Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_150.001 "Das Maidlein stund an der Zinnen pwo_150.002 pwo_150.005Und sah zum Fenster aus, pwo_150.003 Jn rechter Lieb' und Treuen pwo_150.004 Warf sie ein Kränzlein raus" - auch diese Situation berührt sich mit typischen Scenen der älteren pwo_150.006 Mit dem Volkslied hat die ältere Minnedichtung im Stil die pwo_150.012 "Ich stuont mir nehtint spate an einer zinne, pwo_150.016 pwo_150.018do hort ich einen ritter vil wol singen pwo_150.017 in Kurenberges weise al auz der menigein." Soweit volle Erzählung, der erst durch den direkten Gefühlsausbruch pwo_150.019
Aehnlich scenische Zeichnung herrscht auch sonst beim Kürenberger vor: pwo_150.022"Jo stuont ich nehtint spate vor deinem bette," - pwo_150.023 pwo_150.024"Swenne ich stan alleine in meinem hemede." Jn Bild und Erzählung schreitet auch die Darstellung des bedeutsamen pwo_150.025
Nicht anders bei Dietmar von Aist: pwo_150.028
Oder: pwo_150.034"So wol dir, sumerwunne! pwo_150.035
daz vogelsanc ist geswunden: pwo_150.036 als ist der linden ir loup." pwo_150.001 „Das Maidlein stund an der Zinnen pwo_150.002 pwo_150.005Und sah zum Fenster aus, pwo_150.003 Jn rechter Lieb' und Treuen pwo_150.004 Warf sie ein Kränzlein raus“ – auch diese Situation berührt sich mit typischen Scenen der älteren pwo_150.006 Mit dem Volkslied hat die ältere Minnedichtung im Stil die pwo_150.012 „Ich stuont mir nehtint spâte an einer zinne, pwo_150.016 pwo_150.018dô hôrt ich einen ritter vil wol singen pwo_150.017 in Kurenberges wîse al ûz der menigîn.“ Soweit volle Erzählung, der erst durch den direkten Gefühlsausbruch pwo_150.019
Aehnlich scenische Zeichnung herrscht auch sonst beim Kürenberger vor: pwo_150.022„Jô stuont ich nehtint spâte vor dînem bette,“ – pwo_150.023 pwo_150.024„Swenne ich stân alleine in mînem hemede.“ Jn Bild und Erzählung schreitet auch die Darstellung des bedeutsamen pwo_150.025
Nicht anders bei Dietmar von Aist: pwo_150.028
Oder: pwo_150.034„Sô wol dir, sumerwunne! pwo_150.035
daz vogelsanc ist geswunden: pwo_150.036 als ist der linden ir loup.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0164" n="150"/> <lb n="pwo_150.001"/> <lg> <l>„Das Maidlein stund an der Zinnen</l> <lb n="pwo_150.002"/> <l>Und sah zum Fenster aus,</l> <lb n="pwo_150.003"/> <l>Jn rechter Lieb' und Treuen</l> <lb n="pwo_150.004"/> <l>Warf sie ein Kränzlein raus“ –</l> </lg> <lb n="pwo_150.005"/> <p>auch diese Situation berührt sich mit typischen Scenen der älteren <lb n="pwo_150.006"/> Minnedichtung. Gemeinsam ist dieser gesamten Ritterlyrik mit der <lb n="pwo_150.007"/> Volkslyrik – das soll zunächst nur heißen: mit der Lyrik des dritten <lb n="pwo_150.008"/> und vierten Standes – ferner das beliebte Ausgehen des Liebesliedes <lb n="pwo_150.009"/> von einem Naturbilde. Ersichtlich erst aus dem Minnelied ins <lb n="pwo_150.010"/> Volkslied übergegangen ist die Situation der Tagelieder.</p> <lb n="pwo_150.011"/> <p> Mit dem Volkslied hat die ältere Minnedichtung im <hi rendition="#g">Stil</hi> die <lb n="pwo_150.012"/> stark <hi rendition="#g">epische</hi> Färbung gemein. Auch die geradezu die Darstellung <lb n="pwo_150.013"/> beherrschende direkte Rede, oft volle Gespräche lehnen sich in diesen <lb n="pwo_150.014"/> beiden lyrischen Arten an den Stil des epischen Volksgesanges an.</p> <lb n="pwo_150.015"/> <lg> <l>„<hi rendition="#aq">Ich stuont mir nehtint spâte an einer zinne,</hi></l> <lb n="pwo_150.016"/> <l> <hi rendition="#aq">dô hôrt ich einen ritter vil wol singen</hi> </l> <lb n="pwo_150.017"/> <l><hi rendition="#aq">in Kurenberges wîse al ûz der menigîn</hi>.“</l> </lg> <lb n="pwo_150.018"/> <p>Soweit volle Erzählung, der erst durch den direkten Gefühlsausbruch <lb n="pwo_150.019"/> der letzten Strophenzeile lyrische Wendung gegeben wird:</p> <lb n="pwo_150.020"/> <p> <hi rendition="#aq"> <lg> <l>„Er muoz mir diu lant rûmen ald ich geniete mich sîn.“</l> </lg> </hi> </p> <lb n="pwo_150.021"/> <p>Aehnlich scenische Zeichnung herrscht auch sonst beim Kürenberger vor:</p> <lb n="pwo_150.022"/> <lg> <l>„<hi rendition="#aq">Jô stuont ich nehtint spâte vor dînem bette,“ –</hi></l> <lb n="pwo_150.023"/> <l><hi rendition="#aq">„Swenne ich stân alleine in mînem hemede</hi>.“</l> </lg> <lb n="pwo_150.024"/> <p>Jn Bild und Erzählung schreitet auch die Darstellung des bedeutsamen <lb n="pwo_150.025"/> Strophenpaars vor:</p> <lb n="pwo_150.026"/> <p> <hi rendition="#aq"> <lg> <l>„Ich zôch mir einen valken“ &c.</l> </lg> </hi> </p> <lb n="pwo_150.027"/> <p>Nicht anders bei Dietmar von Aist:</p> <lb n="pwo_150.028"/> <p> <hi rendition="#aq"> <lg> <l>„Ez stuont ein frowe alleine</l> <lb n="pwo_150.029"/> <l>und warte uber heide</l> <lb n="pwo_150.030"/> <l>und warte ire liebe.</l> <lb n="pwo_150.031"/> <l>so gesach si valken fliegen.</l> <lb n="pwo_150.032"/> <l>‚sô wol dir valke daz du bist ...'“</l> </lg> </hi> </p> <lb n="pwo_150.033"/> <p>Oder:</p> <lb n="pwo_150.034"/> <lg> <l>„<hi rendition="#aq">Sô wol dir, sumerwunne!</hi></l> <lb n="pwo_150.035"/> <l> <hi rendition="#aq">daz vogelsanc ist geswunden:</hi> </l> <lb n="pwo_150.036"/> <l><hi rendition="#aq">als ist der linden ir loup</hi>.“</l> </lg> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [150/0164]
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Warf sie ein Kränzlein raus“ –
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auch diese Situation berührt sich mit typischen Scenen der älteren pwo_150.006
Minnedichtung. Gemeinsam ist dieser gesamten Ritterlyrik mit der pwo_150.007
Volkslyrik – das soll zunächst nur heißen: mit der Lyrik des dritten pwo_150.008
und vierten Standes – ferner das beliebte Ausgehen des Liebesliedes pwo_150.009
von einem Naturbilde. Ersichtlich erst aus dem Minnelied ins pwo_150.010
Volkslied übergegangen ist die Situation der Tagelieder.
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Mit dem Volkslied hat die ältere Minnedichtung im Stil die pwo_150.012
stark epische Färbung gemein. Auch die geradezu die Darstellung pwo_150.013
beherrschende direkte Rede, oft volle Gespräche lehnen sich in diesen pwo_150.014
beiden lyrischen Arten an den Stil des epischen Volksgesanges an.
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in Kurenberges wîse al ûz der menigîn.“
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Soweit volle Erzählung, der erst durch den direkten Gefühlsausbruch pwo_150.019
der letzten Strophenzeile lyrische Wendung gegeben wird:
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„Er muoz mir diu lant rûmen ald ich geniete mich sîn.“
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Aehnlich scenische Zeichnung herrscht auch sonst beim Kürenberger vor:
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„Jô stuont ich nehtint spâte vor dînem bette,“ – pwo_150.023
„Swenne ich stân alleine in mînem hemede.“
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Strophenpaars vor:
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„Ich zôch mir einen valken“ &c.
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und warte ire liebe. pwo_150.031
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‚sô wol dir valke daz du bist ...'“
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„Sô wol dir, sumerwunne! pwo_150.035
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Zitationshilfe: | Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_poetik_1899/164>, abgerufen am 16.02.2025. |