Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_006.001 Jn Kant erhob sich die deutsche Philosophie zu klassischer Höhe. pwo_006.004 Unsere klassischen Dichter fühlten sich von dieser kategorischen pwo_006.012 "Gewissensskrupel. pwo_006.015Gerne dien' ich den Freunden, doch thu' ich es leider mit Neigung, pwo_006.016 pwo_006.017Und so wurmt es mir oft, daß ich nicht tugendhaft bin. Decisum. pwo_006.018Da ist kein andrer Rat, du mußt suchen, sie zu verachten, pwo_006.019 pwo_006.020Und mit Abscheu alsdann thun, wie die Pflicht dir gebeut." Schiller war es, der einen Ausgleich zwischen Naturtrieb und Geist, pwo_006.021 Die spekulative Aesthetik erreichte ihren Höhepunkt in Hegel: er pwo_006.027 pwo_006.001 Jn Kant erhob sich die deutsche Philosophie zu klassischer Höhe. pwo_006.004 Unsere klassischen Dichter fühlten sich von dieser kategorischen pwo_006.012 „Gewissensskrupel. pwo_006.015Gerne dien' ich den Freunden, doch thu' ich es leider mit Neigung, pwo_006.016 pwo_006.017Und so wurmt es mir oft, daß ich nicht tugendhaft bin. Decisum. pwo_006.018Da ist kein andrer Rat, du mußt suchen, sie zu verachten, pwo_006.019 pwo_006.020Und mit Abscheu alsdann thun, wie die Pflicht dir gebeut.“ Schiller war es, der einen Ausgleich zwischen Naturtrieb und Geist, pwo_006.021 Die spekulative Aesthetik erreichte ihren Höhepunkt in Hegel: er pwo_006.027 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0020" n="6"/><lb n="pwo_006.001"/> Streben nach Klassifizierung notgedrungen zu einer Abzweigung dieser <lb n="pwo_006.002"/> eigenartigen Seelenfunktion.</p> <lb n="pwo_006.003"/> <p> Jn Kant erhob sich die deutsche Philosophie zu klassischer Höhe. <lb n="pwo_006.004"/> Auf dem Gebiete der Aesthetik bewirkt Kants „Kritik der Urteilskraft“ <lb n="pwo_006.005"/> (1790) nicht eine gleiche Umwälzung wie in der modernen Weltanschauung <lb n="pwo_006.006"/> seine „Kritik der reinen Vernunft“. Fruchtbar wurde vor <lb n="pwo_006.007"/> allem seine eindrucksvolle Begriffsbestimmung des Schönen und des <lb n="pwo_006.008"/> Erhabenen, sowie die Unterordnung des Sinnentriebes und so auch <lb n="pwo_006.009"/> der ästhetischen Neigung unter den Moraltrieb, die eherne Unterjochung <lb n="pwo_006.010"/> des Natürlich-Gefälligen unter das Geistig-Notwendige.</p> <lb n="pwo_006.011"/> <p> Unsere klassischen Dichter fühlten sich von dieser kategorischen <lb n="pwo_006.012"/> Schroffheit abgestoßen. Jn den Xenien parodierten sie den rigoristischen <lb n="pwo_006.013"/> Zug des großen Königsberger Philosophen:</p> <lb n="pwo_006.014"/> <p> <hi rendition="#c">„<hi rendition="#g">Gewissensskrupel</hi>.</hi> </p> <lb n="pwo_006.015"/> <lg> <l>Gerne dien' ich den Freunden, doch thu' ich es leider mit Neigung,</l> <lb n="pwo_006.016"/> <l>Und so wurmt es mir oft, daß ich nicht tugendhaft bin.</l> </lg> <lb n="pwo_006.017"/> <p> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Decisum</hi>.</hi> </p> <lb n="pwo_006.018"/> <lg> <l>Da ist kein andrer Rat, du mußt suchen, sie zu verachten,</l> <lb n="pwo_006.019"/> <l>Und mit Abscheu alsdann thun, wie die Pflicht dir gebeut.“</l> </lg> <lb n="pwo_006.020"/> <p>Schiller war es, der einen Ausgleich zwischen Naturtrieb und Geist, <lb n="pwo_006.021"/> eine freiwillige Unterwerfung des Sinneninstinktes unter das Sittengesetz <lb n="pwo_006.022"/> suchte und gerade in „ästhetischer Erziehung“ fand: so offenbarte <lb n="pwo_006.023"/> sich ihm die Kunst als Mittlerin zwischen den menschlichen Leidenschaften <lb n="pwo_006.024"/> und Pflichten, als Weg zur Vergeistigung der menschlichen <lb n="pwo_006.025"/> Natur.</p> <lb n="pwo_006.026"/> <p> Die spekulative Aesthetik erreichte ihren Höhepunkt in Hegel: er <lb n="pwo_006.027"/> faßt die Kunst nicht allein als eine <hi rendition="#g">Erscheinungsform</hi> des absoluten <lb n="pwo_006.028"/> Geistes, vielmehr als ein <hi rendition="#g">geschichtliches Stadium</hi> desselben <lb n="pwo_006.029"/> und leitet so zu der fruchtbaren entwicklungsgeschichtlichen Betrachtung <lb n="pwo_006.030"/> über, welche sich nicht darauf beschränkt, die Künste in ihrem heutigen <lb n="pwo_006.031"/> Nebeneinander hinzunehmen, sondern ihre Entstehung und ihr ursprüngliches <lb n="pwo_006.032"/> Verhältnis zu erfassen sucht. Die Durchführung dieses richtigen <lb n="pwo_006.033"/> und epochemachenden Prinzips scheitert bei Hegel an der willkürlichen <lb n="pwo_006.034"/> Konstruktion einer solchen Geschichte des menschlichen Geistes. Namentlich <lb n="pwo_006.035"/> handelt er die Religion als eine höhere Stufe des Geistes </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [6/0020]
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Streben nach Klassifizierung notgedrungen zu einer Abzweigung dieser pwo_006.002
eigenartigen Seelenfunktion.
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Jn Kant erhob sich die deutsche Philosophie zu klassischer Höhe. pwo_006.004
Auf dem Gebiete der Aesthetik bewirkt Kants „Kritik der Urteilskraft“ pwo_006.005
(1790) nicht eine gleiche Umwälzung wie in der modernen Weltanschauung pwo_006.006
seine „Kritik der reinen Vernunft“. Fruchtbar wurde vor pwo_006.007
allem seine eindrucksvolle Begriffsbestimmung des Schönen und des pwo_006.008
Erhabenen, sowie die Unterordnung des Sinnentriebes und so auch pwo_006.009
der ästhetischen Neigung unter den Moraltrieb, die eherne Unterjochung pwo_006.010
des Natürlich-Gefälligen unter das Geistig-Notwendige.
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Unsere klassischen Dichter fühlten sich von dieser kategorischen pwo_006.012
Schroffheit abgestoßen. Jn den Xenien parodierten sie den rigoristischen pwo_006.013
Zug des großen Königsberger Philosophen:
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„Gewissensskrupel.
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Gerne dien' ich den Freunden, doch thu' ich es leider mit Neigung, pwo_006.016
Und so wurmt es mir oft, daß ich nicht tugendhaft bin.
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Decisum.
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Da ist kein andrer Rat, du mußt suchen, sie zu verachten, pwo_006.019
Und mit Abscheu alsdann thun, wie die Pflicht dir gebeut.“
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Schiller war es, der einen Ausgleich zwischen Naturtrieb und Geist, pwo_006.021
eine freiwillige Unterwerfung des Sinneninstinktes unter das Sittengesetz pwo_006.022
suchte und gerade in „ästhetischer Erziehung“ fand: so offenbarte pwo_006.023
sich ihm die Kunst als Mittlerin zwischen den menschlichen Leidenschaften pwo_006.024
und Pflichten, als Weg zur Vergeistigung der menschlichen pwo_006.025
Natur.
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Die spekulative Aesthetik erreichte ihren Höhepunkt in Hegel: er pwo_006.027
faßt die Kunst nicht allein als eine Erscheinungsform des absoluten pwo_006.028
Geistes, vielmehr als ein geschichtliches Stadium desselben pwo_006.029
und leitet so zu der fruchtbaren entwicklungsgeschichtlichen Betrachtung pwo_006.030
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Nebeneinander hinzunehmen, sondern ihre Entstehung und ihr ursprüngliches pwo_006.032
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und epochemachenden Prinzips scheitert bei Hegel an der willkürlichen pwo_006.034
Konstruktion einer solchen Geschichte des menschlichen Geistes. Namentlich pwo_006.035
handelt er die Religion als eine höhere Stufe des Geistes
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