Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.

Bild:
<< vorherige Seite

Cap. 4. Von den bürgerlichen
würde; so würde man nach und nach im-
mer vollkommnere Gesetze bekommen und
dadurch das gemeine Wesen sich nicht ei-
ner geringen Aufnahme zu getrösten haben,
indem doch auf den Gesetzen die gantze
Wohlfahrt und Sicherheit desselben ge-
bauet ist (§. 215. 404).

Wie die
Gesetze
nach und
nach zu
verbes-
sern.
§ 412.

Es sället auch öffters schweer, ja
denen Gesetzgebern wohl gar unmöglich,
daß sie alle Fälle vorher sehen können, die
sich bey der Sache ereignen können, davon
das Gesetze gegeben wird. Unterdessen da
in verschiedenen Fällen die Umstände gantz
unterschieden sind; pfleget es zu geschehen,
daß die viel zu allgemeinen Gesetze sich
darauf nicht schicken und man dannenhe-
ro der natürlichen Billigkeit allzunahe tritt,
wenn man ihnen schlechterdinges folget.
Unterdessen ist doch auch nicht zu verstat-
ten, daß einer eigenmächtig davon abwei-
che (§. 409), insonderheit weil daraus An-
laß zu Ausflüchten könte genommen wer-
den, wenn man aus anderen intereßirten
Absichten davon abwiche. Derowegen
wenn sich ein solcher Fall ereignete, so sol-
te Leuten, die im Nachdencken geübet und
in Rechts-Gründen erfahren sind, derglei-
chen man bey der Academie der Wissen-
schafften haben sol (§. 301), die Entscheidung
desselben zu untersuchen aufgegeben werden.
Wenn man nun heraus gebracht hätte,

was

Cap. 4. Von den buͤrgerlichen
wuͤrde; ſo wuͤrde man nach und nach im-
mer vollkommnere Geſetze bekommen und
dadurch das gemeine Weſen ſich nicht ei-
ner geringen Aufnahme zu getroͤſten haben,
indem doch auf den Geſetzen die gantze
Wohlfahrt und Sicherheit deſſelben ge-
bauet iſt (§. 215. 404).

Wie die
Geſetze
nach und
nach zu
verbeſ-
ſern.
§ 412.

Es ſaͤllet auch oͤffters ſchweer, ja
denen Geſetzgebern wohl gar unmoͤglich,
daß ſie alle Faͤlle vorher ſehen koͤnnen, die
ſich bey der Sache ereignen koͤnnen, davon
das Geſetze gegeben wird. Unterdeſſen da
in verſchiedenen Faͤllen die Umſtaͤnde gantz
unterſchieden ſind; pfleget es zu geſchehen,
daß die viel zu allgemeinen Geſetze ſich
darauf nicht ſchicken und man dannenhe-
ro der natuͤrlichen Billigkeit allzunahe tritt,
wenn man ihnen ſchlechterdinges folget.
Unterdeſſen iſt doch auch nicht zu verſtat-
ten, daß einer eigenmaͤchtig davon abwei-
che (§. 409), inſonderheit weil daraus An-
laß zu Ausfluͤchten koͤnte genommen wer-
den, wenn man aus anderen intereßirten
Abſichten davon abwiche. Derowegen
wenn ſich ein ſolcher Fall ereignete, ſo ſol-
te Leuten, die im Nachdencken geuͤbet und
in Rechts-Gruͤnden erfahren ſind, derglei-
chen man bey der Academie der Wiſſen-
ſchafften haben ſol (§. 301), die Entſcheidung
deſſelben zu unterſuchen aufgegeben werden.
Wenn man nun heraus gebracht haͤtte,

was
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0440" n="422"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Cap. 4. Von den bu&#x0364;rgerlichen</hi></fw><lb/>
wu&#x0364;rde; &#x017F;o wu&#x0364;rde man nach und nach im-<lb/>
mer vollkommnere Ge&#x017F;etze bekommen und<lb/>
dadurch das gemeine We&#x017F;en &#x017F;ich nicht ei-<lb/>
ner geringen Aufnahme zu getro&#x0364;&#x017F;ten haben,<lb/>
indem doch auf den Ge&#x017F;etzen die gantze<lb/>
Wohlfahrt und Sicherheit de&#x017F;&#x017F;elben ge-<lb/>
bauet i&#x017F;t (§. 215. 404).</p><lb/>
              <note place="left">Wie die<lb/>
Ge&#x017F;etze<lb/>
nach und<lb/>
nach zu<lb/>
verbe&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ern.</note>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§ 412.</head>
              <p>Es &#x017F;a&#x0364;llet auch o&#x0364;ffters &#x017F;chweer, ja<lb/>
denen Ge&#x017F;etzgebern wohl gar unmo&#x0364;glich,<lb/>
daß &#x017F;ie alle Fa&#x0364;lle vorher &#x017F;ehen ko&#x0364;nnen, die<lb/>
&#x017F;ich bey der Sache ereignen ko&#x0364;nnen, davon<lb/>
das Ge&#x017F;etze gegeben wird. Unterde&#x017F;&#x017F;en da<lb/>
in ver&#x017F;chiedenen Fa&#x0364;llen die Um&#x017F;ta&#x0364;nde gantz<lb/>
unter&#x017F;chieden &#x017F;ind; pfleget es zu ge&#x017F;chehen,<lb/>
daß die viel zu allgemeinen Ge&#x017F;etze &#x017F;ich<lb/>
darauf nicht &#x017F;chicken und man dannenhe-<lb/>
ro der natu&#x0364;rlichen Billigkeit allzunahe tritt,<lb/>
wenn man ihnen &#x017F;chlechterdinges folget.<lb/>
Unterde&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t doch auch nicht zu ver&#x017F;tat-<lb/>
ten, daß einer eigenma&#x0364;chtig davon abwei-<lb/>
che (§. 409), in&#x017F;onderheit weil daraus An-<lb/>
laß zu Ausflu&#x0364;chten ko&#x0364;nte genommen wer-<lb/>
den, wenn man aus anderen intereßirten<lb/>
Ab&#x017F;ichten davon abwiche. Derowegen<lb/>
wenn &#x017F;ich ein &#x017F;olcher Fall ereignete, &#x017F;o &#x017F;ol-<lb/>
te Leuten, die im Nachdencken geu&#x0364;bet und<lb/>
in Rechts-Gru&#x0364;nden erfahren &#x017F;ind, derglei-<lb/>
chen man bey der Academie der Wi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chafften haben &#x017F;ol (§. 301), die Ent&#x017F;cheidung<lb/>
de&#x017F;&#x017F;elben zu unter&#x017F;uchen aufgegeben werden.<lb/>
Wenn man nun heraus gebracht ha&#x0364;tte,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">was</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[422/0440] Cap. 4. Von den buͤrgerlichen wuͤrde; ſo wuͤrde man nach und nach im- mer vollkommnere Geſetze bekommen und dadurch das gemeine Weſen ſich nicht ei- ner geringen Aufnahme zu getroͤſten haben, indem doch auf den Geſetzen die gantze Wohlfahrt und Sicherheit deſſelben ge- bauet iſt (§. 215. 404). § 412.Es ſaͤllet auch oͤffters ſchweer, ja denen Geſetzgebern wohl gar unmoͤglich, daß ſie alle Faͤlle vorher ſehen koͤnnen, die ſich bey der Sache ereignen koͤnnen, davon das Geſetze gegeben wird. Unterdeſſen da in verſchiedenen Faͤllen die Umſtaͤnde gantz unterſchieden ſind; pfleget es zu geſchehen, daß die viel zu allgemeinen Geſetze ſich darauf nicht ſchicken und man dannenhe- ro der natuͤrlichen Billigkeit allzunahe tritt, wenn man ihnen ſchlechterdinges folget. Unterdeſſen iſt doch auch nicht zu verſtat- ten, daß einer eigenmaͤchtig davon abwei- che (§. 409), inſonderheit weil daraus An- laß zu Ausfluͤchten koͤnte genommen wer- den, wenn man aus anderen intereßirten Abſichten davon abwiche. Derowegen wenn ſich ein ſolcher Fall ereignete, ſo ſol- te Leuten, die im Nachdencken geuͤbet und in Rechts-Gruͤnden erfahren ſind, derglei- chen man bey der Academie der Wiſſen- ſchafften haben ſol (§. 301), die Entſcheidung deſſelben zu unterſuchen aufgegeben werden. Wenn man nun heraus gebracht haͤtte, was

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/440
Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721, S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/440>, abgerufen am 22.11.2024.