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Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.

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sogar ein zweiter Kampf angefügt, ein Scheinkampf vor den Augen pwo_097.002
von Hildebrands Frau. Zum Schein läßt sich dieser vom Sohn gefangen pwo_097.003
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die Mutter es dem Sohn verweist, einen Gefangenen derart zu ehren, pwo_097.005
enthüllt der junge Held das Geheimnis, und so löst sich die düstere pwo_097.006
Reckensage in eitel Scherz und Wohlgefallen.

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um ein zum Sang bestimmtes Lied handelt, finden sich im Stil pwo_097.009
naturgemäß wieder eine Reihe von liedartigen Elementen an. Sonst pwo_097.010
aber ist der Abstand dieser Wortlust und muntern Behäbigkeit pwo_097.011
von der alten Einsilbigkeit und kraftvollen Gedrungenheit unverkennbar; pwo_097.012
am meisten wird man an den Ton der Spielleute erinnert.

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wol in dem grunen tan, pwo_097.015
pis er dem jungen degen pwo_097.016
sein waffen untertran; pwo_097.017
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do er amm schmelsten was, pwo_097.019
und warff in an den rucken pwo_097.020
wol in das grune gras. pwo_097.021
,Wer sich an ein alten kessel reibt, pwo_097.022
der fecht so geren ran. pwo_097.023
sag, junger, wis umb dich beleibt; pwo_097.024
wie sol es dir dergan? pwo_097.025
nun sag mir her dein peichte: pwo_097.026
dein prister wil ich wessen. pwo_097.027
pistu ein Wulfing villeichte, pwo_097.028
so mochstu wol genessen.'"

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Der Dichter arbeitet reichlich mit Flickworten. Die Neigung pwo_097.030
zur Großsprecherei wie zu Sentenzen tritt gleich charakteristisch pwo_097.031
hervor.

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Auch die Gestalt Siegfrieds erlag noch weiter der travestierenden pwo_097.033
Art, in welcher seit dem 13. Jahrhundert die Heldensage zu Schwänken pwo_097.034
und Schnurren herhalten mußte. Das spätere Lied vom "Hürnen pwo_097.035
Seyfried" erzählt anekdotisch Siegfrieds Aufenthalt beim Schmied, pwo_097.036
seinen Kampf mit dem Lindwurm und die Erwerbung der Hornhaut. pwo_097.037
Jn welchem Maße die Sage verliedert war, zeigt das Durcheinanderwerfen pwo_097.038
der verschiedensten Gestalten und Ereignisse. So befreit Siegfried

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Der Dichter arbeitet reichlich mit Flickworten. Die Neigung pwo_097.030
zur Großsprecherei wie zu Sentenzen tritt gleich charakteristisch pwo_097.031
hervor.

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Zitationshilfe: Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_poetik_1899/111>, abgerufen am 23.11.2024.