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Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.

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Begebenheit entspringen - wie es im Keim ursprünglicher Lyrik pwo_133.002
lag -: vielmehr allgemeine Lebenserfahrungen, Lebensauffassungen, pwo_133.003
Meinungen, die sich völlig von objektiven Geschehnissen pwo_133.004
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"Keiner bereitet sich selbst von den Sterblichen Segen und Unheil, pwo_133.006
Sondern die Götter, o Freund, sind es, die beides verleihn. pwo_133.007
Was auch immer der Mensch anstrebt: nie weiß er im Herzen, pwo_133.008
Ob es zu freudigem Ziel, ob es zu trübem gerät" &c.
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So erfolgt der Uebergang zur Allegorie immer entschiedener:

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"Einzig die Hoffnung blieb von den Himmlischen unter den Menschen, pwo_133.011
Zu den olympischen Höh'n kehrten die übrigen heim. pwo_133.012
Treue, die mächtige Göttin, entwich, es entwich die gestrenge pwo_133.013
Zucht und die Grazien, Freund, suchst du auf Erden umsonst."
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Aber solche Betrachtungen bleiben selten ausschließlich rückblickend, sondern pwo_133.015
zielen gern direkt auf ethischen Antrieb für die Zukunft. Derart pwo_133.016
schließt diese Elegie:

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"Aber so lange du lebst und das Licht noch schauest der Sonne, pwo_133.018
Klammre mit treuem Gemüt fest an die Hoffnung dich an, pwo_133.019
Und wenn unter Gebet süßduftendes Opfer du zündest, pwo_133.020
Sei es zuerst und zuletzt immer der Hoffnung geweiht."
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Wir dürfen uns nicht verhehlen, daß mit ethisch-didaktischen Antrieben pwo_133.022
ein Ziel erreicht ist, auf welches von vorn herein die Tendenz der pwo_133.023
lyrischen Entwicklung hinweist. Die Jnterjektion, der Anruf, also pwo_133.024
das Mittel, welches dem erzählenden Kern ursprünglich lyrischen Accent pwo_133.025
verleiht, nimmt gerade im alten Griechenland, das sehr zu gnomischer pwo_133.026
Beschaulichkeit neigt, bald den Charakter einer ethischen Weisung an.

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Jnzwischen entfernt sich das Melos weiterhin von seinen Grundlagen. pwo_133.028
Für Sänger wie Jbykos und Anakreon, die am Hofe des pwo_133.029
Polykrates von Samos lebten, ist das Streben nach Schlichtheit und pwo_133.030
einfacher Natürlichkeit kein Jdeal mehr; wonach sie jagen, ist Glanz, pwo_133.031
zierliche Anmut, künstlerische Eleganz, spielend leichter Fluß der Verse. pwo_133.032
Höfischer Lebensgenuß, Liebe und Wein herrschen als Stoffe vor, pwo_133.033
und nicht die Herzensneigung zu der einen Erwählten, sondern Genußsucht, pwo_133.034
die von einem Gegenstand - nicht nur Frauen, auch Knaben pwo_133.035
- zum andern spielt. Während Jbykos in seiner Leidenschaft pwo_133.036
noch eine gewisse Schwermut bewahrt, auch mythische Themata gern

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Beschaulichkeit neigt, bald den Charakter einer ethischen Weisung an.

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Für Sänger wie Jbykos und Anakreon, die am Hofe des pwo_133.029
Polykrates von Samos lebten, ist das Streben nach Schlichtheit und pwo_133.030
einfacher Natürlichkeit kein Jdeal mehr; wonach sie jagen, ist Glanz, pwo_133.031
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[133/0147] pwo_133.001 Begebenheit entspringen – wie es im Keim ursprünglicher Lyrik pwo_133.002 lag –: vielmehr allgemeine Lebenserfahrungen, Lebensauffassungen, pwo_133.003 Meinungen, die sich völlig von objektiven Geschehnissen pwo_133.004 emanzipiert haben. pwo_133.005 „Keiner bereitet sich selbst von den Sterblichen Segen und Unheil, pwo_133.006 Sondern die Götter, o Freund, sind es, die beides verleihn. pwo_133.007 Was auch immer der Mensch anstrebt: nie weiß er im Herzen, pwo_133.008 Ob es zu freudigem Ziel, ob es zu trübem gerät“ &c. pwo_133.009 So erfolgt der Uebergang zur Allegorie immer entschiedener: pwo_133.010 „Einzig die Hoffnung blieb von den Himmlischen unter den Menschen, pwo_133.011 Zu den olympischen Höh'n kehrten die übrigen heim. pwo_133.012 Treue, die mächtige Göttin, entwich, es entwich die gestrenge pwo_133.013 Zucht und die Grazien, Freund, suchst du auf Erden umsonst.“ pwo_133.014 Aber solche Betrachtungen bleiben selten ausschließlich rückblickend, sondern pwo_133.015 zielen gern direkt auf ethischen Antrieb für die Zukunft. Derart pwo_133.016 schließt diese Elegie: pwo_133.017 „Aber so lange du lebst und das Licht noch schauest der Sonne, pwo_133.018 Klammre mit treuem Gemüt fest an die Hoffnung dich an, pwo_133.019 Und wenn unter Gebet süßduftendes Opfer du zündest, pwo_133.020 Sei es zuerst und zuletzt immer der Hoffnung geweiht.“ pwo_133.021 Wir dürfen uns nicht verhehlen, daß mit ethisch-didaktischen Antrieben pwo_133.022 ein Ziel erreicht ist, auf welches von vorn herein die Tendenz der pwo_133.023 lyrischen Entwicklung hinweist. Die Jnterjektion, der Anruf, also pwo_133.024 das Mittel, welches dem erzählenden Kern ursprünglich lyrischen Accent pwo_133.025 verleiht, nimmt gerade im alten Griechenland, das sehr zu gnomischer pwo_133.026 Beschaulichkeit neigt, bald den Charakter einer ethischen Weisung an. pwo_133.027   Jnzwischen entfernt sich das Melos weiterhin von seinen Grundlagen. pwo_133.028 Für Sänger wie Jbykos und Anakreon, die am Hofe des pwo_133.029 Polykrates von Samos lebten, ist das Streben nach Schlichtheit und pwo_133.030 einfacher Natürlichkeit kein Jdeal mehr; wonach sie jagen, ist Glanz, pwo_133.031 zierliche Anmut, künstlerische Eleganz, spielend leichter Fluß der Verse. pwo_133.032 Höfischer Lebensgenuß, Liebe und Wein herrschen als Stoffe vor, pwo_133.033 und nicht die Herzensneigung zu der einen Erwählten, sondern Genußsucht, pwo_133.034 die von einem Gegenstand – nicht nur Frauen, auch Knaben pwo_133.035 – zum andern spielt. Während Jbykos in seiner Leidenschaft pwo_133.036 noch eine gewisse Schwermut bewahrt, auch mythische Themata gern

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Zitationshilfe: Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_poetik_1899/147>, abgerufen am 23.11.2024.