Auch wird selbst von den Anhängern dieser Hypothese - und pwo_147.002 damit nähern sie sich wiederum der Anerkennung geschichtlicher Erscheinungen pwo_147.003 - ein weitgehend objektiver Charakter der ältesten Lyrik pwo_147.004 vorausgesetzt: sie sei gewiß mehr thatsächlich als grübelnd, mehr synthetisch pwo_147.005 als analytisch gewesen. Es scheint danach weniger über die pwo_147.006 Form als über den Zeitpunkt der ursprünglichen Lyrik Zwiespalt pwo_147.007 zu bestehen.
pwo_147.008
Nötigte uns die Geschichte und Entwicklung auch gerade unserer pwo_147.009 heimischen Dichtung zur Annahme epischer Priorität, so ist damit pwo_147.010 keineswegs die Möglichkeit ausgeschlossen, daß schon gewisse Zeit vor pwo_147.011 dem Auftreten der Lyrik in der Litteratur zunächst in mündlicher pwo_147.012 Verkündung und Fortpflanzung eine poetische Form auflebte, die pwo_147.013 aus der Erzählung vergangener Geschehnisse in die Aussprache unmittelbarer pwo_147.014 Empfindungen überleitet.
pwo_147.015
Jnwieweit sich für eine solche Ansetzung thatsächliche wissenschaftliche pwo_147.016 Begründung bietet, kann bei dem Mangel früheren Erfahrungsmaterials pwo_147.017 nur aus Betrachtung der ältesten überlieferten Lyrik nach pwo_147.018 ihrem geistigen Gehalt wie nach ihrer innern und äußern Form pwo_147.019 erhellen.
pwo_147.020
Wirklich ragt in die älteste bekannte deutsche Lyrik eine grundlegende pwo_147.021 Auffassung hinein, die in einen gewissen Gegensatz zu der pwo_147.022 späteren Etappe der Ritterdichtung tritt. Es handelt sich um das pwo_147.023 für Liebeslyrik ausschlaggebende Verhältnis der Geschlechter. Jn den pwo_147.024 Liedern des Kürenbergers, und zwar sowohl in den Strophen, welche pwo_147.025 Frauen in den Mund gelegt werden, wie nach den Aeußerungen des pwo_147.026 Mannes, erscheint das Weib als der werbende, hingebungsvolle pwo_147.027 Teil, während der Mann sich herrisch und zurückhaltend giebt. pwo_147.028 Aus dem Munde der Frau tönt es:
pwo_147.029
"Bit in daz er mir holt sei, als er hie vor was";
pwo_147.030
sie klagt:
pwo_147.031
"Eines hubeschen ritters gewan ich kunde:pwo_147.032 daz mir den benomen han die merker und ir neit,pwo_147.033 des mohte mir mein herze nie fro werden seit";
pwo_147.034
sie droht dem Sänger in stürmischer Werbung:
pwo_147.035
"Er muoz mir diu lant raumen, ald ich geniete mich sein";
pwo_147.036
stolz giebt der Ritter zurück:
pwo_147.001
Auch wird selbst von den Anhängern dieser Hypothese – und pwo_147.002 damit nähern sie sich wiederum der Anerkennung geschichtlicher Erscheinungen pwo_147.003 – ein weitgehend objektiver Charakter der ältesten Lyrik pwo_147.004 vorausgesetzt: sie sei gewiß mehr thatsächlich als grübelnd, mehr synthetisch pwo_147.005 als analytisch gewesen. Es scheint danach weniger über die pwo_147.006 Form als über den Zeitpunkt der ursprünglichen Lyrik Zwiespalt pwo_147.007 zu bestehen.
pwo_147.008
Nötigte uns die Geschichte und Entwicklung auch gerade unserer pwo_147.009 heimischen Dichtung zur Annahme epischer Priorität, so ist damit pwo_147.010 keineswegs die Möglichkeit ausgeschlossen, daß schon gewisse Zeit vor pwo_147.011 dem Auftreten der Lyrik in der Litteratur zunächst in mündlicher pwo_147.012 Verkündung und Fortpflanzung eine poetische Form auflebte, die pwo_147.013 aus der Erzählung vergangener Geschehnisse in die Aussprache unmittelbarer pwo_147.014 Empfindungen überleitet.
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Jnwieweit sich für eine solche Ansetzung thatsächliche wissenschaftliche pwo_147.016 Begründung bietet, kann bei dem Mangel früheren Erfahrungsmaterials pwo_147.017 nur aus Betrachtung der ältesten überlieferten Lyrik nach pwo_147.018 ihrem geistigen Gehalt wie nach ihrer innern und äußern Form pwo_147.019 erhellen.
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Wirklich ragt in die älteste bekannte deutsche Lyrik eine grundlegende pwo_147.021 Auffassung hinein, die in einen gewissen Gegensatz zu der pwo_147.022 späteren Etappe der Ritterdichtung tritt. Es handelt sich um das pwo_147.023 für Liebeslyrik ausschlaggebende Verhältnis der Geschlechter. Jn den pwo_147.024 Liedern des Kürenbergers, und zwar sowohl in den Strophen, welche pwo_147.025 Frauen in den Mund gelegt werden, wie nach den Aeußerungen des pwo_147.026 Mannes, erscheint das Weib als der werbende, hingebungsvolle pwo_147.027 Teil, während der Mann sich herrisch und zurückhaltend giebt. pwo_147.028 Aus dem Munde der Frau tönt es:
pwo_147.029
„Bit in daz er mir holt sî, als er hie vor was“;
pwo_147.030
sie klagt:
pwo_147.031
„Eines hubeschen ritters gewan ich kunde:pwo_147.032 daz mir den benomen hân die merker und ir nît,pwo_147.033 des mohte mir mîn herze nie frô werden sît“;
pwo_147.034
sie droht dem Sänger in stürmischer Werbung:
pwo_147.035
„Er muoz mir diu lant rûmen, ald ich geniete mich sîn“;
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Auch wird selbst von den Anhängern dieser Hypothese – und pwo_147.002
damit nähern sie sich wiederum der Anerkennung geschichtlicher Erscheinungen pwo_147.003
– ein weitgehend objektiver Charakter der ältesten Lyrik pwo_147.004
vorausgesetzt: sie sei gewiß mehr thatsächlich als grübelnd, mehr synthetisch pwo_147.005
als analytisch gewesen. Es scheint danach weniger über die pwo_147.006
Form als über den Zeitpunkt der ursprünglichen Lyrik Zwiespalt pwo_147.007
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Nötigte uns die Geschichte und Entwicklung auch gerade unserer pwo_147.009
heimischen Dichtung zur Annahme epischer Priorität, so ist damit pwo_147.010
keineswegs die Möglichkeit ausgeschlossen, daß schon gewisse Zeit vor pwo_147.011
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Verkündung und Fortpflanzung eine poetische Form auflebte, die pwo_147.013
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Jnwieweit sich für eine solche Ansetzung thatsächliche wissenschaftliche pwo_147.016
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Wirklich ragt in die älteste bekannte deutsche Lyrik eine grundlegende pwo_147.021
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späteren Etappe der Ritterdichtung tritt. Es handelt sich um das pwo_147.023
für Liebeslyrik ausschlaggebende Verhältnis der Geschlechter. Jn den pwo_147.024
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Aus dem Munde der Frau tönt es:
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„Bit in daz er mir holt sî, als er hie vor was“;
pwo_147.030
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pwo_147.031
„Eines hubeschen ritters gewan ich kunde: pwo_147.032
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des mohte mir mîn herze nie frô werden sît“;
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„Er muoz mir diu lant rûmen, ald ich geniete mich sîn“;
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