Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.
pwo_089.001
In tugenden, mit zühten, tugentleich, zühtecleich kehren ständig pwo_089.006 Zu alledem tritt die Frau, in der Rolle, welche sie im höfischen pwo_089.015 Milde und Maß gelten als Jdeal und drängen die im Stoff pwo_089.022 "daz si nach mir iht weinen, daz sei ane not. pwo_089.030 pwo_089.031von eines küneges handen lig ich hie herleichen tot." Einen ähnlichen Gipfel höfischer Gesinnung bezeichnet es, wenn der pwo_089.032
Die Scene ist eben durchgehends ze hove.
pwo_089.001
In tugenden, mit zühten, tugentlîch, zühteclîch kehren ständig pwo_089.006 Zu alledem tritt die Frau, in der Rolle, welche sie im höfischen pwo_089.015 Milde und Maß gelten als Jdeal und drängen die im Stoff pwo_089.022 „daz si nâch mir iht weinen, daz sî âne nôt. pwo_089.030 pwo_089.031von eines küneges handen lig ich hie hêrlîchen tôt.“ Einen ähnlichen Gipfel höfischer Gesinnung bezeichnet es, wenn der pwo_089.032
Die Scene ist eben durchgehends ze hove. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><hi rendition="#g"><pb facs="#f0103" n="89"/><lb n="pwo_089.001"/> nung.</hi> Für das ceremonielle Benehmen, besonders das zahlreiche <lb n="pwo_089.002"/> Verneigen und Küssen genüge das drastische Beispiel, welches uns <lb n="pwo_089.003"/> Rüdeger vor Hagen zeigt:</p> <lb n="pwo_089.004"/> <p> <hi rendition="#aq"> <lg> <l>„Des neig im mit zühten der guote Rüedegêr.“</l> </lg> </hi> </p> <lb n="pwo_089.005"/> <p><hi rendition="#aq">In tugenden, mit zühten, tugentlîch, zühteclîch</hi> kehren ständig <lb n="pwo_089.006"/> als adverbiale Bestimmungen wieder; selbst <hi rendition="#aq">der sturmküene <lb n="pwo_089.007"/> recke, meister Hilprant</hi>, will nach Rüdegers Tod noch „<hi rendition="#aq">in sînen <lb n="pwo_089.008"/> zühten zuo den gesten gân</hi>“. Daneben werden <hi rendition="#aq">êre, triuwe, <lb n="pwo_089.009"/> stæte, guot</hi> als Jdeale gepriesen. Schlechten Ruf, üble Nachrede <lb n="pwo_089.010"/> fürchtet man; es giebt bereits einen Kodex dessen, „was sich ziemt“: <lb n="pwo_089.011"/> darum thut man etwas <hi rendition="#aq">von rehte</hi> oder umgekehrt, <hi rendition="#aq">swie künege <lb n="pwo_089.012"/> niene solten</hi>. Fürsten und Fürstinnen heißen <hi rendition="#aq">wol geborn</hi>, es <lb n="pwo_089.013"/> giebt <hi rendition="#aq">stolze ritter, ziere recken</hi>.</p> <lb n="pwo_089.014"/> <p> Zu alledem tritt die Frau, in der Rolle, welche sie im höfischen <lb n="pwo_089.015"/> Leben spielt. Der Glanz ihrer Schönheit und Gewänder kehrt ebenso <lb n="pwo_089.016"/> typisch wieder wie ihre Vorsorge für die fürstlich reiche Ausrüstung <lb n="pwo_089.017"/> abziehender Ritter und das beim Abschied anhebende Weinen. Die <lb n="pwo_089.018"/> <hi rendition="#g">Liebe</hi> ist nun neben dem Heldentum der bedeutsamste Faktor der <lb n="pwo_089.019"/> Poesie geworden und trägt zur <hi rendition="#g">Erweichung</hi> der Gefühle wesentlich <lb n="pwo_089.020"/> bei.</p> <lb n="pwo_089.021"/> <p> Milde und Maß gelten als Jdeal und drängen die im Stoff <lb n="pwo_089.022"/> und alten Stil liegende ungeschlachte Wildheit stellenweise in den Hintergrund. <lb n="pwo_089.023"/> Nun vollzieht sich unter dem Einfluß höfischen Geistes <lb n="pwo_089.024"/> eine weitere Umgestaltung der Charaktere. Neben Hagen und Etzel <lb n="pwo_089.025"/> ist aus dem deutschen Nibelungenliede namentlich an die dämonische <lb n="pwo_089.026"/> Brunhild zu denken, die zu einer <hi rendition="#aq">vrowen wol geborn</hi>, zu einem <lb n="pwo_089.027"/> <hi rendition="#aq">minneclîchen wîp</hi> gemildert ist. Hildebrands Neffe findet im <lb n="pwo_089.028"/> Tode für die Seinen keinen bessern Trost als:</p> <lb n="pwo_089.029"/> <lg> <l>„<hi rendition="#aq">daz si nâch mir iht weinen, daz sî âne nôt.</hi></l> <lb n="pwo_089.030"/> <l><hi rendition="#aq">von eines <hi rendition="#g">küneges</hi> handen lig ich hie hêrlîchen tôt</hi>.“</l> </lg> <lb n="pwo_089.031"/> <p>Einen ähnlichen Gipfel höfischer Gesinnung bezeichnet es, wenn der <lb n="pwo_089.032"/> sterbende Siegfried seinen Sohn nicht etwa beklagt, weil er, der <lb n="pwo_089.033"/> Vater, ermordet ist, sondern weil man es dem Sohne aufmutzen wird,</p> <lb n="pwo_089.034"/> <p> <hi rendition="#aq"> <lg> <l>„daz sîne mâge ieman mortlîch hânt erslagen.“</l> </lg> </hi> </p> <lb n="pwo_089.035"/> <p>Die Scene ist eben durchgehends <hi rendition="#aq">ze hove</hi>.</p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [89/0103]
pwo_089.001
nung. Für das ceremonielle Benehmen, besonders das zahlreiche pwo_089.002
Verneigen und Küssen genüge das drastische Beispiel, welches uns pwo_089.003
Rüdeger vor Hagen zeigt:
pwo_089.004
„Des neig im mit zühten der guote Rüedegêr.“
pwo_089.005
In tugenden, mit zühten, tugentlîch, zühteclîch kehren ständig pwo_089.006
als adverbiale Bestimmungen wieder; selbst der sturmküene pwo_089.007
recke, meister Hilprant, will nach Rüdegers Tod noch „in sînen pwo_089.008
zühten zuo den gesten gân“. Daneben werden êre, triuwe, pwo_089.009
stæte, guot als Jdeale gepriesen. Schlechten Ruf, üble Nachrede pwo_089.010
fürchtet man; es giebt bereits einen Kodex dessen, „was sich ziemt“: pwo_089.011
darum thut man etwas von rehte oder umgekehrt, swie künege pwo_089.012
niene solten. Fürsten und Fürstinnen heißen wol geborn, es pwo_089.013
giebt stolze ritter, ziere recken.
pwo_089.014
Zu alledem tritt die Frau, in der Rolle, welche sie im höfischen pwo_089.015
Leben spielt. Der Glanz ihrer Schönheit und Gewänder kehrt ebenso pwo_089.016
typisch wieder wie ihre Vorsorge für die fürstlich reiche Ausrüstung pwo_089.017
abziehender Ritter und das beim Abschied anhebende Weinen. Die pwo_089.018
Liebe ist nun neben dem Heldentum der bedeutsamste Faktor der pwo_089.019
Poesie geworden und trägt zur Erweichung der Gefühle wesentlich pwo_089.020
bei.
pwo_089.021
Milde und Maß gelten als Jdeal und drängen die im Stoff pwo_089.022
und alten Stil liegende ungeschlachte Wildheit stellenweise in den Hintergrund. pwo_089.023
Nun vollzieht sich unter dem Einfluß höfischen Geistes pwo_089.024
eine weitere Umgestaltung der Charaktere. Neben Hagen und Etzel pwo_089.025
ist aus dem deutschen Nibelungenliede namentlich an die dämonische pwo_089.026
Brunhild zu denken, die zu einer vrowen wol geborn, zu einem pwo_089.027
minneclîchen wîp gemildert ist. Hildebrands Neffe findet im pwo_089.028
Tode für die Seinen keinen bessern Trost als:
pwo_089.029
„daz si nâch mir iht weinen, daz sî âne nôt. pwo_089.030
von eines küneges handen lig ich hie hêrlîchen tôt.“
pwo_089.031
Einen ähnlichen Gipfel höfischer Gesinnung bezeichnet es, wenn der pwo_089.032
sterbende Siegfried seinen Sohn nicht etwa beklagt, weil er, der pwo_089.033
Vater, ermordet ist, sondern weil man es dem Sohne aufmutzen wird,
pwo_089.034
„daz sîne mâge ieman mortlîch hânt erslagen.“
pwo_089.035
Die Scene ist eben durchgehends ze hove.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |