Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.

Bild:
<< vorherige Seite

Cap. 4. Von den bürgerlichen
229). Diejenigen nun, welche die Gese-
tze aufsetzen, sind nicht Gesetzgeber, son-
dern Rathgeber der Gesetze. Sie bringen
sie in Vorschlag; die Obrigkeit aber ma-
chet sie zu Gesetzen. Hingegen ist es ein
grosses Versehen, wenn man bey dem Ge-
setzgeben solche Leute zurathe ziehet, welche
entweder gar keine, oder wenigstens nicht
genungsame Erkäntniß von der Art der
Handlungen haben, dazu Gesetze sollen ge-
geben werden. Denn dadurch bekom-
met man Gesetze, die zum Schaden gerei-
chen, oder wenigstens die Wohlfahrt hin-
dern, und so bald man dieses wahrnimmet,
findet man sich gemüßiget dieselben wieder
abzuschaffen und zu ändern. Es ist aber
in der That nicht ein geringes Versehen,
wenn man erst mit Schaden klug werden
muß. Unterdessen ists doch noch gut, wenn
es geschiehet. Denn unterweilen wird
Schade durch die Gesetze gestifftet und nie-
mand erkennet es. Daher bleiben sie immer-
fort, wie vorhin, und der Schade mehret
sich, indem Vermöge des Zusammenhangs
der Dinge in der Natur immer eines aus
dem andern kömmet.

Wer
Statu-
ten ein-
richten
sol.
§. 407.

Und demnach muß man zu Ein-
richtung der Statuten, Jnnungen und an-
derer Professionen Leute nehmen, welche
diese Handthierung, Künste und Profes-
sion
en völlig verstehen, jedoch auch je-

man-

Cap. 4. Von den buͤrgerlichen
229). Diejenigen nun, welche die Geſe-
tze aufſetzen, ſind nicht Geſetzgeber, ſon-
dern Rathgeber der Geſetze. Sie bringen
ſie in Vorſchlag; die Obrigkeit aber ma-
chet ſie zu Geſetzen. Hingegen iſt es ein
groſſes Verſehen, wenn man bey dem Ge-
ſetzgeben ſolche Leute zurathe ziehet, welche
entweder gar keine, oder wenigſtens nicht
genungſame Erkaͤntniß von der Art der
Handlungen haben, dazu Geſetze ſollen ge-
geben werden. Denn dadurch bekom-
met man Geſetze, die zum Schaden gerei-
chen, oder wenigſtens die Wohlfahrt hin-
dern, und ſo bald man dieſes wahrnimmet,
findet man ſich gemuͤßiget dieſelben wieder
abzuſchaffen und zu aͤndern. Es iſt aber
in der That nicht ein geringes Verſehen,
wenn man erſt mit Schaden klug werden
muß. Unterdeſſen iſts doch noch gut, wenn
es geſchiehet. Denn unterweilen wird
Schade durch die Geſetze geſtifftet und nie-
mand erkennet es. Daher bleiben ſie immer-
fort, wie vorhin, und der Schade mehret
ſich, indem Vermoͤge des Zuſammenhangs
der Dinge in der Natur immer eines aus
dem andern koͤmmet.

Wer
Statu-
ten ein-
richten
ſol.
§. 407.

Und demnach muß man zu Ein-
richtung der Statuten, Jnnungen und an-
derer Profeſſionen Leute nehmen, welche
dieſe Handthierung, Kuͤnſte und Profeſ-
ſion
en voͤllig verſtehen, jedoch auch je-

man-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0434" n="416"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Cap. 4. Von den bu&#x0364;rgerlichen</hi></fw><lb/>
229). Diejenigen nun, welche die Ge&#x017F;e-<lb/>
tze auf&#x017F;etzen, &#x017F;ind nicht Ge&#x017F;etzgeber, &#x017F;on-<lb/>
dern Rathgeber der Ge&#x017F;etze. Sie bringen<lb/>
&#x017F;ie in Vor&#x017F;chlag; die Obrigkeit aber ma-<lb/>
chet &#x017F;ie zu Ge&#x017F;etzen. Hingegen i&#x017F;t es ein<lb/>
gro&#x017F;&#x017F;es Ver&#x017F;ehen, wenn man bey dem Ge-<lb/>
&#x017F;etzgeben &#x017F;olche Leute zurathe ziehet, welche<lb/>
entweder gar keine, oder wenig&#x017F;tens nicht<lb/>
genung&#x017F;ame Erka&#x0364;ntniß von der Art der<lb/>
Handlungen haben, dazu Ge&#x017F;etze &#x017F;ollen ge-<lb/>
geben werden. Denn dadurch bekom-<lb/>
met man Ge&#x017F;etze, die zum Schaden gerei-<lb/>
chen, oder wenig&#x017F;tens die Wohlfahrt hin-<lb/>
dern, und &#x017F;o bald man die&#x017F;es wahrnimmet,<lb/>
findet man &#x017F;ich gemu&#x0364;ßiget die&#x017F;elben wieder<lb/>
abzu&#x017F;chaffen und zu a&#x0364;ndern. Es i&#x017F;t aber<lb/>
in der That nicht ein geringes Ver&#x017F;ehen,<lb/>
wenn man er&#x017F;t mit Schaden klug werden<lb/>
muß. Unterde&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;ts doch noch gut, wenn<lb/>
es ge&#x017F;chiehet. Denn unterweilen wird<lb/>
Schade durch die Ge&#x017F;etze ge&#x017F;tifftet und nie-<lb/>
mand erkennet es. Daher bleiben &#x017F;ie immer-<lb/>
fort, wie vorhin, und der Schade mehret<lb/>
&#x017F;ich, indem Vermo&#x0364;ge des Zu&#x017F;ammenhangs<lb/>
der Dinge in der Natur immer eines aus<lb/>
dem andern ko&#x0364;mmet.</p><lb/>
              <note place="left">Wer<lb/>
Statu-<lb/>
ten ein-<lb/>
richten<lb/>
&#x017F;ol.</note>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 407.</head>
              <p>Und demnach muß man zu Ein-<lb/>
richtung der Statuten, Jnnungen und an-<lb/>
derer <hi rendition="#aq">Profe&#x017F;&#x017F;ion</hi>en Leute nehmen, welche<lb/>
die&#x017F;e Handthierung, Ku&#x0364;n&#x017F;te und <hi rendition="#aq">Profe&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ion</hi>en vo&#x0364;llig ver&#x017F;tehen, jedoch auch je-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">man-</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[416/0434] Cap. 4. Von den buͤrgerlichen 229). Diejenigen nun, welche die Geſe- tze aufſetzen, ſind nicht Geſetzgeber, ſon- dern Rathgeber der Geſetze. Sie bringen ſie in Vorſchlag; die Obrigkeit aber ma- chet ſie zu Geſetzen. Hingegen iſt es ein groſſes Verſehen, wenn man bey dem Ge- ſetzgeben ſolche Leute zurathe ziehet, welche entweder gar keine, oder wenigſtens nicht genungſame Erkaͤntniß von der Art der Handlungen haben, dazu Geſetze ſollen ge- geben werden. Denn dadurch bekom- met man Geſetze, die zum Schaden gerei- chen, oder wenigſtens die Wohlfahrt hin- dern, und ſo bald man dieſes wahrnimmet, findet man ſich gemuͤßiget dieſelben wieder abzuſchaffen und zu aͤndern. Es iſt aber in der That nicht ein geringes Verſehen, wenn man erſt mit Schaden klug werden muß. Unterdeſſen iſts doch noch gut, wenn es geſchiehet. Denn unterweilen wird Schade durch die Geſetze geſtifftet und nie- mand erkennet es. Daher bleiben ſie immer- fort, wie vorhin, und der Schade mehret ſich, indem Vermoͤge des Zuſammenhangs der Dinge in der Natur immer eines aus dem andern koͤmmet. §. 407.Und demnach muß man zu Ein- richtung der Statuten, Jnnungen und an- derer Profeſſionen Leute nehmen, welche dieſe Handthierung, Kuͤnſte und Profeſ- ſionen voͤllig verſtehen, jedoch auch je- man-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/434
Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/434>, abgerufen am 25.11.2024.