Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.Cap. 5. Von der Macht oder nicht. Denn wenn es möglich ist,so haben wir schon erwiesen, daß es auch nöthig sey, und folgends recht. Weil man durch einen Eyd GOtt zum Zeugen anruffet, daß man gesonnen sey zuhalten, was man verspricht, und verlanget, daß er es rächen solle, woferne man nicht hal- ten werde, was man versprochen (§. 996. Mor.); so wird auch einer, der da glau- bet, daß ein GOtt sey, der alles wisse und sehe, auch ihn bestraffen werde, wenn er entweder nicht den Sinn hat zuhalten, was er verspricht, oder doch ins künfftige mit Wissen und Willen seinem Verspre- chen zuwieder handelt, sich den Eyd abhal- ten lassen seinem Versprechen zu wieder zu handeln (§. 997. Mor.). Und demnach ist der Eyd ein Mittel, wodurch man O- brigkeiten verbinden kan über die Grund- Gesetze eines Staates zuhalten. Dero- wegen da es möglich ist sie auf solche Wei- se dazu zu verbinden; so muß man in ei- nem Staate, wo Grund-Gesetze vorhan- den sind, dieselben von der Obrigkeit be- schweeren lassen, wenn sie ihre Regierung antritt. Und hieraus siehet man, wie viel alsdenn daran gelegen sey, daß die Obrig- keit sich für GOtt fürchtet. Da nun aber die Furcht Gottes ohne seine Erkäntnis nicht bestehen mag (§. 679. 696. 757. Mor.); so muß auch in diesem Falle die Obrig-
Cap. 5. Von der Macht oder nicht. Denn wenn es moͤglich iſt,ſo haben wir ſchon erwieſen, daß es auch noͤthig ſey, und folgends recht. Weil man durch einen Eyd GOtt zum Zeugen anruffet, daß man geſonnen ſey zuhalten, was man verſpricht, und verlanget, daß er es raͤchen ſolle, woferne man nicht hal- ten werde, was man verſprochen (§. 996. Mor.); ſo wird auch einer, der da glau- bet, daß ein GOtt ſey, der alles wiſſe und ſehe, auch ihn beſtraffen werde, wenn er entweder nicht den Sinn hat zuhalten, was er verſpricht, oder doch ins kuͤnfftige mit Wiſſen und Willen ſeinem Verſpre- chen zuwieder handelt, ſich den Eyd abhal- ten laſſen ſeinem Verſprechen zu wieder zu handeln (§. 997. Mor.). Und demnach iſt der Eyd ein Mittel, wodurch man O- brigkeiten verbinden kan uͤber die Grund- Geſetze eines Staates zuhalten. Dero- wegen da es moͤglich iſt ſie auf ſolche Wei- ſe dazu zu verbinden; ſo muß man in ei- nem Staate, wo Grund-Geſetze vorhan- den ſind, dieſelben von der Obrigkeit be- ſchweeren laſſen, wenn ſie ihre Regierung antritt. Und hieraus ſiehet man, wie viel alsdenn daran gelegen ſey, daß die Obrig- keit ſich fuͤr GOtt fuͤrchtet. Da nun aber die Furcht Gottes ohne ſeine Erkaͤntnis nicht beſtehen mag (§. 679. 696. 757. Mor.); ſo muß auch in dieſem Falle die Obrig-
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Cap. 5. Von der Macht
oder nicht. Denn wenn es moͤglich iſt,
ſo haben wir ſchon erwieſen, daß es auch
noͤthig ſey, und folgends recht. Weil
man durch einen Eyd GOtt zum Zeugen
anruffet, daß man geſonnen ſey zuhalten,
was man verſpricht, und verlanget, daß
er es raͤchen ſolle, woferne man nicht hal-
ten werde, was man verſprochen (§. 996.
Mor.); ſo wird auch einer, der da glau-
bet, daß ein GOtt ſey, der alles wiſſe
und ſehe, auch ihn beſtraffen werde, wenn
er entweder nicht den Sinn hat zuhalten,
was er verſpricht, oder doch ins kuͤnfftige
mit Wiſſen und Willen ſeinem Verſpre-
chen zuwieder handelt, ſich den Eyd abhal-
ten laſſen ſeinem Verſprechen zu wieder zu
handeln (§. 997. Mor.). Und demnach
iſt der Eyd ein Mittel, wodurch man O-
brigkeiten verbinden kan uͤber die Grund-
Geſetze eines Staates zuhalten. Dero-
wegen da es moͤglich iſt ſie auf ſolche Wei-
ſe dazu zu verbinden; ſo muß man in ei-
nem Staate, wo Grund-Geſetze vorhan-
den ſind, dieſelben von der Obrigkeit be-
ſchweeren laſſen, wenn ſie ihre Regierung
antritt. Und hieraus ſiehet man, wie viel
alsdenn daran gelegen ſey, daß die Obrig-
keit ſich fuͤr GOtt fuͤrchtet. Da nun aber
die Furcht Gottes ohne ſeine Erkaͤntnis
nicht beſtehen mag (§. 679. 696. 757.
Mor.); ſo muß auch in dieſem Falle die
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