Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_152.001 Auf den gleichen Ausgangspunkt der Lyrik wie diese Versform pwo_152.002 Dieser durch die thatsächlichen Unterlagen gebotene Schluß wird pwo_152.017 Als Träger der Bildung aber begegnet uns in Deutschland vor pwo_152.029 pwo_152.001 Auf den gleichen Ausgangspunkt der Lyrik wie diese Versform pwo_152.002 Dieser durch die thatsächlichen Unterlagen gebotene Schluß wird pwo_152.017 Als Träger der Bildung aber begegnet uns in Deutschland vor pwo_152.029 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0166" n="152"/> <lb n="pwo_152.001"/> <p> Auf den gleichen Ausgangspunkt der Lyrik wie diese Versform <lb n="pwo_152.002"/> wies der Stil ihrer ältesten Denkmäler hin. Wenn also die geistige <lb n="pwo_152.003"/> Richtung der frühesten Minnedichtung den Zusammenhang mit volkstümlich-natürlichen <lb n="pwo_152.004"/> Anschauungen noch nicht gelöst hat, werden wir <lb n="pwo_152.005"/> jedenfalls nicht berechtigt sein, den nicht erhaltenen oder garnicht aufgezeichneten <lb n="pwo_152.006"/> älteren lyrischen Liedern einen von der uns bekannt gewordenen, <lb n="pwo_152.007"/> zunächst epischen Entwicklung losgelösten Ursprung zuzuerkennen. <lb n="pwo_152.008"/> Begründete ferner schon die Spärlichkeit und Ansechtbarkeit <lb n="pwo_152.009"/> der äußeren Zeugnisse weitgehende Zweifel an dem Uralter und der <lb n="pwo_152.010"/> allgemeinen Verbreitung einer ursprünglich volkstümlichen Lyrik, so <lb n="pwo_152.011"/> zeigen uns nun Stil und Vers der ältesten bekannten Lyrik, daß diese <lb n="pwo_152.012"/> noch die Eierschalen ihrer Herausschälung aus der epischen Form nicht <lb n="pwo_152.013"/> abgestreift hat. Dadurch wird aber nahegelegt, ihre nicht zur Ueberlieferung <lb n="pwo_152.014"/> gelangten Vorgänger weder an Alter noch an Zahl als ungemessen <lb n="pwo_152.015"/> ausgedehnt vorauszusetzen.</p> <lb n="pwo_152.016"/> <p> Dieser durch die thatsächlichen Unterlagen gebotene Schluß wird <lb n="pwo_152.017"/> bestärkt durch einen Hinblick auf den Kulturstand des Volkes. Es ist <lb n="pwo_152.018"/> nicht außer acht zu lassen, daß die Volkslyrik des 14. bis 17. Jahrhunderts <lb n="pwo_152.019"/> mit dem Aufblühen des städtischen Bürgertums zusammenfällt; <lb n="pwo_152.020"/> jetzt erst, wo das Handwerk seinen goldenen Boden entdeckt, hat <lb n="pwo_152.021"/> es Bildung und Selbstbewußtsein genug erworben, um zur Ausübung <lb n="pwo_152.022"/> der Poesie und gar zur reflektierenden Aussprache seiner Gefühlswelt <lb n="pwo_152.023"/> ausreichend reif und kühn zu sein. Wie verschwindend sind auch seither <lb n="pwo_152.024"/> die Ausnahmen geblieben, daß jemand, der unter der Durchschnittsbildung <lb n="pwo_152.025"/> seiner Zeit steht, dichterisch ernst zu nehmende Leistungen <lb n="pwo_152.026"/> vollbrachte oder gar in die Entwicklung der Poesie umgestaltend, <lb n="pwo_152.027"/> geschweige denn neugestaltend eingriff?</p> <lb n="pwo_152.028"/> <p> Als Träger der Bildung aber begegnet uns in Deutschland vor <lb n="pwo_152.029"/> dem Rittertum die Geistlichkeit. <hi rendition="#g">Lateinische</hi> und <hi rendition="#g">provenzalische</hi> <lb n="pwo_152.030"/> Einflüsse erscheinen so als Paten der jungen deutschen Lyrik; schon <lb n="pwo_152.031"/> vor der Minnedichtung und dem Kreuzlied wird die erwachende Subjektivität <lb n="pwo_152.032"/> zunächst in geistlichen Kreisen durch lateinisches Medium gefördert <lb n="pwo_152.033"/> worden sein. Für eine von je oder doch seit Jahrhunderten <lb n="pwo_152.034"/> organisches Leben führende, ausgebildete deutsche Volkslyrik findet sich <lb n="pwo_152.035"/> wissenschaftlich keine ausreichende Bezeugung. Zaubersprüche und <lb n="pwo_152.036"/> andere sakrale Formeln, kurze Gruß- und andere Wunschformeln, teils </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [152/0166]
pwo_152.001
Auf den gleichen Ausgangspunkt der Lyrik wie diese Versform pwo_152.002
wies der Stil ihrer ältesten Denkmäler hin. Wenn also die geistige pwo_152.003
Richtung der frühesten Minnedichtung den Zusammenhang mit volkstümlich-natürlichen pwo_152.004
Anschauungen noch nicht gelöst hat, werden wir pwo_152.005
jedenfalls nicht berechtigt sein, den nicht erhaltenen oder garnicht aufgezeichneten pwo_152.006
älteren lyrischen Liedern einen von der uns bekannt gewordenen, pwo_152.007
zunächst epischen Entwicklung losgelösten Ursprung zuzuerkennen. pwo_152.008
Begründete ferner schon die Spärlichkeit und Ansechtbarkeit pwo_152.009
der äußeren Zeugnisse weitgehende Zweifel an dem Uralter und der pwo_152.010
allgemeinen Verbreitung einer ursprünglich volkstümlichen Lyrik, so pwo_152.011
zeigen uns nun Stil und Vers der ältesten bekannten Lyrik, daß diese pwo_152.012
noch die Eierschalen ihrer Herausschälung aus der epischen Form nicht pwo_152.013
abgestreift hat. Dadurch wird aber nahegelegt, ihre nicht zur Ueberlieferung pwo_152.014
gelangten Vorgänger weder an Alter noch an Zahl als ungemessen pwo_152.015
ausgedehnt vorauszusetzen.
pwo_152.016
Dieser durch die thatsächlichen Unterlagen gebotene Schluß wird pwo_152.017
bestärkt durch einen Hinblick auf den Kulturstand des Volkes. Es ist pwo_152.018
nicht außer acht zu lassen, daß die Volkslyrik des 14. bis 17. Jahrhunderts pwo_152.019
mit dem Aufblühen des städtischen Bürgertums zusammenfällt; pwo_152.020
jetzt erst, wo das Handwerk seinen goldenen Boden entdeckt, hat pwo_152.021
es Bildung und Selbstbewußtsein genug erworben, um zur Ausübung pwo_152.022
der Poesie und gar zur reflektierenden Aussprache seiner Gefühlswelt pwo_152.023
ausreichend reif und kühn zu sein. Wie verschwindend sind auch seither pwo_152.024
die Ausnahmen geblieben, daß jemand, der unter der Durchschnittsbildung pwo_152.025
seiner Zeit steht, dichterisch ernst zu nehmende Leistungen pwo_152.026
vollbrachte oder gar in die Entwicklung der Poesie umgestaltend, pwo_152.027
geschweige denn neugestaltend eingriff?
pwo_152.028
Als Träger der Bildung aber begegnet uns in Deutschland vor pwo_152.029
dem Rittertum die Geistlichkeit. Lateinische und provenzalische pwo_152.030
Einflüsse erscheinen so als Paten der jungen deutschen Lyrik; schon pwo_152.031
vor der Minnedichtung und dem Kreuzlied wird die erwachende Subjektivität pwo_152.032
zunächst in geistlichen Kreisen durch lateinisches Medium gefördert pwo_152.033
worden sein. Für eine von je oder doch seit Jahrhunderten pwo_152.034
organisches Leben führende, ausgebildete deutsche Volkslyrik findet sich pwo_152.035
wissenschaftlich keine ausreichende Bezeugung. Zaubersprüche und pwo_152.036
andere sakrale Formeln, kurze Gruß- und andere Wunschformeln, teils
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |