Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_141.001 "Mich macht ein Faden ihres Handschuhs reich, pwo_141.004 pwo_141.005Ein Haar auch, das ihr auf den Mantel fällt" - lautet ein bezeichnender Wunsch dieser Art. pwo_141.006 Gern geht die Liebesdichtung der Troubadours von der Naturanschauung pwo_141.007 "Jm Mond April, wann grün sich schmückt pwo_141.009 pwo_141.017Der Anger und die Gärten blühn, pwo_141.010 Und frisch und klar die Wasser ziehn, pwo_141.011 Und alle Vöglein sind beglückt; pwo_141.012 Düfte, die aus Blüten dringen, pwo_141.013 Und des Vögleins süßes Singen, pwo_141.014 Das ist's, was dann mich neu entzückt. pwo_141.015 Dann such' ich mich mit Vorbedacht pwo_141.016 Zu freu'n der Liebe Süßigkeit ..." Es ist hier allerorten klar, daß eine Empfindung zum Ausdruck pwo_141.018 "Jhr muß sich jede Wonne neigen, pwo_141.025 pwo_141.030Die Macht ihr dienen weit und breit pwo_141.026 Ob ihrer holden Freundlichkeit, pwo_141.027 Dem milden Blick auch, der ihr eigen. pwo_141.028 Ein Mann muß hundert Jahr' erreichen pwo_141.029 Und mehr noch, wenn er ihr sich weiht ..." Eine gegenständliche Feststellung ist schon von Anbeginn mit abstrakten pwo_141.031 pwo_141.001 „Mich macht ein Faden ihres Handschuhs reich, pwo_141.004 pwo_141.005Ein Haar auch, das ihr auf den Mantel fällt“ – lautet ein bezeichnender Wunsch dieser Art. pwo_141.006 Gern geht die Liebesdichtung der Troubadours von der Naturanschauung pwo_141.007 „Jm Mond April, wann grün sich schmückt pwo_141.009 pwo_141.017Der Anger und die Gärten blühn, pwo_141.010 Und frisch und klar die Wasser ziehn, pwo_141.011 Und alle Vöglein sind beglückt; pwo_141.012 Düfte, die aus Blüten dringen, pwo_141.013 Und des Vögleins süßes Singen, pwo_141.014 Das ist's, was dann mich neu entzückt. pwo_141.015 Dann such' ich mich mit Vorbedacht pwo_141.016 Zu freu'n der Liebe Süßigkeit ...“ Es ist hier allerorten klar, daß eine Empfindung zum Ausdruck pwo_141.018 „Jhr muß sich jede Wonne neigen, pwo_141.025 pwo_141.030Die Macht ihr dienen weit und breit pwo_141.026 Ob ihrer holden Freundlichkeit, pwo_141.027 Dem milden Blick auch, der ihr eigen. pwo_141.028 Ein Mann muß hundert Jahr' erreichen pwo_141.029 Und mehr noch, wenn er ihr sich weiht ...“ Eine gegenständliche Feststellung ist schon von Anbeginn mit abstrakten pwo_141.031 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0155" n="141"/><lb n="pwo_141.001"/> – Einkleidung gefunden. Meist aber sind die Ansprüche der Liebessänger <lb n="pwo_141.002"/> bescheidener, kurzweg phantastischer:</p> <lb n="pwo_141.003"/> <lg> <l>„Mich macht ein Faden ihres Handschuhs reich,</l> <lb n="pwo_141.004"/> <l>Ein Haar auch, das ihr auf den Mantel fällt“ –</l> </lg> <lb n="pwo_141.005"/> <p>lautet ein bezeichnender Wunsch dieser Art.</p> <lb n="pwo_141.006"/> <p> Gern geht die Liebesdichtung der Troubadours von der <hi rendition="#g">Naturanschauung</hi> <lb n="pwo_141.007"/> aus:</p> <lb n="pwo_141.008"/> <lg> <l>„Jm Mond April, wann grün sich schmückt</l> <lb n="pwo_141.009"/> <l>Der Anger und die Gärten blühn,</l> <lb n="pwo_141.010"/> <l>Und frisch und klar die Wasser ziehn,</l> <lb n="pwo_141.011"/> <l>Und alle Vöglein sind beglückt;</l> <lb n="pwo_141.012"/> <l>Düfte, die aus Blüten dringen,</l> <lb n="pwo_141.013"/> <l>Und des Vögleins süßes Singen,</l> <lb n="pwo_141.014"/> <l>Das ist's, was dann mich neu entzückt.</l> <lb n="pwo_141.015"/> <l> Dann such' ich mich mit Vorbedacht</l> <lb n="pwo_141.016"/> <l>Zu freu'n der Liebe Süßigkeit ...“</l> </lg> <lb n="pwo_141.017"/> <p> Es ist hier allerorten klar, daß eine Empfindung zum Ausdruck <lb n="pwo_141.018"/> gebracht werden, ja zur direkten Aussprache, zum Geständnis gelangen <lb n="pwo_141.019"/> soll. Vergegenwärtigen wir uns die charakteristischen Mittel dieser <lb n="pwo_141.020"/> Art poetischer Gefühlsäußerung, so finden wir die lyrische Entwicklung <lb n="pwo_141.021"/> unter den Händen der Troubadours bereits in einem vorgeschrittenen <lb n="pwo_141.022"/> Stadium. Der älteste bekannte Troubadour, Graf Wilhelm von Poitiers, <lb n="pwo_141.023"/> hebt an:</p> <lb n="pwo_141.024"/> <lg> <l>„Jhr muß sich jede Wonne neigen,</l> <lb n="pwo_141.025"/> <l>Die Macht ihr dienen weit und breit</l> <lb n="pwo_141.026"/> <l>Ob ihrer holden Freundlichkeit,</l> <lb n="pwo_141.027"/> <l>Dem milden Blick auch, der ihr eigen.</l> <lb n="pwo_141.028"/> <l>Ein Mann muß hundert Jahr' erreichen</l> <lb n="pwo_141.029"/> <l>Und mehr noch, wenn er ihr sich weiht ...“</l> </lg> <lb n="pwo_141.030"/> <p>Eine gegenständliche Feststellung ist schon von Anbeginn mit abstrakten <lb n="pwo_141.031"/> Begriffen durchsetzt: die Wirkung der verkörperten Geliebten ist zunächst <lb n="pwo_141.032"/> rein seelisch durch Herrschaft ihrer Wonne und Macht angedeutet, <lb n="pwo_141.033"/> dann zwar anschaulicher durch den Eindruck auf einen Mann <lb n="pwo_141.034"/> selbst, doch unter Einkleidung in eine Art allgemeiner Wahrheit. <lb n="pwo_141.035"/> Nun fehlt es nicht an Troubadourliedern, die gegenständlicher und <lb n="pwo_141.036"/> individueller zeichnen; aber das weite Vorschreiten der Abstraktion <lb n="pwo_141.037"/> und Gnomik läßt sich selten verkennen. Selbst Bernart von Ventadour </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [141/0155]
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– Einkleidung gefunden. Meist aber sind die Ansprüche der Liebessänger pwo_141.002
bescheidener, kurzweg phantastischer:
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„Mich macht ein Faden ihres Handschuhs reich, pwo_141.004
Ein Haar auch, das ihr auf den Mantel fällt“ –
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lautet ein bezeichnender Wunsch dieser Art.
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Gern geht die Liebesdichtung der Troubadours von der Naturanschauung pwo_141.007
aus:
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„Jm Mond April, wann grün sich schmückt pwo_141.009
Der Anger und die Gärten blühn, pwo_141.010
Und frisch und klar die Wasser ziehn, pwo_141.011
Und alle Vöglein sind beglückt; pwo_141.012
Düfte, die aus Blüten dringen, pwo_141.013
Und des Vögleins süßes Singen, pwo_141.014
Das ist's, was dann mich neu entzückt. pwo_141.015
Dann such' ich mich mit Vorbedacht pwo_141.016
Zu freu'n der Liebe Süßigkeit ...“
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Es ist hier allerorten klar, daß eine Empfindung zum Ausdruck pwo_141.018
gebracht werden, ja zur direkten Aussprache, zum Geständnis gelangen pwo_141.019
soll. Vergegenwärtigen wir uns die charakteristischen Mittel dieser pwo_141.020
Art poetischer Gefühlsäußerung, so finden wir die lyrische Entwicklung pwo_141.021
unter den Händen der Troubadours bereits in einem vorgeschrittenen pwo_141.022
Stadium. Der älteste bekannte Troubadour, Graf Wilhelm von Poitiers, pwo_141.023
hebt an:
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„Jhr muß sich jede Wonne neigen, pwo_141.025
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Dem milden Blick auch, der ihr eigen. pwo_141.028
Ein Mann muß hundert Jahr' erreichen pwo_141.029
Und mehr noch, wenn er ihr sich weiht ...“
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Eine gegenständliche Feststellung ist schon von Anbeginn mit abstrakten pwo_141.031
Begriffen durchsetzt: die Wirkung der verkörperten Geliebten ist zunächst pwo_141.032
rein seelisch durch Herrschaft ihrer Wonne und Macht angedeutet, pwo_141.033
dann zwar anschaulicher durch den Eindruck auf einen Mann pwo_141.034
selbst, doch unter Einkleidung in eine Art allgemeiner Wahrheit. pwo_141.035
Nun fehlt es nicht an Troubadourliedern, die gegenständlicher und pwo_141.036
individueller zeichnen; aber das weite Vorschreiten der Abstraktion pwo_141.037
und Gnomik läßt sich selten verkennen. Selbst Bernart von Ventadour
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