Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.Cap. 5. Von der Macht der Majestät mache, die doch keines wegesdavor gehalten würden, auch unmöglich so könnten bestraffet werden, wie man das Verbrechen der beleidigten Majestät zu bestraffen pfleget. Allein hier ist wohl zu mercken, daß wir dieses Verbrechen nicht so abzuhandeln gesonnen, wie es etwan un- ter uns davor gehalten wird: denn ich ha- be mir keines Weges vorgenommen, die Beschaffenheit unserer Staate zu beschrei- ben. Vielmehr da ich überhaupt erkläre, was Vermöge der Vernunfft in einem Staate zu beobachten ist, und also allge- meine Gründe zeige, wodurch man alles, was in der Einrichtung eines jeden Staa- tes vorkommet, beurtheilen kan; so habe ich auch von dem Verbrechen der beleidigten Majestät nicht nach der Einbildung und Ge- wohnheit einiger Völcker, sondern nach dem in der Natur der Sache gegründeten Be- griffe gehandelt. Und muß man daraus urtheilen, wie weit die Gewohnheit ver- nünfftig ist. Weil demnach hier auch klei- nere Verbrechen zu den Beleidigungen der Majestät gezogen werden, als etwan nach unsern Sitten sich davor halten lassen, die Straffen aber nach der Grösse des Ver- brechens einzurichten sind (§. 343): so fol- get vor sich, daß man die kleine Beleidi- gungen der Majestät nicht mit denen Straf- fen ansehen kan, die auf die großen u. schwe- ren
Cap. 5. Von der Macht der Majeſtaͤt mache, die doch keines wegesdavor gehalten wuͤrden, auch unmoͤglich ſo koͤnnten beſtraffet werden, wie man das Verbrechen der beleidigten Majeſtaͤt zu beſtraffen pfleget. Allein hier iſt wohl zu mercken, daß wir dieſes Verbrechen nicht ſo abzuhandeln geſonnen, wie es etwan un- ter uns davor gehalten wird: denn ich ha- be mir keines Weges vorgenommen, die Beſchaffenheit unſerer Staate zu beſchrei- ben. Vielmehr da ich uͤberhaupt erklaͤre, was Vermoͤge der Vernunfft in einem Staate zu beobachten iſt, und alſo allge- meine Gruͤnde zeige, wodurch man alles, was in der Einrichtung eines jeden Staa- tes vorkommet, beurtheilen kan; ſo habe ich auch von dem Verbrechen der beleidigten Majeſtaͤt nicht nach der Einbildung und Ge- wohnheit einiger Voͤlcker, ſondern nach dem in der Natur der Sache gegruͤndeten Be- griffe gehandelt. Und muß man daraus urtheilen, wie weit die Gewohnheit ver- nuͤnfftig iſt. Weil demnach hier auch klei- nere Verbrechen zu den Beleidigungen der Majeſtaͤt gezogen werden, als etwan nach unſern Sitten ſich davor halten laſſen, die Straffen aber nach der Groͤſſe des Ver- brechens einzurichten ſind (§. 343): ſo fol- get vor ſich, daß man die kleine Beleidi- gungen der Majeſtaͤt nicht mit denen Straf- fen anſehen kan, die auf die großen u. ſchwe- ren
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Cap. 5. Von der Macht
der Majeſtaͤt mache, die doch keines weges
davor gehalten wuͤrden, auch unmoͤglich
ſo koͤnnten beſtraffet werden, wie man das
Verbrechen der beleidigten Majeſtaͤt zu
beſtraffen pfleget. Allein hier iſt wohl zu
mercken, daß wir dieſes Verbrechen nicht
ſo abzuhandeln geſonnen, wie es etwan un-
ter uns davor gehalten wird: denn ich ha-
be mir keines Weges vorgenommen, die
Beſchaffenheit unſerer Staate zu beſchrei-
ben. Vielmehr da ich uͤberhaupt erklaͤre,
was Vermoͤge der Vernunfft in einem
Staate zu beobachten iſt, und alſo allge-
meine Gruͤnde zeige, wodurch man alles,
was in der Einrichtung eines jeden Staa-
tes vorkommet, beurtheilen kan; ſo habe ich
auch von dem Verbrechen der beleidigten
Majeſtaͤt nicht nach der Einbildung und Ge-
wohnheit einiger Voͤlcker, ſondern nach dem
in der Natur der Sache gegruͤndeten Be-
griffe gehandelt. Und muß man daraus
urtheilen, wie weit die Gewohnheit ver-
nuͤnfftig iſt. Weil demnach hier auch klei-
nere Verbrechen zu den Beleidigungen der
Majeſtaͤt gezogen werden, als etwan nach
unſern Sitten ſich davor halten laſſen, die
Straffen aber nach der Groͤſſe des Ver-
brechens einzurichten ſind (§. 343): ſo fol-
get vor ſich, daß man die kleine Beleidi-
gungen der Majeſtaͤt nicht mit denen Straf-
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