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Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.

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Die durchgehenden Zeichen romanischer Kunst begegnen wiederum: pwo_200.002
im Dialog Herrschaft des Pathos, in der Handlung Herrschaft der pwo_200.003
Jntrigue.

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Ein Lope de Vega, der ja schon auf tragischem Gebiet zu nennen pwo_200.005
ist, fesselt durch das Jnteresse der Situationen und ihrer kunstvollen pwo_200.006
Verknüpfung. Seine "Mantel- und Degenstücke" schwelgen in pwo_200.007
tragischen Mitteln des Stoffes, der Mensch bleibt Sklave der Ereignisse. pwo_200.008
Dabei versteht es die Virtuosität des Dichters nicht minder pwo_200.009
kunstvoll den Knoten glücklich zu entwirren als er kunstvoll zu ernster pwo_200.010
Verwicklung gebracht war.

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Zu voller Entfaltung gelangt die tragische Kunst der Spanier pwo_200.012
mit Calderon. Womöglich noch in höherem Maße als die französischen pwo_200.013
Tragiker zeichnet ihn das klangvolle Pathos aus, wie dort pwo_200.014
herrscht die Neigung zur Reflexion und Rhetorik vor. Schönes, pwo_200.015
glattes Ebenmaß, nicht charakteristische Abstufung des Dialogs gilt ihm pwo_200.016
wie seinen Nachfolgern als Jdeal: die Jdeen des Dichters, nicht pwo_200.017
eigentlich die Charaktere der handelnden Personen kommen zur pwo_200.018
Aussprache.

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Nicht der Mensch herrscht über sein Schicksal - dem Schicksal, pwo_200.020
einer unbegreifbaren göttlichen Gewalt, unterliegt der Mensch als pwo_200.021
Sklave. Erbsünde lastet auf der Menschheit von je; der Einzelne pwo_200.022
erliegt seiner Natur, der ungezähmten, ungöttlichen, sofern er sie nicht pwo_200.023
zur Ueberwindung des Eigenwillens emporläutert. Nicht zum Genuß, pwo_200.024
zu Leiden und Entsagung ist der Mensch geboren. Das Leben ein pwo_200.025
Traum - nur in der jenseitigen Welt der Jdeen liegt die Wirklichkeit. pwo_200.026
So ist es die reinste Ausprägung der romanisch-katholischen pwo_200.027
Weltanschauung, die das spanische Trauerspiel durchwebt.

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Der Mensch ist Sklave nicht nur des göttlichen Verhängnisses: pwo_200.029
noch schroffer als in der französischen Schwesterlitteratur unterliegt er pwo_200.030
zugleich völlig der konventionellen Moral, besonders einem auf schärfste pwo_200.031
zugespitzten äußeren Ehrbegriff. Konflikte zwischen Ehre und Liebe pwo_200.032
bilden neben ausschließlichen Liebesverwicklungen den beliebtesten pwo_200.033
Gegenstand des spanischen Dramas. Ueber den Ehrenpunkt geht von pwo_200.034
weltlichen Mächten nur die knechtische Unterwürfigkeit gegen das pwo_200.035
Königtum - auch dieser politische Autoritätsglaube findet nur im pwo_200.036
französischen Drama annähernd seinesgleichen.

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Zitationshilfe: Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_poetik_1899/214>, abgerufen am 24.11.2024.