Kerker aufgeht, und die frohe Seele sich pwo_215.007
Auf Engelsflügeln schwingt zur ew'gen Freiheit ... pwo_215.008
Wohlthätig, heilend nahet mir der Tod, pwo_215.009
Der ernste Freund! Mit seinen schwarzen Flügeln pwo_215.010
Bedeckt er meine Schmach – Den Menschen adelt, pwo_215.011
Den tiefstgesunkenen, das letzte Schicksal.“
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Damit spricht die sterbende Maria Stuart für ihren Fall aus, was pwo_215.013
sich uns als Leitmotiv in der Entwicklung des reindeutschen Trauerspiels pwo_215.014
offenbarte. Das Schicksal fällt aus Gottes Hand, aber nicht pwo_215.015
blind verteilt er es, sondern heller sehend als die Sterblichen, nach pwo_215.016
höchster Gerechtigkeit und aus dem Geiste göttlicher Wahrheit. Nicht pwo_215.017
das physische Unterliegen bedeutet das letzte Entscheidungslos: das pwo_215.018
fällt vor dem Forum einer höheren Sittlichkeit. An sie verweist die pwo_215.019
tragische Muse über den Tod hinaus – wie es am unmittelbarsten pwo_215.020
die Jungfrau von Orleans ausspricht:
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„Der die Verwirrung sandte, wird sie lösen! pwo_215.022
Nur, wenn sie reif ist, fällt des Schicksals Frucht! pwo_215.023
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Und die mich jetzt verworfen und verdammt, pwo_215.025
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Denn deinen Blick umhüllt das ird'sche Band. pwo_215.029
Jch habe das Unsterbliche mit Augen pwo_215.030
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Am Himmel niedergehen – So gewiß pwo_215.033
Sie morgen wiederkehrt in ihrer Klarheit, pwo_215.034
So unausbleiblich kommt der Tag der Wahrheit!“
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Charakter und Schicksal bezeichnet den tragischen Stil Schillers ein pwo_215.037
weites Zurückweichen in der realen und individuellen Darstellung des pwo_215.038
Charakters. So ist es denn das Ziel aller weiteren dramatischen
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