Wenn die Speisen wohl gekäu- et und mit Speichel vermenget sind, lassen sie sich leichter hinunter schlucken: daher pflegen wir sie auch länger zu käuen, wenn wir sie entweder zu grob, oder auch zu tro- cken befinden, als daß sie sich beqvem hinun- ter schlucken liessen. Die Ursache bestehet darinnen, weil sich die wohl gekäuete Speise nicht allein leichter in die Kehle, sondern auch durch den Schlund in den Magen bringen lässet. Wir bringen die Speise zu dem Schlunde durch Hülffe der Zunge: daher können wir nichts hinunter schlucken, wenn wir die Zunge herausrecken. Der Schlund wird oben von besonderen Mäuß- lein erweitert, daß die Speise hinein kan, und durch die Zunge und den Gaumen wird sie hinein gedruckt. So bald sie hin- ein ist, lassen nicht allein ietzt erwehnte 2. paar Mäußlein nach den Schlund zu erwei- tern, sondern er wird gar durch das dritte paar verschlossen, damit sie nicht wieder heraus kan. Wenn demnach die Speise klein gekäuet und mit Speichel wohl ange- feuchtet ist; so ist sie weich und lässet sich in Schlund beqvem hinein drucken. Es be- stehet der Schlund aus drey Häuten, die äussere ist die gemeine Haut und wie ein Pergamen: giebet ihm die Festigkeit, daß er sich leicht ausdehnen lässet, wenn die Speise hinein kommet, und wieder zu-
sam-
Cap. XIII. Von der Ernaͤhrung
Wie man die Spei- ſen hin- ein ſchlu- cket.
§. 410.
Wenn die Speiſen wohl gekaͤu- et und mit Speichel vermenget ſind, laſſen ſie ſich leichter hinunter ſchlucken: daher pflegen wir ſie auch laͤnger zu kaͤuen, wenn wir ſie entweder zu grob, oder auch zu tro- cken befinden, als daß ſie ſich beqvem hinun- ter ſchlucken lieſſen. Die Urſache beſtehet darinnen, weil ſich die wohl gekaͤuete Speiſe nicht allein leichter in die Kehle, ſondern auch durch den Schlund in den Magen bringen laͤſſet. Wir bringen die Speiſe zu dem Schlunde durch Huͤlffe der Zunge: daher koͤnnen wir nichts hinunter ſchlucken, wenn wir die Zunge herausrecken. Der Schlund wird oben von beſonderen Maͤuß- lein erweitert, daß die Speiſe hinein kan, und durch die Zunge und den Gaumen wird ſie hinein gedruckt. So bald ſie hin- ein iſt, laſſen nicht allein ietzt erwehnte 2. paar Maͤußlein nach den Schlund zu erwei- tern, ſondern er wird gar durch das dritte paar verſchloſſen, damit ſie nicht wieder heraus kan. Wenn demnach die Speiſe klein gekaͤuet und mit Speichel wohl ange- feuchtet iſt; ſo iſt ſie weich und laͤſſet ſich in Schlund beqvem hinein drucken. Es be- ſtehet der Schlund aus drey Haͤuten, die aͤuſſere iſt die gemeine Haut und wie ein Pergamen: giebet ihm die Feſtigkeit, daß er ſich leicht ausdehnen laͤſſet, wenn die Speiſe hinein kommet, und wieder zu-
ſam-
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Cap. XIII. Von der Ernaͤhrung
§. 410. Wenn die Speiſen wohl gekaͤu-
et und mit Speichel vermenget ſind, laſſen
ſie ſich leichter hinunter ſchlucken: daher
pflegen wir ſie auch laͤnger zu kaͤuen, wenn
wir ſie entweder zu grob, oder auch zu tro-
cken befinden, als daß ſie ſich beqvem hinun-
ter ſchlucken lieſſen. Die Urſache beſtehet
darinnen, weil ſich die wohl gekaͤuete Speiſe
nicht allein leichter in die Kehle, ſondern
auch durch den Schlund in den Magen
bringen laͤſſet. Wir bringen die Speiſe zu
dem Schlunde durch Huͤlffe der Zunge:
daher koͤnnen wir nichts hinunter ſchlucken,
wenn wir die Zunge herausrecken. Der
Schlund wird oben von beſonderen Maͤuß-
lein erweitert, daß die Speiſe hinein kan,
und durch die Zunge und den Gaumen
wird ſie hinein gedruckt. So bald ſie hin-
ein iſt, laſſen nicht allein ietzt erwehnte 2.
paar Maͤußlein nach den Schlund zu erwei-
tern, ſondern er wird gar durch das dritte
paar verſchloſſen, damit ſie nicht wieder
heraus kan. Wenn demnach die Speiſe
klein gekaͤuet und mit Speichel wohl ange-
feuchtet iſt; ſo iſt ſie weich und laͤſſet ſich in
Schlund beqvem hinein drucken. Es be-
ſtehet der Schlund aus drey Haͤuten, die
aͤuſſere iſt die gemeine Haut und wie ein
Pergamen: giebet ihm die Feſtigkeit,
daß er ſich leicht ausdehnen laͤſſet, wenn
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Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken Von den Würckungen der Natur. Halle (Saale), 1723, S. 650. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_naturwuerckungen_1723/686>, abgerufen am 25.11.2024.
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