Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_145.001 pwo_145.018 Sollte es sich nun um selbständige deutsche Dichtungen dieser pwo_145.019 Vor dem 12. Jahrhundert begegnet nur noch im Ruodlieb, pwo_145.023
Jn lateinischer Sprache ist ein Liebesgruß dieser Art auf deutschem pwo_145.031 pwo_145.001 pwo_145.018 Sollte es sich nun um selbständige deutsche Dichtungen dieser pwo_145.019 Vor dem 12. Jahrhundert begegnet nur noch im Ruodlieb, pwo_145.023
Jn lateinischer Sprache ist ein Liebesgruß dieser Art auf deutschem pwo_145.031 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0159" n="145"/><lb n="pwo_145.001"/> wohl schärfer als durch ein schriftliches Verbot bestraft worden <lb n="pwo_145.002"/> wäre. <hi rendition="#aq">Scribere</hi> braucht auch keineswegs dichten zu bedeuten, <lb n="pwo_145.003"/> ja kann am wenigsten für volksliedartiges Dichten Verwendung finden. <lb n="pwo_145.004"/> Nicht ausgeschlossen wäre selbst, daß es sich bei den lateinkundigen <lb n="pwo_145.005"/> Nonnen sogar um Abschrift antiker Dichtungen und Versendung derselben <lb n="pwo_145.006"/> von Kloster zu Kloster handelte, wie wir dergleichen von Mönchen <lb n="pwo_145.007"/> zur genüge kennen: solch ein Eifer für weltliche und zugleich <lb n="pwo_145.008"/> heidnische Dichtungen hätte gerade so, nicht mehr und nicht weniger, <lb n="pwo_145.009"/> gefährlich erscheinen können, um ihm als Mißbrauch in einem Kapitular <lb n="pwo_145.010"/> entgegenzutreten. Als <hi rendition="#aq">Winileod</hi> verdeutschen spätere Glossarien <lb n="pwo_145.011"/> oft <hi rendition="#aq">psalmi plebeji</hi> oder <hi rendition="#aq">vulgares</hi> oder <hi rendition="#aq">seculares cantilenae</hi> oder <lb n="pwo_145.012"/> auch <hi rendition="#aq">cantica rustica et inepta</hi>. Es handelt sich um weltliche <lb n="pwo_145.013"/> Lieder, wie solche später zum Leidwesen der geistlichen Behörden sogar <lb n="pwo_145.014"/> in der Kirche gesungen werden. Ein Verbot von derart geselligen <lb n="pwo_145.015"/> Liedern lautet: „<hi rendition="#aq">Non licet in ecclesia choros secularium vel <lb n="pwo_145.016"/> puellarum cantica exercere nec convivia in ecclesia praeparare</hi>.“</p> <lb n="pwo_145.017"/> <lb n="pwo_145.018"/> <p> Sollte es sich nun um selbständige deutsche Dichtungen dieser <lb n="pwo_145.019"/> Richtung handeln, wüßten wir noch immer nicht, wie weit der epische <lb n="pwo_145.020"/> Charakter, der erzählende Ton, bewahrt oder wie weit bereits direkte <lb n="pwo_145.021"/> Gefühlsaussprache erreicht ist.</p> <lb n="pwo_145.022"/> <p> Vor dem 12. Jahrhundert begegnet nur noch im Ruodlieb, <lb n="pwo_145.023"/> einem lateinisch geschriebenen Rittergedicht des 11. Jahrhunderts, eine <lb n="pwo_145.024"/> Anspielung auf einen deutschen Liebesgruß. Die Frau trägt dem <lb n="pwo_145.025"/> Boten Ruodliebs auf:</p> <lb n="pwo_145.026"/> <p> <hi rendition="#aq"> <lg> <l> ... „Dic illi de me de corde fideli</l> <lb n="pwo_145.027"/> <l>Tantundem <hi rendition="#g">liebes,</hi> quantum veniat modo <hi rendition="#g">loubes,</hi></l> <lb n="pwo_145.028"/> <l>Et volucrum <hi rendition="#g">wunna</hi> quot sunt, sibi dic mea <hi rendition="#g">minna,</hi></l> <lb n="pwo_145.029"/> <l>Graminis et florum quantum sit, dic et honorum.“</l> </lg> </hi> </p> <lb n="pwo_145.030"/> <p>Jn lateinischer Sprache ist ein Liebesgruß dieser Art auf deutschem <lb n="pwo_145.031"/> Boden bereits aus dem 10. Jahrhundert überliefert. Weiterhin finden <lb n="pwo_145.032"/> sich solche Grüße in der volkstümlichen Lyrik des 15. und 16. <lb n="pwo_145.033"/> Jahrhunderts; schon im 10. und 11. Jahrhundert müssen für dergleichen <lb n="pwo_145.034"/> mündliche Grußsendung Wunschformeln ausgebildet gewesen <lb n="pwo_145.035"/> sein, die zwei Vergleichsglieder durch Stabreim oder Endreim zu <lb n="pwo_145.036"/> binden pflegten.</p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [145/0159]
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wohl schärfer als durch ein schriftliches Verbot bestraft worden pwo_145.002
wäre. Scribere braucht auch keineswegs dichten zu bedeuten, pwo_145.003
ja kann am wenigsten für volksliedartiges Dichten Verwendung finden. pwo_145.004
Nicht ausgeschlossen wäre selbst, daß es sich bei den lateinkundigen pwo_145.005
Nonnen sogar um Abschrift antiker Dichtungen und Versendung derselben pwo_145.006
von Kloster zu Kloster handelte, wie wir dergleichen von Mönchen pwo_145.007
zur genüge kennen: solch ein Eifer für weltliche und zugleich pwo_145.008
heidnische Dichtungen hätte gerade so, nicht mehr und nicht weniger, pwo_145.009
gefährlich erscheinen können, um ihm als Mißbrauch in einem Kapitular pwo_145.010
entgegenzutreten. Als Winileod verdeutschen spätere Glossarien pwo_145.011
oft psalmi plebeji oder vulgares oder seculares cantilenae oder pwo_145.012
auch cantica rustica et inepta. Es handelt sich um weltliche pwo_145.013
Lieder, wie solche später zum Leidwesen der geistlichen Behörden sogar pwo_145.014
in der Kirche gesungen werden. Ein Verbot von derart geselligen pwo_145.015
Liedern lautet: „Non licet in ecclesia choros secularium vel pwo_145.016
puellarum cantica exercere nec convivia in ecclesia praeparare.“
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Sollte es sich nun um selbständige deutsche Dichtungen dieser pwo_145.019
Richtung handeln, wüßten wir noch immer nicht, wie weit der epische pwo_145.020
Charakter, der erzählende Ton, bewahrt oder wie weit bereits direkte pwo_145.021
Gefühlsaussprache erreicht ist.
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Vor dem 12. Jahrhundert begegnet nur noch im Ruodlieb, pwo_145.023
einem lateinisch geschriebenen Rittergedicht des 11. Jahrhunderts, eine pwo_145.024
Anspielung auf einen deutschen Liebesgruß. Die Frau trägt dem pwo_145.025
Boten Ruodliebs auf:
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... „Dic illi de me de corde fideli pwo_145.027
Tantundem liebes, quantum veniat modo loubes, pwo_145.028
Et volucrum wunna quot sunt, sibi dic mea minna, pwo_145.029
Graminis et florum quantum sit, dic et honorum.“
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Jn lateinischer Sprache ist ein Liebesgruß dieser Art auf deutschem pwo_145.031
Boden bereits aus dem 10. Jahrhundert überliefert. Weiterhin finden pwo_145.032
sich solche Grüße in der volkstümlichen Lyrik des 15. und 16. pwo_145.033
Jahrhunderts; schon im 10. und 11. Jahrhundert müssen für dergleichen pwo_145.034
mündliche Grußsendung Wunschformeln ausgebildet gewesen pwo_145.035
sein, die zwei Vergleichsglieder durch Stabreim oder Endreim zu pwo_145.036
binden pflegten.
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