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Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.

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Gesetzen.
haupt verordnen könnten, daß kein Vor-
mund für seine Mühe etwas haben sol (§.
401). Werden ihre Unmündige wohl erzo-
gen, daß sie Verstand und Tugend erlan-
gen; so werden sie nicht allein erkennen, was
sie Gutes an ihnen gethan haben, und wie-
viel Mühe sie ihrentwegen übernommen,
sondern auch aus Danckbarkeit gegen sie
(§. 156) für sich auf eine Erkäntlichkeit be-
dacht seyn.

§. 432.

Aus denen bißher gegebenen E-Vorzug
der na-
türlichen
Gesetze
für den
Bürger-
lichen.

rempeln erhellet zur Gnüge, was für ein
Unterscheid zwischen denen natürlichen und
Bürgerlichen Gesetzen sich befindet. Ab-
sonderlich ist hieraus zu sehen, daß die Bür-
gerlichen Gesetze keines Weges vollständiger
sind als das Gesetze der Natur, auch die
Meinung derer ungegründet sey, welche
vorgeben, als wenn das Gesetze der Na-
tur viele Handlungen der Menschen unent-
schieden liesse, die nach diesem erst durch
die Bürgerlichen Gesetze müsten entschieden
werden: wie auch schon anderswo ange-
mercket worden (§. 27. Mor.). Die Bür-
gerlichen Gesetze sind vielmehr unvollstän-
dig, weil sie viele Handlungen gantz unent-
schieden lassen, oder doch auf eine unvoll-
kommene Art entscheiden. Und demnach
behalten in diesem Stücke die natürlichen
Gesetze wohl allzeit den Vorzug vor den
Bürgerlichen, wenn nur alles, was zu ih-

nen
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Geſetzen.
haupt verordnen koͤnnten, daß kein Vor-
mund fuͤr ſeine Muͤhe etwas haben ſol (§.
401). Werden ihre Unmuͤndige wohl erzo-
gen, daß ſie Verſtand und Tugend erlan-
gen; ſo werden ſie nicht allein erkennen, was
ſie Gutes an ihnen gethan haben, und wie-
viel Muͤhe ſie ihrentwegen uͤbernommen,
ſondern auch aus Danckbarkeit gegen ſie
(§. 156) fuͤr ſich auf eine Erkaͤntlichkeit be-
dacht ſeyn.

§. 432.

Aus denen bißher gegebenen E-Vorzug
der na-
tuͤrlichen
Geſetze
fuͤr den
Buͤrger-
lichen.

rempeln erhellet zur Gnuͤge, was fuͤr ein
Unterſcheid zwiſchen denen natuͤrlichen und
Buͤrgerlichen Geſetzen ſich befindet. Ab-
ſonderlich iſt hieraus zu ſehen, daß die Buͤr-
gerlichen Geſetze keines Weges vollſtaͤndiger
ſind als das Geſetze der Natur, auch die
Meinung derer ungegruͤndet ſey, welche
vorgeben, als wenn das Geſetze der Na-
tur viele Handlungen der Menſchen unent-
ſchieden lieſſe, die nach dieſem erſt durch
die Buͤrgerlichen Geſetze muͤſten entſchieden
werden: wie auch ſchon anderswo ange-
mercket worden (§. 27. Mor.). Die Buͤr-
gerlichen Geſetze ſind vielmehr unvollſtaͤn-
dig, weil ſie viele Handlungen gantz unent-
ſchieden laſſen, oder doch auf eine unvoll-
kommene Art entſcheiden. Und demnach
behalten in dieſem Stuͤcke die natuͤrlichen
Geſetze wohl allzeit den Vorzug vor den
Buͤrgerlichen, wenn nur alles, was zu ih-

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[453/0471] Geſetzen. haupt verordnen koͤnnten, daß kein Vor- mund fuͤr ſeine Muͤhe etwas haben ſol (§. 401). Werden ihre Unmuͤndige wohl erzo- gen, daß ſie Verſtand und Tugend erlan- gen; ſo werden ſie nicht allein erkennen, was ſie Gutes an ihnen gethan haben, und wie- viel Muͤhe ſie ihrentwegen uͤbernommen, ſondern auch aus Danckbarkeit gegen ſie (§. 156) fuͤr ſich auf eine Erkaͤntlichkeit be- dacht ſeyn. §. 432.Aus denen bißher gegebenen E- rempeln erhellet zur Gnuͤge, was fuͤr ein Unterſcheid zwiſchen denen natuͤrlichen und Buͤrgerlichen Geſetzen ſich befindet. Ab- ſonderlich iſt hieraus zu ſehen, daß die Buͤr- gerlichen Geſetze keines Weges vollſtaͤndiger ſind als das Geſetze der Natur, auch die Meinung derer ungegruͤndet ſey, welche vorgeben, als wenn das Geſetze der Na- tur viele Handlungen der Menſchen unent- ſchieden lieſſe, die nach dieſem erſt durch die Buͤrgerlichen Geſetze muͤſten entſchieden werden: wie auch ſchon anderswo ange- mercket worden (§. 27. Mor.). Die Buͤr- gerlichen Geſetze ſind vielmehr unvollſtaͤn- dig, weil ſie viele Handlungen gantz unent- ſchieden laſſen, oder doch auf eine unvoll- kommene Art entſcheiden. Und demnach behalten in dieſem Stuͤcke die natuͤrlichen Geſetze wohl allzeit den Vorzug vor den Buͤrgerlichen, wenn nur alles, was zu ih- nen Vorzug der na- tuͤrlichen Geſetze fuͤr den Buͤrger- lichen. F f 3

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Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721, S. 453. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/471>, abgerufen am 27.07.2024.