Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_191.001 "Wo endet es je? wo findet noch Ruh pwo_191.004 pwo_191.005Die besänftigte Macht des Verderbens?" Was die griechische Tragödie heraushebt und vermittelt, ist der leidende pwo_191.006 "O dieses Menschenleben! - wenn es glücklich ist, pwo_191.008 Ein Schatten stört es; ist es kummervoll, so tilgt pwo_191.009 Ein feuchter Schwamm dies Bild, und alle Welt vergißt's; pwo_191.010 Und mehr denn jenes schmerzt mich dies: vergessen ist's! -" pwo_191.011 § 78. pwo_191.012 pwo_191.013Die Anfänge des modernen Dramas. Auch das Drama der modernen Völker läßt sich allerorten auf pwo_191.014 Die geistlichen Spiele der germanischen und romanischen Völker pwo_191.022 pwo_191.001 „Wo endet es je? wo findet noch Ruh pwo_191.004 pwo_191.005Die besänftigte Macht des Verderbens?“ Was die griechische Tragödie heraushebt und vermittelt, ist der leidende pwo_191.006 „O dieses Menschenleben! – wenn es glücklich ist, pwo_191.008 Ein Schatten stört es; ist es kummervoll, so tilgt pwo_191.009 Ein feuchter Schwamm dies Bild, und alle Welt vergißt's; pwo_191.010 Und mehr denn jenes schmerzt mich dies: vergessen ist's! –“ pwo_191.011 § 78. pwo_191.012 pwo_191.013Die Anfänge des modernen Dramas. Auch das Drama der modernen Völker läßt sich allerorten auf pwo_191.014 Die geistlichen Spiele der germanischen und romanischen Völker pwo_191.022 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0205" n="191"/><lb n="pwo_191.001"/> doch nicht vereinzelt ist, so bringt sein Fall die Macht des Verhängnisses <lb n="pwo_191.002"/> überhaupt zur Erkenntnis:</p> <lb n="pwo_191.003"/> <lg> <l>„Wo endet es je? wo findet noch Ruh</l> <lb n="pwo_191.004"/> <l>Die besänftigte Macht des Verderbens?“</l> </lg> <lb n="pwo_191.005"/> <p>Was die griechische Tragödie heraushebt und vermittelt, ist <hi rendition="#g">der leidende <lb n="pwo_191.006"/> Grundzug des Menschenlebens:</hi></p> <lb n="pwo_191.007"/> <lg> <l>„O dieses Menschenleben! – wenn es glücklich ist,</l> <lb n="pwo_191.008"/> <l>Ein Schatten stört es; ist es kummervoll, so tilgt</l> <lb n="pwo_191.009"/> <l>Ein feuchter Schwamm dies Bild, und alle Welt vergißt's;</l> <lb n="pwo_191.010"/> <l>Und mehr denn jenes schmerzt mich dies: vergessen ist's! –“</l> </lg> </div> <div n="4"> <lb n="pwo_191.011"/> <head> <hi rendition="#c">§ 78. <lb n="pwo_191.012"/> Die Anfänge des modernen Dramas.</hi> </head> <lb n="pwo_191.013"/> <p> Auch das Drama der modernen Völker läßt sich allerorten auf <lb n="pwo_191.014"/> <hi rendition="#g">religiösen</hi> und <hi rendition="#g">epischen</hi> Ursprung zurückverfolgen. Aus dem <lb n="pwo_191.015"/> <hi rendition="#g">christlichen</hi> Kultus ist es herausgewachsen: mit der christlichen Weltanschauung <lb n="pwo_191.016"/> schon dadurch aufs engste verknüpft. Der Bericht der <lb n="pwo_191.017"/> Bibel wurde durch scenische Veranschaulichung vergegenwärtigt: so <lb n="pwo_191.018"/> wird der Gang der modernen Tragödie eine Loslösung vom Epischen, <lb n="pwo_191.019"/> ein Begreifen der Ueberlieferung, weiterhin des Weltlaufs, im Geiste <lb n="pwo_191.020"/> des Christentums.</p> <lb n="pwo_191.021"/> <p> Die geistlichen Spiele der germanischen und romanischen Völker <lb n="pwo_191.022"/> sind aus der Passionsgeschichte hervorgegangen. Die Evangelien vom <lb n="pwo_191.023"/> Leiden Christi, wie sie zur Passionszeit in der Kirche vorgetragen <lb n="pwo_191.024"/> wurden, bildeten den ersten und wesentlichsten Ansatzpunkt für die <lb n="pwo_191.025"/> neue Gattung. Die katholische Kirche legte auf ästhetische Ausgestaltung <lb n="pwo_191.026"/> des Kultus besonderes Gewicht. Namentlich gehörte es zur bewährten <lb n="pwo_191.027"/> Kirchenpolitik, heidnische Dichtungen und Lustbarkeiten durch <lb n="pwo_191.028"/> christlich gefärbte zu ersetzen. Es scheint, daß man primitive heidnische <lb n="pwo_191.029"/> Aufzüge verdrängen wollte, als man sich entschloß, scenische <lb n="pwo_191.030"/> Bewegung in die Kirche einzuführen. Zunächst schritt der (lateinische) <lb n="pwo_191.031"/> Gottesdienst zu kunstvollem Wechselgesang zwecks Belebung der Evangelien <lb n="pwo_191.032"/> vor – von deren äußerer Einrichtung noch moderne Passionskompositionen <lb n="pwo_191.033"/> wie die von Bach eine Vorstellung geben. Die Rollen <lb n="pwo_191.034"/> des Heilands und der übrigen Hauptpersonen wurden verteilt gesungen, </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [191/0205]
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doch nicht vereinzelt ist, so bringt sein Fall die Macht des Verhängnisses pwo_191.002
überhaupt zur Erkenntnis:
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„Wo endet es je? wo findet noch Ruh pwo_191.004
Die besänftigte Macht des Verderbens?“
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Was die griechische Tragödie heraushebt und vermittelt, ist der leidende pwo_191.006
Grundzug des Menschenlebens:
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„O dieses Menschenleben! – wenn es glücklich ist, pwo_191.008
Ein Schatten stört es; ist es kummervoll, so tilgt pwo_191.009
Ein feuchter Schwamm dies Bild, und alle Welt vergißt's; pwo_191.010
Und mehr denn jenes schmerzt mich dies: vergessen ist's! –“
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Die Anfänge des modernen Dramas. pwo_191.013
Auch das Drama der modernen Völker läßt sich allerorten auf pwo_191.014
religiösen und epischen Ursprung zurückverfolgen. Aus dem pwo_191.015
christlichen Kultus ist es herausgewachsen: mit der christlichen Weltanschauung pwo_191.016
schon dadurch aufs engste verknüpft. Der Bericht der pwo_191.017
Bibel wurde durch scenische Veranschaulichung vergegenwärtigt: so pwo_191.018
wird der Gang der modernen Tragödie eine Loslösung vom Epischen, pwo_191.019
ein Begreifen der Ueberlieferung, weiterhin des Weltlaufs, im Geiste pwo_191.020
des Christentums.
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sind aus der Passionsgeschichte hervorgegangen. Die Evangelien vom pwo_191.023
Leiden Christi, wie sie zur Passionszeit in der Kirche vorgetragen pwo_191.024
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neue Gattung. Die katholische Kirche legte auf ästhetische Ausgestaltung pwo_191.026
des Kultus besonderes Gewicht. Namentlich gehörte es zur bewährten pwo_191.027
Kirchenpolitik, heidnische Dichtungen und Lustbarkeiten durch pwo_191.028
christlich gefärbte zu ersetzen. Es scheint, daß man primitive heidnische pwo_191.029
Aufzüge verdrängen wollte, als man sich entschloß, scenische pwo_191.030
Bewegung in die Kirche einzuführen. Zunächst schritt der (lateinische) pwo_191.031
Gottesdienst zu kunstvollem Wechselgesang zwecks Belebung der Evangelien pwo_191.032
vor – von deren äußerer Einrichtung noch moderne Passionskompositionen pwo_191.033
wie die von Bach eine Vorstellung geben. Die Rollen pwo_191.034
des Heilands und der übrigen Hauptpersonen wurden verteilt gesungen,
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