Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_127.001 Erzähl' von Sängern uns und Wein und laß das Weltgeheimnis ruhn! pwo_127.002 pwo_127.003Enthüllt hat es, enthüllen wird's doch keines weisen Manns Verstand." Zu solchen gnomischen Zügen treten direkt symbolische, wie denn die pwo_127.004 "Eine Ros' hat Nachtigall zum Ziele ihrer Glut gemacht, pwo_127.008 pwo_127.011Neides Sturm mit hundert Dornen hat ihr trüben Mut gemacht. pwo_127.009 Frohen Herzens hofft' ein Papagei an Zucker sich zu laben, pwo_127.010 Eitel hat die Hoffnung plötzlich Unglücksstromes Wut gemacht" etc. Wir kennen aus Nachbildungen Goethes, Rückerts und anderer Dichter pwo_127.012 pwo_127.014 § 64. pwo_127.015 pwo_127.016Die griechische Lyrik. So viele Kriterien zur Erkenntnis der Lyrik die orientalische pwo_127.017 Nun ist freilich diese Gattung der griechischen Dichtung durchaus pwo_127.025 Zunächst dürfen wir hier schon mit einiger Sicherheit einen pwo_127.031 pwo_127.001 Erzähl' von Sängern uns und Wein und laß das Weltgeheimnis ruhn! pwo_127.002 pwo_127.003Enthüllt hat es, enthüllen wird's doch keines weisen Manns Verstand.“ Zu solchen gnomischen Zügen treten direkt symbolische, wie denn die pwo_127.004 „Eine Ros' hat Nachtigall zum Ziele ihrer Glut gemacht, pwo_127.008 pwo_127.011Neides Sturm mit hundert Dornen hat ihr trüben Mut gemacht. pwo_127.009 Frohen Herzens hofft' ein Papagei an Zucker sich zu laben, pwo_127.010 Eitel hat die Hoffnung plötzlich Unglücksstromes Wut gemacht“ etc. Wir kennen aus Nachbildungen Goethes, Rückerts und anderer Dichter pwo_127.012 pwo_127.014 § 64. pwo_127.015 pwo_127.016Die griechische Lyrik. So viele Kriterien zur Erkenntnis der Lyrik die orientalische pwo_127.017 Nun ist freilich diese Gattung der griechischen Dichtung durchaus pwo_127.025 Zunächst dürfen wir hier schon mit einiger Sicherheit einen pwo_127.031 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0141" n="127"/> <lb n="pwo_127.001"/> <lg> <l>Erzähl' von Sängern uns und Wein und laß das Weltgeheimnis ruhn!</l> <lb n="pwo_127.002"/> <l>Enthüllt hat es, enthüllen wird's doch keines weisen Manns Verstand.“</l> </lg> <lb n="pwo_127.003"/> <p>Zu solchen gnomischen Zügen treten direkt symbolische, wie denn die <lb n="pwo_127.004"/> orientalische Lyrik sich am tiefsten in Didaktik und Gleichnisrede versenkt <lb n="pwo_127.005"/> hat. So entrollt der Dichter für seines Sohnes Tod eine Kette <lb n="pwo_127.006"/> von Parallelgliedern:</p> <lb n="pwo_127.007"/> <lg> <l>„Eine Ros' hat Nachtigall zum Ziele ihrer Glut gemacht,</l> <lb n="pwo_127.008"/> <l>Neides Sturm mit hundert Dornen hat ihr trüben Mut gemacht.</l> <lb n="pwo_127.009"/> <l>Frohen Herzens hofft' ein Papagei an Zucker sich zu laben,</l> <lb n="pwo_127.010"/> <l>Eitel hat die Hoffnung plötzlich Unglücksstromes Wut gemacht“ etc.</l> </lg> <lb n="pwo_127.011"/> <p>Wir kennen aus Nachbildungen Goethes, Rückerts und anderer Dichter <lb n="pwo_127.012"/> des 19. Jahrhunderts diesen gnomischen und symbolischen Charakter <lb n="pwo_127.013"/> der neuorientalischen Lyrik zur Genüge.</p> </div> <div n="3"> <lb n="pwo_127.014"/> <head> <hi rendition="#c">§ 64. <lb n="pwo_127.015"/> Die griechische Lyrik.</hi> </head> <lb n="pwo_127.016"/> <p> So viele Kriterien zur Erkenntnis der Lyrik die orientalische <lb n="pwo_127.017"/> Poesie im einzelnen darbietet, ihre Entwicklung ist von unserm Blick <lb n="pwo_127.018"/> zu wenig durchdrungen, das uns vorliegende poetische Material zu <lb n="pwo_127.019"/> wenig geordnet und historisch nicht sicher genug klassifiziert, um den <lb n="pwo_127.020"/> Keim der lyrischen Dichtung in seiner Aus- und Fortbildung mit <lb n="pwo_127.021"/> prinzipieller Sicherheit überschauen zu lassen. Von der so organischen <lb n="pwo_127.022"/> und uns so vertrauten griechischen Poesie möchten wir eher Aufschluß <lb n="pwo_127.023"/> auch über die Entwicklungsgesetze der Lyrik erhoffen.</p> <lb n="pwo_127.024"/> <p> Nun ist freilich diese Gattung der griechischen Dichtung durchaus <lb n="pwo_127.025"/> nicht in gleichem Maße wie das Epos oder auch nur wie die Tragödie <lb n="pwo_127.026"/> mustergültig für die moderne Welt geworden. Ferner sind nur <lb n="pwo_127.027"/> spärliche Reste erhalten. Wenigstens läßt sich der Charakter auch <lb n="pwo_127.028"/> mancher verlorengegangenen bedeutsamen Repräsentanten der Lyrik <lb n="pwo_127.029"/> erschließen.</p> <lb n="pwo_127.030"/> <p> Zunächst dürfen wir hier schon mit einiger Sicherheit einen <lb n="pwo_127.031"/> <hi rendition="#g">vorlitterarischen</hi> lyrischen Sang ansetzen. Nicht nur im religiösen <lb n="pwo_127.032"/> Lied drängte allgemach eine unmittelbare Aussprache der Gefühle <lb n="pwo_127.033"/> die thatsächliche Verherrlichung der göttlichen Großthaten in den Hintergrund. <lb n="pwo_127.034"/> Zu den kurzen Sprüchen, die noch immer religiös geweiht </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [127/0141]
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Erzähl' von Sängern uns und Wein und laß das Weltgeheimnis ruhn! pwo_127.002
Enthüllt hat es, enthüllen wird's doch keines weisen Manns Verstand.“
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Zu solchen gnomischen Zügen treten direkt symbolische, wie denn die pwo_127.004
orientalische Lyrik sich am tiefsten in Didaktik und Gleichnisrede versenkt pwo_127.005
hat. So entrollt der Dichter für seines Sohnes Tod eine Kette pwo_127.006
von Parallelgliedern:
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„Eine Ros' hat Nachtigall zum Ziele ihrer Glut gemacht, pwo_127.008
Neides Sturm mit hundert Dornen hat ihr trüben Mut gemacht. pwo_127.009
Frohen Herzens hofft' ein Papagei an Zucker sich zu laben, pwo_127.010
Eitel hat die Hoffnung plötzlich Unglücksstromes Wut gemacht“ etc.
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Wir kennen aus Nachbildungen Goethes, Rückerts und anderer Dichter pwo_127.012
des 19. Jahrhunderts diesen gnomischen und symbolischen Charakter pwo_127.013
der neuorientalischen Lyrik zur Genüge.
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§ 64. pwo_127.015
Die griechische Lyrik. pwo_127.016
So viele Kriterien zur Erkenntnis der Lyrik die orientalische pwo_127.017
Poesie im einzelnen darbietet, ihre Entwicklung ist von unserm Blick pwo_127.018
zu wenig durchdrungen, das uns vorliegende poetische Material zu pwo_127.019
wenig geordnet und historisch nicht sicher genug klassifiziert, um den pwo_127.020
Keim der lyrischen Dichtung in seiner Aus- und Fortbildung mit pwo_127.021
prinzipieller Sicherheit überschauen zu lassen. Von der so organischen pwo_127.022
und uns so vertrauten griechischen Poesie möchten wir eher Aufschluß pwo_127.023
auch über die Entwicklungsgesetze der Lyrik erhoffen.
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Nun ist freilich diese Gattung der griechischen Dichtung durchaus pwo_127.025
nicht in gleichem Maße wie das Epos oder auch nur wie die Tragödie pwo_127.026
mustergültig für die moderne Welt geworden. Ferner sind nur pwo_127.027
spärliche Reste erhalten. Wenigstens läßt sich der Charakter auch pwo_127.028
mancher verlorengegangenen bedeutsamen Repräsentanten der Lyrik pwo_127.029
erschließen.
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Zunächst dürfen wir hier schon mit einiger Sicherheit einen pwo_127.031
vorlitterarischen lyrischen Sang ansetzen. Nicht nur im religiösen pwo_127.032
Lied drängte allgemach eine unmittelbare Aussprache der Gefühle pwo_127.033
die thatsächliche Verherrlichung der göttlichen Großthaten in den Hintergrund. pwo_127.034
Zu den kurzen Sprüchen, die noch immer religiös geweiht
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