Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_120.001 "Daß meines Herrn Zorn sich besänftige! pwo_120.007 pwo_120.011Daß der mir unbekannte Gott sich besänftige! pwo_120.008 Die mir unbekannte Göttin sich besänftige! pwo_120.009 Bekannter und unbekannter Gott sich besänftige! pwo_120.010 Bekannte und unbekannte Göttin sich besänftige!" etc. Nachdem so der lyrische Accent immer weiter in geringen Variationen pwo_120.012 "Reine Speise habe ich nicht gegessen, pwo_120.014 pwo_120.017Klares Wasser habe ich nicht getrunken, pwo_120.015 Das Leid von meinem Gott, unvermerkt ward es meine Speise, pwo_120.016 Das Ungemach von meiner Göttin, unvermerkt trat es mich nieder." Nach zahlreichen Sündenbeteuerungen spinnt sich der Stil in unendlichen pwo_120.018 "Die Sünde, die ich gethan, kenne ich nicht; pwo_120.020 pwo_120.025Die Missethat, die ich begangen, kenne ich nicht. pwo_120.021 Das Leid, das meine Speise ward, - nicht weiß ich's, wie? pwo_120.022 Das Ungemach, das mich niedertrat, - nicht weiß ich's, wie? pwo_120.023 Der Herr hat im Zorn seines Herzens mich angeblickt, pwo_120.024 Der Gott hat im Grimm seines Herzens mich heimgesucht" etc. - Der episch-lyrische Charakter der uns überlieferten religiösen pwo_120.026 Aber auch die nicht im Sanskrit, sondern in der Volkssprache, pwo_120.029 "Ach, noch immer vor den Augen pwo_120.035
Schwebt mir seine Wohlgestalt, pwo_120.036 Fühl' auf meine Lippen hauchen pwo_120.037 Seiner Liebe Vollgehalt. pwo_120.001 „Daß meines Herrn Zorn sich besänftige! pwo_120.007 pwo_120.011Daß der mir unbekannte Gott sich besänftige! pwo_120.008 Die mir unbekannte Göttin sich besänftige! pwo_120.009 Bekannter und unbekannter Gott sich besänftige! pwo_120.010 Bekannte und unbekannte Göttin sich besänftige!“ etc. Nachdem so der lyrische Accent immer weiter in geringen Variationen pwo_120.012 „Reine Speise habe ich nicht gegessen, pwo_120.014 pwo_120.017Klares Wasser habe ich nicht getrunken, pwo_120.015 Das Leid von meinem Gott, unvermerkt ward es meine Speise, pwo_120.016 Das Ungemach von meiner Göttin, unvermerkt trat es mich nieder.“ Nach zahlreichen Sündenbeteuerungen spinnt sich der Stil in unendlichen pwo_120.018 „Die Sünde, die ich gethan, kenne ich nicht; pwo_120.020 pwo_120.025Die Missethat, die ich begangen, kenne ich nicht. pwo_120.021 Das Leid, das meine Speise ward, – nicht weiß ich's, wie? pwo_120.022 Das Ungemach, das mich niedertrat, – nicht weiß ich's, wie? pwo_120.023 Der Herr hat im Zorn seines Herzens mich angeblickt, pwo_120.024 Der Gott hat im Grimm seines Herzens mich heimgesucht“ etc. – Der episch-lyrische Charakter der uns überlieferten religiösen pwo_120.026 Aber auch die nicht im Sanskrit, sondern in der Volkssprache, pwo_120.029 „Ach, noch immer vor den Augen pwo_120.035
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könnten. Jedenfalls ist ihr Jnhalt zunächst religiös, ihre Form pwo_120.002
äußerst primitiv. Wohl mehr als zwei Jahrtausende vor Christi pwo_120.003
Geburt fallen einige auf uns gekommene babylonische Bußpsalmen, pwo_120.004
die sich in Anrufung der Gottheit nimmer genug thun können, dazwischen pwo_120.005
aber Ansätze erzählenden Charakters bieten:
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„Daß meines Herrn Zorn sich besänftige! pwo_120.007
Daß der mir unbekannte Gott sich besänftige! pwo_120.008
Die mir unbekannte Göttin sich besänftige! pwo_120.009
Bekannter und unbekannter Gott sich besänftige! pwo_120.010
Bekannte und unbekannte Göttin sich besänftige!“ etc.
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Nachdem so der lyrische Accent immer weiter in geringen Variationen pwo_120.012
litaneiartig wiederkehrt, heißt es:
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„Reine Speise habe ich nicht gegessen, pwo_120.014
Klares Wasser habe ich nicht getrunken, pwo_120.015
Das Leid von meinem Gott, unvermerkt ward es meine Speise, pwo_120.016
Das Ungemach von meiner Göttin, unvermerkt trat es mich nieder.“
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Nach zahlreichen Sündenbeteuerungen spinnt sich der Stil in unendlichen pwo_120.018
Wiederholungen zu neuen Aussagen fort:
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„Die Sünde, die ich gethan, kenne ich nicht; pwo_120.020
Die Missethat, die ich begangen, kenne ich nicht. pwo_120.021
Das Leid, das meine Speise ward, – nicht weiß ich's, wie? pwo_120.022
Das Ungemach, das mich niedertrat, – nicht weiß ich's, wie? pwo_120.023
Der Herr hat im Zorn seines Herzens mich angeblickt, pwo_120.024
Der Gott hat im Grimm seines Herzens mich heimgesucht“ etc. –
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Der episch-lyrische Charakter der uns überlieferten religiösen pwo_120.026
Vedenpoesie Jndiens trat uns bereits in den prinzipiellen Erörterungen pwo_120.027
über die Priorität des epischen Entwicklungszuges entgegen.
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Aber auch die nicht im Sanskrit, sondern in der Volkssprache, pwo_120.029
besonders dem Prakrit, gedichteten Lieder müssen wir ins Auge fassen, pwo_120.030
wollen wir der Lyrik „in des Ursprungs Tiefe dringen“. Der epische pwo_120.031
Kern ist gewöhnlich nur lose von lyrischem Gewande umkleidet. Da pwo_120.032
geschieht es, daß der Verstorbene durch plastische Vergegenwärtigung pwo_120.033
seiner Vorzüge von der Gattin beklagt wird:
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„Ach, noch immer vor den Augen pwo_120.035
Schwebt mir seine Wohlgestalt, pwo_120.036
Fühl' auf meine Lippen hauchen pwo_120.037
Seiner Liebe Vollgehalt.
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