Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_134.001 "Mir zuwerfend den Purpurball, pwo_134.004 pwo_134.011Fordert Eros im Goldgelock pwo_134.005 Mich zum Spiel mit dem zierlichen pwo_134.006 Buntsandaligen Kind auf. pwo_134.007 Doch sie stammt von der prangenden pwo_134.008 Lesbosinsel und rügt mein Haar; pwo_134.009 Grau ja sei's, und in Sehnsucht, ach, pwo_134.010 An ein blondes gedenkt sie." Wenigstens die Rudimente einer plastischen Scene sind hier wie oft pwo_134.012 Die weitere Entwicklung des Melos wird durch den Abstand pwo_134.015 "Doch nicht achtet der lieblichen pwo_134.020 pwo_134.027Jahrszeit Eros und läßt mich ruhn; pwo_134.021 Nein, wie thrakischer Wintersturm pwo_134.022 Widerleuchtend von Blitzesschein pwo_134.023 Fällt er, Kyprias wilder Sohn, pwo_134.024 Mit blindsengender Wut mich an pwo_134.025 Und erschüttert gewaltsam mir pwo_134.026 Die Grundfesten des Herzens." Als wuchtiger Schmied offenbart sich Eros einem Anakreon: pwo_134.028"Mit schwerwuchtendem Hammerschlag, pwo_134.029 pwo_134.032Wie die glühende Stang' ein Schmied, pwo_134.030 Trifft mich Eros und taucht mich dann pwo_134.031 Jn eiskaltes Gewässer." Dagegen nur als pwo_134.033 "ein Knäbchen, pwo_134.034 pwo_134.036Kleingeflügelt, ausgerüstet pwo_134.035 Mit dem Bogen und dem Köcher," erscheint er den Epigonen. Tändelei, die sehr bald konventionell erstarrt, pwo_134.037 pwo_134.001 „Mir zuwerfend den Purpurball, pwo_134.004 pwo_134.011Fordert Eros im Goldgelock pwo_134.005 Mich zum Spiel mit dem zierlichen pwo_134.006 Buntsandaligen Kind auf. pwo_134.007 Doch sie stammt von der prangenden pwo_134.008 Lesbosinsel und rügt mein Haar; pwo_134.009 Grau ja sei's, und in Sehnsucht, ach, pwo_134.010 An ein blondes gedenkt sie.“ Wenigstens die Rudimente einer plastischen Scene sind hier wie oft pwo_134.012 Die weitere Entwicklung des Melos wird durch den Abstand pwo_134.015 „Doch nicht achtet der lieblichen pwo_134.020 pwo_134.027Jahrszeit Eros und läßt mich ruhn; pwo_134.021 Nein, wie thrakischer Wintersturm pwo_134.022 Widerleuchtend von Blitzesschein pwo_134.023 Fällt er, Kyprias wilder Sohn, pwo_134.024 Mit blindsengender Wut mich an pwo_134.025 Und erschüttert gewaltsam mir pwo_134.026 Die Grundfesten des Herzens.“ Als wuchtiger Schmied offenbart sich Eros einem Anakreon: pwo_134.028„Mit schwerwuchtendem Hammerschlag, pwo_134.029 pwo_134.032Wie die glühende Stang' ein Schmied, pwo_134.030 Trifft mich Eros und taucht mich dann pwo_134.031 Jn eiskaltes Gewässer.“ Dagegen nur als pwo_134.033 „ein Knäbchen, pwo_134.034 pwo_134.036Kleingeflügelt, ausgerüstet pwo_134.035 Mit dem Bogen und dem Köcher,“ erscheint er den Epigonen. 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Für Anakreon <lb n="pwo_134.016"/> ist Eros der Repräsentant wild begehrender männlicher Liebe; <lb n="pwo_134.017"/> den Anakreontikern gilt er als loser Knabe, sie führen die seitdem herrschende <lb n="pwo_134.018"/> Amorettenspielerei ein. Die Leidenschaft eines Jbykos stürmt:</p> <lb n="pwo_134.019"/> <lg> <l>„Doch nicht achtet der lieblichen</l> <lb n="pwo_134.020"/> <l>Jahrszeit Eros und läßt mich ruhn;</l> <lb n="pwo_134.021"/> <l>Nein, wie thrakischer Wintersturm</l> <lb n="pwo_134.022"/> <l>Widerleuchtend von Blitzesschein</l> <lb n="pwo_134.023"/> <l>Fällt er, Kyprias wilder Sohn,</l> <lb n="pwo_134.024"/> <l>Mit blindsengender Wut mich an</l> <lb n="pwo_134.025"/> <l>Und erschüttert gewaltsam mir</l> <lb n="pwo_134.026"/> <l>Die Grundfesten des Herzens.“</l> </lg> <lb n="pwo_134.027"/> <p>Als wuchtiger Schmied offenbart sich Eros einem Anakreon:</p> <lb n="pwo_134.028"/> <lg> <l>„Mit schwerwuchtendem Hammerschlag,</l> <lb n="pwo_134.029"/> <l>Wie die glühende Stang' ein Schmied,</l> <lb n="pwo_134.030"/> <l>Trifft mich Eros und taucht mich dann</l> <lb n="pwo_134.031"/> <l>Jn eiskaltes Gewässer.“</l> </lg> <lb n="pwo_134.032"/> <p>Dagegen nur als</p> <lb n="pwo_134.033"/> <lg> <l> „ein Knäbchen,</l> <lb n="pwo_134.034"/> <l>Kleingeflügelt, ausgerüstet</l> <lb n="pwo_134.035"/> <l>Mit dem Bogen und dem Köcher,“</l> </lg> <lb n="pwo_134.036"/> <p>erscheint er den Epigonen. 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festhält, ist Anakreon zum Klassiker des heiteren, freien, dabei immer pwo_134.002
geistvollen Tones geworden.
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Fordert Eros im Goldgelock pwo_134.005
Mich zum Spiel mit dem zierlichen pwo_134.006
Buntsandaligen Kind auf. pwo_134.007
Doch sie stammt von der prangenden pwo_134.008
Lesbosinsel und rügt mein Haar; pwo_134.009
Grau ja sei's, und in Sehnsucht, ach, pwo_134.010
An ein blondes gedenkt sie.“
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Wenigstens die Rudimente einer plastischen Scene sind hier wie oft pwo_134.012
noch erkennbar; bisweilen entwindet sich der Dichter aber auch dieser pwo_134.013
Anschaulichkeit, um sich ganz auf das innere Gefühl zurückzuziehen.
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Die weitere Entwicklung des Melos wird durch den Abstand pwo_134.015
der anakreontischen Schule von ihrem Meister bezeichnet. Für Anakreon pwo_134.016
ist Eros der Repräsentant wild begehrender männlicher Liebe; pwo_134.017
den Anakreontikern gilt er als loser Knabe, sie führen die seitdem herrschende pwo_134.018
Amorettenspielerei ein. Die Leidenschaft eines Jbykos stürmt:
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„Doch nicht achtet der lieblichen pwo_134.020
Jahrszeit Eros und läßt mich ruhn; pwo_134.021
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Die Grundfesten des Herzens.“
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Als wuchtiger Schmied offenbart sich Eros einem Anakreon:
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„Mit schwerwuchtendem Hammerschlag, pwo_134.029
Wie die glühende Stang' ein Schmied, pwo_134.030
Trifft mich Eros und taucht mich dann pwo_134.031
Jn eiskaltes Gewässer.“
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Kleingeflügelt, ausgerüstet pwo_134.035
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wird ihnen die Liebe: nicht mehr aus Herzensnötigung, aus
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Zitationshilfe: | Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_poetik_1899/148>, abgerufen am 27.07.2024. |