Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_160.001 Da sah er denn, daß von den Geschöpfen keines ohne Haß lebt, pwo_160.002
Jn der Entfaltung der Gedanken gewinnt die Allegorie weiteste pwo_160.009 pwo_160.011
Wie eine aufjubelnde Empfindung von einer plastischen Phantasie alsbald pwo_160.021
Mit diesem Ausruf kennzeichnet der Beginn des Spruches den Keim pwo_160.025
Aeußere Erlebnisse, die zum Keim eines Liedes werden, ziehen oft in pwo_160.035
pwo_160.001 Da sah er denn, daß von den Geschöpfen keines ohne Haß lebt, pwo_160.002
Jn der Entfaltung der Gedanken gewinnt die Allegorie weiteste pwo_160.009 pwo_160.011
Wie eine aufjubelnde Empfindung von einer plastischen Phantasie alsbald pwo_160.021
Mit diesem Ausruf kennzeichnet der Beginn des Spruches den Keim pwo_160.025
Aeußere Erlebnisse, die zum Keim eines Liedes werden, ziehen oft in pwo_160.035
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0174" n="160"/> <lb n="pwo_160.001"/> <p>Da sah er denn, daß von den Geschöpfen keines ohne Haß lebt, <lb n="pwo_160.002"/> aber – sie haben ihre Ordnung, sie wählen sich ihre Führer, denen <lb n="pwo_160.003"/> sie sich unterordnen. Und damit ist die Ueberleitung gegeben.</p> <lb n="pwo_160.004"/> <p> <hi rendition="#aq"> <lg> <l>„Sô wê dir, tiuschiu zunge,</l> <lb n="pwo_160.005"/> <l>wie stêt dîn ordenunge,</l> <lb n="pwo_160.006"/> <l>daz nû diu mugge ir künec hât</l> <lb n="pwo_160.007"/> <l>und daz dîn êre alsô zergât!“</l> </lg> </hi> </p> <lb n="pwo_160.008"/> <p>Jn der Entfaltung der Gedanken gewinnt die <hi rendition="#g">Allegorie</hi> weiteste <lb n="pwo_160.009"/> Ausdehnung; ein einheitliches Bild gelangt zu künstlerischer Durchführung:</p> <lb n="pwo_160.010"/> <lb n="pwo_160.011"/> <p> <hi rendition="#aq"> <lg> <l>„Jâ leider desn mac niht gesîn,</l> <lb n="pwo_160.012"/> <l>daz guot und werltlich êre</l> <lb n="pwo_160.013"/> <l>und gotes hulde mêre</l> <lb n="pwo_160.014"/> <l>zesamene in ein herze komen.</l> <lb n="pwo_160.015"/> <l>stîg unde wege sint in benomen:</l> <lb n="pwo_160.016"/> <l>untriuwe ist in der sâze,</l> <lb n="pwo_160.017"/> <l>gewalt vert ûf der strâze,</l> <lb n="pwo_160.018"/> <l>frid unde reht sint sêre wunt:</l> <lb n="pwo_160.019"/> <l>diu driu enhabent geleites niht, diu zwei enwerden ê gesunt.“</l> </lg> </hi> </p> <lb n="pwo_160.020"/> <p>Wie eine aufjubelnde Empfindung von einer plastischen Phantasie alsbald <lb n="pwo_160.021"/> in gegenständliche Darlegungen, zum teil in direkte Erzählung <lb n="pwo_160.022"/> hinübergeleitet wird, zeigt fast jede Strophe.</p> <lb n="pwo_160.023"/> <p> <hi rendition="#aq"> <lg> <l>„Ich hân mîn lêhen, al die werlt! ich hân mîn lêhen!“</l> </lg> </hi> </p> <lb n="pwo_160.024"/> <p>Mit diesem Ausruf kennzeichnet der Beginn des Spruches den Keim <lb n="pwo_160.025"/> dieses Gedichtes. Jndem Walther nun die Folgen des ausgerufenen <lb n="pwo_160.026"/> Ereignisses abmißt, tritt in Kontrastwirkung sein bisheriges armseliges <lb n="pwo_160.027"/> Leben mit rührender Deutlichkeit hervor:</p> <lb n="pwo_160.028"/> <p> <hi rendition="#aq"> <lg> <l>„Nû enfürhte ich niht den hornunc an die zêhen</l> <lb n="pwo_160.029"/> <l>und wil alle bœse hêrren deste minne vlêhen.</l> <lb n="pwo_160.030"/> <l>der edel künic, der milte künic hât mich berâten,</l> <lb n="pwo_160.031"/> <l>daz ich den sumer luft und in dem winter hitze hân.</l> <lb n="pwo_160.032"/> <l>mîn nâhgebûren dunke ich verre baz getân:</l> <lb n="pwo_160.033"/> <l>sie sehent mich niht mêr an in butzen wîs alsô sie tâten ...“</l> </lg> </hi> </p> <lb n="pwo_160.034"/> <p>Aeußere Erlebnisse, die zum Keim eines Liedes werden, ziehen oft in <lb n="pwo_160.035"/> voller Anschaulichkeit an uns vorüber, so daß durch die Erreger der <lb n="pwo_160.036"/> Stimmung diese auch in uns unmittelbar erzeugt wird. Hier ragt <lb n="pwo_160.037"/> als einer der Gipfel von Walthers Poesie empor:</p> <lb n="pwo_160.038"/> <p> <hi rendition="#aq"> <lg> <l>„Owê war sint verswunden alliu mîniu jâr?“</l> </lg> </hi> </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [160/0174]
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Da sah er denn, daß von den Geschöpfen keines ohne Haß lebt, pwo_160.002
aber – sie haben ihre Ordnung, sie wählen sich ihre Führer, denen pwo_160.003
sie sich unterordnen. Und damit ist die Ueberleitung gegeben.
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„Sô wê dir, tiuschiu zunge, pwo_160.005
wie stêt dîn ordenunge, pwo_160.006
daz nû diu mugge ir künec hât pwo_160.007
und daz dîn êre alsô zergât!“
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Jn der Entfaltung der Gedanken gewinnt die Allegorie weiteste pwo_160.009
Ausdehnung; ein einheitliches Bild gelangt zu künstlerischer Durchführung:
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„Jâ leider desn mac niht gesîn, pwo_160.012
daz guot und werltlich êre pwo_160.013
und gotes hulde mêre pwo_160.014
zesamene in ein herze komen. pwo_160.015
stîg unde wege sint in benomen: pwo_160.016
untriuwe ist in der sâze, pwo_160.017
gewalt vert ûf der strâze, pwo_160.018
frid unde reht sint sêre wunt: pwo_160.019
diu driu enhabent geleites niht, diu zwei enwerden ê gesunt.“
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Wie eine aufjubelnde Empfindung von einer plastischen Phantasie alsbald pwo_160.021
in gegenständliche Darlegungen, zum teil in direkte Erzählung pwo_160.022
hinübergeleitet wird, zeigt fast jede Strophe.
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„Ich hân mîn lêhen, al die werlt! ich hân mîn lêhen!“
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Mit diesem Ausruf kennzeichnet der Beginn des Spruches den Keim pwo_160.025
dieses Gedichtes. Jndem Walther nun die Folgen des ausgerufenen pwo_160.026
Ereignisses abmißt, tritt in Kontrastwirkung sein bisheriges armseliges pwo_160.027
Leben mit rührender Deutlichkeit hervor:
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„Nû enfürhte ich niht den hornunc an die zêhen pwo_160.029
und wil alle bœse hêrren deste minne vlêhen. pwo_160.030
der edel künic, der milte künic hât mich berâten, pwo_160.031
daz ich den sumer luft und in dem winter hitze hân. pwo_160.032
mîn nâhgebûren dunke ich verre baz getân: pwo_160.033
sie sehent mich niht mêr an in butzen wîs alsô sie tâten ...“
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Aeußere Erlebnisse, die zum Keim eines Liedes werden, ziehen oft in pwo_160.035
voller Anschaulichkeit an uns vorüber, so daß durch die Erreger der pwo_160.036
Stimmung diese auch in uns unmittelbar erzeugt wird. Hier ragt pwo_160.037
als einer der Gipfel von Walthers Poesie empor:
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„Owê war sint verswunden alliu mîniu jâr?“
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