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Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.

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Cap. 4. Von den bürgerlichen
er entweder grossen Schaden haben, oder
auch höchst unglücklich werden kan, wenn
er in die Straffe verfället, dergleichen er
sich bey diesem Verbrechen nimmermehr
vermuthet hätte.

Warumb
Gesetze
öffentlich
bekand
zu ma-
chen sind.
§. 416.

Und eben deßwegen, weil es un-
möglich ist, daß man nach einem Gesetze
lebe, welches einem unbekand ist, müssen
Gesetze, die von neuem gegeben werden,
öffentlich bekand gemacht werden, welches
geschiehet, wenn man sie an öffentlichen
Oertern änschläget, wo sie jedermann le-
sen kan, oder in öffentlichen Versammlun-
gen, wo viele zusammen kommen, ablie-
set, oder auch durch den öffentlichen Druck
ausbreitet. Und deswegen erlanget auch
kein Befehl des Oberen eher die Krafft ei-
nes Gesetzes, als bis es publiciret, das
ist, auf eine von denen erwehnten Arten
öffentlich bekand gemacht worden. Was
ein anderer wil, kan niemand errathen:
er muß es sagen. Und was alle wissen sol-
len, muß man nicht nur einigen sagen,
sondern allen bekand machen.

Wenn
Unwis-
senheit
nicht ent-
schuldi-
get.
§. 417.

Hingegen aber findet alsdenn
auch keine Entschuldigung mit der Unwis-
senheit statt, wenn man ein Gesetze öffent-
lich bekand gemacht. Denn woferne auch
einer in der That nicht erfahren hätte, daß
das Gesetze gegeben worden; so ist doch
die Schuld seine, daß es nicht geschehen,

indem

Cap. 4. Von den buͤrgerlichen
er entweder groſſen Schaden haben, oder
auch hoͤchſt ungluͤcklich werden kan, wenn
er in die Straffe verfaͤllet, dergleichen er
ſich bey dieſem Verbrechen nimmermehr
vermuthet haͤtte.

Warumb
Geſetze
oͤffentlich
bekand
zu ma-
chen ſind.
§. 416.

Und eben deßwegen, weil es un-
moͤglich iſt, daß man nach einem Geſetze
lebe, welches einem unbekand iſt, muͤſſen
Geſetze, die von neuem gegeben werden,
oͤffentlich bekand gemacht werden, welches
geſchiehet, wenn man ſie an oͤffentlichen
Oertern aͤnſchlaͤget, wo ſie jedermann le-
ſen kan, oder in oͤffentlichen Verſammlun-
gen, wo viele zuſammen kommen, ablie-
ſet, oder auch durch den oͤffentlichen Druck
ausbreitet. Und deswegen erlanget auch
kein Befehl des Oberen eher die Krafft ei-
nes Geſetzes, als bis es publiciret, das
iſt, auf eine von denen erwehnten Arten
oͤffentlich bekand gemacht worden. Was
ein anderer wil, kan niemand errathen:
er muß es ſagen. Und was alle wiſſen ſol-
len, muß man nicht nur einigen ſagen,
ſondern allen bekand machen.

Wenn
Unwiſ-
ſenheit
nicht ent-
ſchuldi-
get.
§. 417.

Hingegen aber findet alsdenn
auch keine Entſchuldigung mit der Unwiſ-
ſenheit ſtatt, wenn man ein Geſetze oͤffent-
lich bekand gemacht. Denn woferne auch
einer in der That nicht erfahren haͤtte, daß
das Geſetze gegeben worden; ſo iſt doch
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[426/0444] Cap. 4. Von den buͤrgerlichen er entweder groſſen Schaden haben, oder auch hoͤchſt ungluͤcklich werden kan, wenn er in die Straffe verfaͤllet, dergleichen er ſich bey dieſem Verbrechen nimmermehr vermuthet haͤtte. §. 416.Und eben deßwegen, weil es un- moͤglich iſt, daß man nach einem Geſetze lebe, welches einem unbekand iſt, muͤſſen Geſetze, die von neuem gegeben werden, oͤffentlich bekand gemacht werden, welches geſchiehet, wenn man ſie an oͤffentlichen Oertern aͤnſchlaͤget, wo ſie jedermann le- ſen kan, oder in oͤffentlichen Verſammlun- gen, wo viele zuſammen kommen, ablie- ſet, oder auch durch den oͤffentlichen Druck ausbreitet. Und deswegen erlanget auch kein Befehl des Oberen eher die Krafft ei- nes Geſetzes, als bis es publiciret, das iſt, auf eine von denen erwehnten Arten oͤffentlich bekand gemacht worden. Was ein anderer wil, kan niemand errathen: er muß es ſagen. Und was alle wiſſen ſol- len, muß man nicht nur einigen ſagen, ſondern allen bekand machen. §. 417.Hingegen aber findet alsdenn auch keine Entſchuldigung mit der Unwiſ- ſenheit ſtatt, wenn man ein Geſetze oͤffent- lich bekand gemacht. Denn woferne auch einer in der That nicht erfahren haͤtte, daß das Geſetze gegeben worden; ſo iſt doch die Schuld ſeine, daß es nicht geſchehen, indem

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Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721, S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/444>, abgerufen am 22.11.2024.