Wer Recht sprechen will, derWie sich Richter auffüh- ren sol- len. muß die Handlungen genau erkennen, wel- che er nach den Gesetzen unterscheiden sol (§. 470). Und demnach muß ein Richter einen jeden mit Gedult anhören, der für Gerichte was vorzubringen hat: wo er sich nicht wohl erklären kan, ihn fragen, wie er es meine, und, damit niemand durch Furcht in Verwirrung gesetzet wird, mit leutfeeligen Minen, Worten und Geber- den sich gegen ihn erzeigen. Es ist also einem Richter unanständig, wenn er dieje- nigen, so etwas anzubringen haben, nicht recht anhören will; oder auch mit harten Worten und unfreundlichen Minen und Geberden in Verwirrung setzet. Wie- derumb da ein Richter willig und bereit seyn soll einem jeden mit seinem Ambie zu Hülffe zu kommen, der desselben nöthig hat (§. cit.); so muß er auch einem jeden bald vor sich lassen, der ihn seines Amb- tes wegen sprechen will, er mag vorneh- me, oder geringe feyn. Und wie jeder- mann verbunden ist gegen Niedrige sich liebreich und freundlich zu erzeigen (§. 815. Mor.); so stehet solches umb sovielmehr einem Richter an, als der auf keinerley Art und Weise zu dem Verdachte wieder sich Anlaß geben soll, daß er ein Ansehen der Person habe. Auf eine solche Weise muß ein Richter sich selbst gegen die grösten U-
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der hohen Landes-Obrigkeit.
§. 471.
Wer Recht ſprechen will, derWie ſich Richter auffuͤh- ren ſol- len. muß die Handlungen genau erkennen, wel- che er nach den Geſetzen unterſcheiden ſol (§. 470). Und demnach muß ein Richter einen jeden mit Gedult anhoͤren, der fuͤr Gerichte was vorzubringen hat: wo er ſich nicht wohl erklaͤren kan, ihn fragen, wie er es meine, und, damit niemand durch Furcht in Verwirrung geſetzet wird, mit leutfeeligen Minen, Worten und Geber- den ſich gegen ihn erzeigen. Es iſt alſo einem Richter unanſtaͤndig, wenn er dieje- nigen, ſo etwas anzubringen haben, nicht recht anhoͤren will; oder auch mit harten Worten und unfreundlichen Minen und Geberden in Verwirrung ſetzet. Wie- derumb da ein Richter willig und bereit ſeyn ſoll einem jeden mit ſeinem Ambie zu Huͤlffe zu kommen, der deſſelben noͤthig hat (§. cit.); ſo muß er auch einem jeden bald vor ſich laſſen, der ihn ſeines Amb- tes wegen ſprechen will, er mag vorneh- me, oder geringe feyn. Und wie jeder- mann verbunden iſt gegen Niedrige ſich liebreich und freundlich zu erzeigen (§. 815. Mor.); ſo ſtehet ſolches umb ſovielmehr einem Richter an, als der auf keinerley Art und Weiſe zu dem Verdachte wieder ſich Anlaß geben ſoll, daß er ein Anſehen der Perſon habe. Auf eine ſolche Weiſe muß ein Richter ſich ſelbſt gegen die groͤſten U-
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der hohen Landes-Obrigkeit.
§. 471.Wer Recht ſprechen will, der
muß die Handlungen genau erkennen, wel-
che er nach den Geſetzen unterſcheiden ſol
(§. 470). Und demnach muß ein Richter
einen jeden mit Gedult anhoͤren, der fuͤr
Gerichte was vorzubringen hat: wo er ſich
nicht wohl erklaͤren kan, ihn fragen, wie er
es meine, und, damit niemand durch
Furcht in Verwirrung geſetzet wird, mit
leutfeeligen Minen, Worten und Geber-
den ſich gegen ihn erzeigen. Es iſt alſo
einem Richter unanſtaͤndig, wenn er dieje-
nigen, ſo etwas anzubringen haben, nicht
recht anhoͤren will; oder auch mit harten
Worten und unfreundlichen Minen und
Geberden in Verwirrung ſetzet. Wie-
derumb da ein Richter willig und bereit
ſeyn ſoll einem jeden mit ſeinem Ambie zu
Huͤlffe zu kommen, der deſſelben noͤthig
hat (§. cit.); ſo muß er auch einem jeden
bald vor ſich laſſen, der ihn ſeines Amb-
tes wegen ſprechen will, er mag vorneh-
me, oder geringe feyn. Und wie jeder-
mann verbunden iſt gegen Niedrige ſich
liebreich und freundlich zu erzeigen (§. 815.
Mor.); ſo ſtehet ſolches umb ſovielmehr
einem Richter an, als der auf keinerley Art
und Weiſe zu dem Verdachte wieder ſich
Anlaß geben ſoll, daß er ein Anſehen der
Perſon habe. Auf eine ſolche Weiſe muß
ein Richter ſich ſelbſt gegen die groͤſten U-
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Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721, S. 521. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/539>, abgerufen am 22.11.2024.
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