Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.

Bild:
<< vorherige Seite

und Gewalt der Obrigkeit.
fehlen, was sie thun und lassen sollen, und
die Unterhanen müssen der Obrigkeit ge-
horchen (§. 124). Es wäre auch der Be-
fehl der Obrigkeit für die lange Weile,
wenn die Unterthanen die Freyheit behiel-
ten zuthun und zu lassen, was sie wollten,
und nicht eher folgen wollten, als bis ihnen
gefiele, was befohlen würde. Und ist der
Gehorsam umb so viel mehr nöthig, weil
die Unterthanen nicht immer in dem Stan-
de sind zu urtheilen, was zum gemeinen
Besten gerichtet, weil sie von der Beschaf-
fenheit des gantzen gemeinen Wesens und
seinem wahren Zustande nicht gnungsame
Erkänntnis haben. Sie urtheilen gemei-
niglich bloß darnach, ob es ihnen vortheil-
hafft sey, was befohlen wird, oder nicht.
Allein es pfleget gar offt zu geschehen, daß
dem gantzen gemeinen Wesen ersprießlich
ist, was einem oder dem andern von den
Unterthanen nachtheilig befunden wird. Jm
gemeinen Wesen aber muß die gemeine
Wohlfahrt der besondern vorgezogen wer-
den (§. 218). Offters verstehen auch die Un-
terthanen selbst nicht, was zu ihrem Besten
dienet und halten für gut, was ihnen schäd-
lich seyn würde. Und demnach dienet nicht
wenig sie zum Gehorsam bereit und willig
zu machen, wann man ihnen deutlich zei-
get, daß zu ihrem Besten gereiche, was
die Obrigkeit befiehlet: welches theils durch

öffent-
F f 4

und Gewalt der Obrigkeit.
fehlen, was ſie thun und laſſen ſollen, und
die Unterhanen muͤſſen der Obrigkeit ge-
horchen (§. 124). Es waͤre auch der Be-
fehl der Obrigkeit fuͤr die lange Weile,
wenn die Unterthanen die Freyheit behiel-
ten zuthun und zu laſſen, was ſie wollten,
und nicht eher folgen wollten, als bis ihnen
gefiele, was befohlen wuͤrde. Und iſt der
Gehorſam umb ſo viel mehr noͤthig, weil
die Unterthanen nicht immer in dem Stan-
de ſind zu urtheilen, was zum gemeinen
Beſten gerichtet, weil ſie von der Beſchaf-
fenheit des gantzen gemeinen Weſens und
ſeinem wahren Zuſtande nicht gnungſame
Erkaͤnntnis haben. Sie urtheilen gemei-
niglich bloß darnach, ob es ihnen vortheil-
hafft ſey, was befohlen wird, oder nicht.
Allein es pfleget gar offt zu geſchehen, daß
dem gantzen gemeinen Weſen erſprießlich
iſt, was einem oder dem andern von den
Unterthanen nachtheilig befunden wird. Jm
gemeinen Weſen aber muß die gemeine
Wohlfahrt der beſondern vorgezogen wer-
den (§. 218). Offters verſtehen auch die Un-
terthanen ſelbſt nicht, was zu ihrem Beſten
dienet und halten fuͤr gut, was ihnen ſchaͤd-
lich ſeyn wuͤrde. Und demnach dienet nicht
wenig ſie zum Gehorſam bereit und willig
zu machen, wann man ihnen deutlich zei-
get, daß zu ihrem Beſten gereiche, was
die Obrigkeit befiehlet: welches theils durch

oͤffent-
F f 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0473" n="455"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">und Gewalt der Obrigkeit.</hi></fw><lb/>
fehlen, was &#x017F;ie thun und la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ollen, und<lb/>
die Unterhanen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en der Obrigkeit ge-<lb/>
horchen (§. 124). Es wa&#x0364;re auch der Be-<lb/>
fehl der Obrigkeit fu&#x0364;r die lange Weile,<lb/>
wenn die Unterthanen die Freyheit behiel-<lb/>
ten zuthun und zu la&#x017F;&#x017F;en, was &#x017F;ie wollten,<lb/>
und nicht eher folgen wollten, als bis ihnen<lb/>
gefiele, was befohlen wu&#x0364;rde. Und i&#x017F;t der<lb/>
Gehor&#x017F;am umb &#x017F;o viel mehr no&#x0364;thig, weil<lb/>
die Unterthanen nicht immer in dem Stan-<lb/>
de &#x017F;ind zu urtheilen, was zum gemeinen<lb/>
Be&#x017F;ten gerichtet, weil &#x017F;ie von der Be&#x017F;chaf-<lb/>
fenheit des gantzen gemeinen We&#x017F;ens und<lb/>
&#x017F;einem wahren Zu&#x017F;tande nicht gnung&#x017F;ame<lb/>
Erka&#x0364;nntnis haben. Sie urtheilen gemei-<lb/>
niglich bloß darnach, ob es ihnen vortheil-<lb/>
hafft &#x017F;ey, was befohlen wird, oder nicht.<lb/>
Allein es pfleget gar offt zu ge&#x017F;chehen, daß<lb/>
dem gantzen gemeinen We&#x017F;en er&#x017F;prießlich<lb/>
i&#x017F;t, was einem oder dem andern von den<lb/>
Unterthanen nachtheilig befunden wird. Jm<lb/>
gemeinen We&#x017F;en aber muß die gemeine<lb/>
Wohlfahrt der be&#x017F;ondern vorgezogen wer-<lb/>
den (§. 218). Offters ver&#x017F;tehen auch die Un-<lb/>
terthanen &#x017F;elb&#x017F;t nicht, was zu ihrem Be&#x017F;ten<lb/>
dienet und halten fu&#x0364;r gut, was ihnen &#x017F;cha&#x0364;d-<lb/>
lich &#x017F;eyn wu&#x0364;rde. Und demnach dienet nicht<lb/>
wenig &#x017F;ie zum Gehor&#x017F;am bereit und willig<lb/>
zu machen, wann man ihnen deutlich zei-<lb/>
get, daß zu ihrem Be&#x017F;ten gereiche, was<lb/>
die Obrigkeit befiehlet: welches theils durch<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">F f 4</fw><fw place="bottom" type="catch">o&#x0364;ffent-</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[455/0473] und Gewalt der Obrigkeit. fehlen, was ſie thun und laſſen ſollen, und die Unterhanen muͤſſen der Obrigkeit ge- horchen (§. 124). Es waͤre auch der Be- fehl der Obrigkeit fuͤr die lange Weile, wenn die Unterthanen die Freyheit behiel- ten zuthun und zu laſſen, was ſie wollten, und nicht eher folgen wollten, als bis ihnen gefiele, was befohlen wuͤrde. Und iſt der Gehorſam umb ſo viel mehr noͤthig, weil die Unterthanen nicht immer in dem Stan- de ſind zu urtheilen, was zum gemeinen Beſten gerichtet, weil ſie von der Beſchaf- fenheit des gantzen gemeinen Weſens und ſeinem wahren Zuſtande nicht gnungſame Erkaͤnntnis haben. Sie urtheilen gemei- niglich bloß darnach, ob es ihnen vortheil- hafft ſey, was befohlen wird, oder nicht. Allein es pfleget gar offt zu geſchehen, daß dem gantzen gemeinen Weſen erſprießlich iſt, was einem oder dem andern von den Unterthanen nachtheilig befunden wird. Jm gemeinen Weſen aber muß die gemeine Wohlfahrt der beſondern vorgezogen wer- den (§. 218). Offters verſtehen auch die Un- terthanen ſelbſt nicht, was zu ihrem Beſten dienet und halten fuͤr gut, was ihnen ſchaͤd- lich ſeyn wuͤrde. Und demnach dienet nicht wenig ſie zum Gehorſam bereit und willig zu machen, wann man ihnen deutlich zei- get, daß zu ihrem Beſten gereiche, was die Obrigkeit befiehlet: welches theils durch oͤffent- F f 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/473
Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721, S. 455. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/473>, abgerufen am 22.11.2024.