Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.

Bild:
<< vorherige Seite

Cap. 4. Von den bürgerlichen
lieber auf Ausflüchte sinne als bey Crb-
schaffts-Fällen, sonderlich wenn sie wich-
tig sind, indem es allzu angenehm ist Geld
und Gut umbsonst und auf einmahl zube-
kommen. Ob nun zwar die letztere Ursa-
che erfordert, daß die Gesetze von Erb-
schaffts-Fällen sehr allgemein sind, damit
sie die Gelegenheit zum Streite abschnei-
den (§. 427); so ist doch aber gleich-
wohl nöthig, daß verschiedene Fälle sorg-
fältig unterschieden werden, damit man
nicht ohne Noth von der natürlichen Bil-
ligkeit gar zu sehr abweichet. Gewis ist
es, daß die Gesetze ihr zunahe treten, die
einen gewissen Antheil von der gantzen
Verlassenschafft und zwar einerley in al-
len Fällen einem jeden zueignen. Denn
wenn zum Exempel eine Mutter vor sich
mehr Mittel hat, als sie brauchet stand-
mäßig zuleben, die Kinder aber können
von dem väterlichen allein kaum ihre
Nothdurfft haben; so ist es unbillich,
wenn die Mutter zugleich mit den Kin-
dern erben wil, sonderlich da die Mutter
zu einer anderen Ehe schreitet, wo zubesor-
gen, daß sie nachdem ihren Kindern erster
Ehe nicht beyspringen darf, wie sichs ge-
hörete. Vielleicht werden dieses einige
für unnütze Subtilitäten halten: allein
sie müssen erst erweisen, daß man nicht der-
gleichen vermeinte Subtilitäten im gemei-

nen

Cap. 4. Von den buͤrgerlichen
lieber auf Ausfluͤchte ſinne als bey Crb-
ſchaffts-Faͤllen, ſonderlich wenn ſie wich-
tig ſind, indem es allzu angenehm iſt Geld
und Gut umbſonſt und auf einmahl zube-
kommen. Ob nun zwar die letztere Urſa-
che erfordert, daß die Geſetze von Erb-
ſchaffts-Faͤllen ſehr allgemein ſind, damit
ſie die Gelegenheit zum Streite abſchnei-
den (§. 427); ſo iſt doch aber gleich-
wohl noͤthig, daß verſchiedene Faͤlle ſorg-
faͤltig unterſchieden werden, damit man
nicht ohne Noth von der natuͤrlichen Bil-
ligkeit gar zu ſehr abweichet. Gewis iſt
es, daß die Geſetze ihr zunahe treten, die
einen gewiſſen Antheil von der gantzen
Verlaſſenſchafft und zwar einerley in al-
len Faͤllen einem jeden zueignen. Denn
wenn zum Exempel eine Mutter vor ſich
mehr Mittel hat, als ſie brauchet ſtand-
maͤßig zuleben, die Kinder aber koͤnnen
von dem vaͤterlichen allein kaum ihre
Nothdurfft haben; ſo iſt es unbillich,
wenn die Mutter zugleich mit den Kin-
dern erben wil, ſonderlich da die Mutter
zu einer anderen Ehe ſchreitet, wo zubeſor-
gen, daß ſie nachdem ihren Kindern erſter
Ehe nicht beyſpringen darf, wie ſichs ge-
hoͤrete. Vielleicht werden dieſes einige
fuͤr unnuͤtze Subtilitaͤten halten: allein
ſie muͤſſen erſt erweiſen, daß man nicht der-
gleichen vermeinte Subtilitaͤten im gemei-

nen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0466" n="448"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Cap. 4. Von den bu&#x0364;rgerlichen</hi></fw><lb/>
lieber auf Ausflu&#x0364;chte &#x017F;inne als bey Crb-<lb/>
&#x017F;chaffts-Fa&#x0364;llen, &#x017F;onderlich wenn &#x017F;ie wich-<lb/>
tig &#x017F;ind, indem es allzu angenehm i&#x017F;t Geld<lb/>
und Gut umb&#x017F;on&#x017F;t und auf einmahl zube-<lb/>
kommen. Ob nun zwar die letztere Ur&#x017F;a-<lb/>
che erfordert, daß die Ge&#x017F;etze von Erb-<lb/>
&#x017F;chaffts-Fa&#x0364;llen &#x017F;ehr allgemein &#x017F;ind, damit<lb/>
&#x017F;ie die Gelegenheit zum Streite ab&#x017F;chnei-<lb/>
den (§. 427); &#x017F;o i&#x017F;t doch aber gleich-<lb/>
wohl no&#x0364;thig, daß ver&#x017F;chiedene Fa&#x0364;lle &#x017F;org-<lb/>
fa&#x0364;ltig unter&#x017F;chieden werden, damit man<lb/>
nicht ohne Noth von der natu&#x0364;rlichen Bil-<lb/>
ligkeit gar zu &#x017F;ehr abweichet. Gewis i&#x017F;t<lb/>
es, daß die Ge&#x017F;etze ihr zunahe treten, die<lb/>
einen gewi&#x017F;&#x017F;en Antheil von der gantzen<lb/>
Verla&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chafft und zwar einerley in al-<lb/>
len Fa&#x0364;llen einem jeden zueignen. Denn<lb/>
wenn zum Exempel eine Mutter vor &#x017F;ich<lb/>
mehr Mittel hat, als &#x017F;ie brauchet &#x017F;tand-<lb/>
ma&#x0364;ßig zuleben, die Kinder aber ko&#x0364;nnen<lb/>
von dem va&#x0364;terlichen allein kaum ihre<lb/>
Nothdurfft haben; &#x017F;o i&#x017F;t es unbillich,<lb/>
wenn die Mutter zugleich mit den Kin-<lb/>
dern erben wil, &#x017F;onderlich da die Mutter<lb/>
zu einer anderen Ehe &#x017F;chreitet, wo zube&#x017F;or-<lb/>
gen, daß &#x017F;ie nachdem ihren Kindern er&#x017F;ter<lb/>
Ehe nicht bey&#x017F;pringen darf, wie &#x017F;ichs ge-<lb/>
ho&#x0364;rete. Vielleicht werden die&#x017F;es einige<lb/>
fu&#x0364;r unnu&#x0364;tze Subtilita&#x0364;ten halten: allein<lb/>
&#x017F;ie mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en er&#x017F;t erwei&#x017F;en, daß man nicht der-<lb/>
gleichen vermeinte Subtilita&#x0364;ten im gemei-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nen</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[448/0466] Cap. 4. Von den buͤrgerlichen lieber auf Ausfluͤchte ſinne als bey Crb- ſchaffts-Faͤllen, ſonderlich wenn ſie wich- tig ſind, indem es allzu angenehm iſt Geld und Gut umbſonſt und auf einmahl zube- kommen. Ob nun zwar die letztere Urſa- che erfordert, daß die Geſetze von Erb- ſchaffts-Faͤllen ſehr allgemein ſind, damit ſie die Gelegenheit zum Streite abſchnei- den (§. 427); ſo iſt doch aber gleich- wohl noͤthig, daß verſchiedene Faͤlle ſorg- faͤltig unterſchieden werden, damit man nicht ohne Noth von der natuͤrlichen Bil- ligkeit gar zu ſehr abweichet. Gewis iſt es, daß die Geſetze ihr zunahe treten, die einen gewiſſen Antheil von der gantzen Verlaſſenſchafft und zwar einerley in al- len Faͤllen einem jeden zueignen. Denn wenn zum Exempel eine Mutter vor ſich mehr Mittel hat, als ſie brauchet ſtand- maͤßig zuleben, die Kinder aber koͤnnen von dem vaͤterlichen allein kaum ihre Nothdurfft haben; ſo iſt es unbillich, wenn die Mutter zugleich mit den Kin- dern erben wil, ſonderlich da die Mutter zu einer anderen Ehe ſchreitet, wo zubeſor- gen, daß ſie nachdem ihren Kindern erſter Ehe nicht beyſpringen darf, wie ſichs ge- hoͤrete. Vielleicht werden dieſes einige fuͤr unnuͤtze Subtilitaͤten halten: allein ſie muͤſſen erſt erweiſen, daß man nicht der- gleichen vermeinte Subtilitaͤten im gemei- nen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/466
Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721, S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/466>, abgerufen am 22.11.2024.