Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.des gemeinen Wesens. erstochen werden, oder auch wohl den an-deren erstechen: in welchen Fällen allen er mehr Unglück sich auf den Hals ziehet, als die Schimpf Worte gewesen, damit man ihm zunahe kommen. Weil nun die Selbst-Rache vieles Unheil anrichten kan, so muß man scharffe Straffen dar- auf setzen (§. 343). Unterdessen, wenn einer aus Ubereilung wieder schimpffet, wo er geschimpfft worden, oder auch wieder schläget, wo er geschlagen worden; so kan man es nicht so hoch ansehen, als wenn einer mit gutem Bedacht und aus Vorsa- tze sich gerächet, weil man im Zorn nicht seiner recht mächtig ist (§. 491. Met.). Es ist aber alsdenn billich, daß auch derje- nige, welcher den Anfang der Beleidigung gemachet, nicht mehr so harte angesehen werde, als sonst geschehen würde, wenn der andere alle Rache der Obrigkeit überlaßen hätte. Denn im gemeinen Wesen vertritt die Straffe die Stelle dessen, was im na- türlichen Stande dem Beleidigten zu thun vergönnet wäre. Daher wäre es soviel als wenn einer doppelt gestrafft würde, woferne man ihn noch eben so scharff be- straffen wollte, nachdem der beleidigte sich selbst an ihm gerächet, als sonst ge- schehen wäre, wenn er solches unterlassen hätte. Ja woferne der Beleidigte in der Selbst-Rache die Schrancken allzusehr ü- über- C c 4
des gemeinen Weſens. erſtochen werden, oder auch wohl den an-deren erſtechen: in welchen Faͤllen allen er mehr Ungluͤck ſich auf den Hals ziehet, als die Schimpf Worte geweſen, damit man ihm zunahe kommen. Weil nun die Selbſt-Rache vieles Unheil anrichten kan, ſo muß man ſcharffe Straffen dar- auf ſetzen (§. 343). Unterdeſſen, wenn einer aus Ubereilung wieder ſchimpffet, wo er geſchimpfft worden, oder auch wieder ſchlaͤget, wo er geſchlagen worden; ſo kan man es nicht ſo hoch anſehen, als wenn einer mit gutem Bedacht und aus Vorſa- tze ſich geraͤchet, weil man im Zorn nicht ſeiner recht maͤchtig iſt (§. 491. Met.). Es iſt aber alsdenn billich, daß auch derje- nige, welcher den Anfang der Beleidigung gemachet, nicht mehr ſo harte angeſehen werde, als ſonſt geſchehen wuͤrde, wenn der andere alle Rache der Obrigkeit uͤberlaßen haͤtte. Denn im gemeinen Weſen vertritt die Straffe die Stelle deſſen, was im na- tuͤrlichen Stande dem Beleidigten zu thun vergoͤnnet waͤre. Daher waͤre es ſoviel als wenn einer doppelt geſtrafft wuͤrde, woferne man ihn noch eben ſo ſcharff be- ſtraffen wollte, nachdem der beleidigte ſich ſelbſt an ihm geraͤchet, als ſonſt ge- ſchehen waͤre, wenn er ſolches unterlaſſen haͤtte. Ja woferne der Beleidigte in der Selbſt-Rache die Schrancken allzuſehr uͤ- uͤber- C c 4
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des gemeinen Weſens.
erſtochen werden, oder auch wohl den an-
deren erſtechen: in welchen Faͤllen allen
er mehr Ungluͤck ſich auf den Hals ziehet,
als die Schimpf Worte geweſen, damit
man ihm zunahe kommen. Weil nun
die Selbſt-Rache vieles Unheil anrichten
kan, ſo muß man ſcharffe Straffen dar-
auf ſetzen (§. 343). Unterdeſſen, wenn
einer aus Ubereilung wieder ſchimpffet, wo
er geſchimpfft worden, oder auch wieder
ſchlaͤget, wo er geſchlagen worden; ſo kan
man es nicht ſo hoch anſehen, als wenn
einer mit gutem Bedacht und aus Vorſa-
tze ſich geraͤchet, weil man im Zorn nicht
ſeiner recht maͤchtig iſt (§. 491. Met.). Es
iſt aber alsdenn billich, daß auch derje-
nige, welcher den Anfang der Beleidigung
gemachet, nicht mehr ſo harte angeſehen
werde, als ſonſt geſchehen wuͤrde, wenn der
andere alle Rache der Obrigkeit uͤberlaßen
haͤtte. Denn im gemeinen Weſen vertritt
die Straffe die Stelle deſſen, was im na-
tuͤrlichen Stande dem Beleidigten zu thun
vergoͤnnet waͤre. Daher waͤre es ſoviel
als wenn einer doppelt geſtrafft wuͤrde,
woferne man ihn noch eben ſo ſcharff be-
ſtraffen wollte, nachdem der beleidigte
ſich ſelbſt an ihm geraͤchet, als ſonſt ge-
ſchehen waͤre, wenn er ſolches unterlaſſen
haͤtte. Ja woferne der Beleidigte in der
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