Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.des gemeinen Wesens. Unterschleif geschehen kan, daß nehmlichentweder Leute betteln, die es nicht nöthig haben, oder auch einige mehr betteln, als zu ihrer Nothdurst gehöret, indem nicht ein jeder in den Umständen ist, da er den Zustand des Bettlers recht erkundigen kön- te, über dieses auch ein Bettler mehr Ge- höre findet als der andere, ob er gleich nicht so nothdürftig ist, weil er geschickter ist entweder von Natur, oder auch durch seine Ubung den andern in einen dienlichen Affect zu bringen, dadurch er zur Mildig- keit bewogen wird, und in diesen und der- gleichen Fällen das Allmosen weder an die rechten Personen kommet, noch nach der Billichkeit unter die Dürfftigen ausge- theilet wird; so sol man im gemeinen We- sen das Betteln gar nicht verstatten, son- dern vielmehr auf Anstalten bedacht seyn, da dieser Unterschleif verhütet wird. Jch habe gesaget: man sey nicht immer in den Umständen, da man sich des Zustandes eines Bettlers erkundigen kan. Denn weil auch der Recht hat zu betteln, der zwar arbeiten kan, aber keine Gelegenheit dazu findet, oder nicht so viel mit seiner Arbeit vor sich bringet, als seine Noth- durfft erfordert (§. 964 Mor.); so kan das äusserliche Ansehen eines Bettlers einen leicht auf die Gedancken bringen, als wenn er das Allmosen nicht nöthig hätte, ob er es
des gemeinen Weſens. Unterſchleif geſchehen kan, daß nehmlichentweder Leute betteln, die es nicht noͤthig haben, oder auch einige mehr betteln, als zu ihrer Nothdurſt gehoͤret, indem nicht ein jeder in den Umſtaͤnden iſt, da er den Zuſtand des Bettlers recht erkundigen koͤn- te, uͤber dieſes auch ein Bettler mehr Ge- hoͤre findet als der andere, ob er gleich nicht ſo nothduͤrftig iſt, weil er geſchickter iſt entweder von Natur, oder auch durch ſeine Ubung den andern in einen dienlichen Affect zu bringen, dadurch er zur Mildig- keit bewogen wird, und in dieſen und der- gleichen Faͤllen das Allmoſen weder an die rechten Perſonen kommet, noch nach der Billichkeit unter die Duͤrfftigen ausge- theilet wird; ſo ſol man im gemeinen We- ſen das Betteln gar nicht verſtatten, ſon- dern vielmehr auf Anſtalten bedacht ſeyn, da dieſer Unterſchleif verhuͤtet wird. Jch habe geſaget: man ſey nicht immer in den Umſtaͤnden, da man ſich des Zuſtandes eines Bettlers erkundigen kan. Denn weil auch der Recht hat zu betteln, der zwar arbeiten kan, aber keine Gelegenheit dazu findet, oder nicht ſo viel mit ſeiner Arbeit vor ſich bringet, als ſeine Noth- durfft erfordert (§. 964 Mor.); ſo kan das aͤuſſerliche Anſehen eines Bettlers einen leicht auf die Gedancken bringen, als wenn er das Allmoſen nicht noͤthig haͤtte, ob er es
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Unterſchleif geſchehen kan, daß nehmlich
entweder Leute betteln, die es nicht noͤthig
haben, oder auch einige mehr betteln, als
zu ihrer Nothdurſt gehoͤret, indem nicht
ein jeder in den Umſtaͤnden iſt, da er den
Zuſtand des Bettlers recht erkundigen koͤn-
te, uͤber dieſes auch ein Bettler mehr Ge-
hoͤre findet als der andere, ob er gleich
nicht ſo nothduͤrftig iſt, weil er geſchickter
iſt entweder von Natur, oder auch durch
ſeine Ubung den andern in einen dienlichen
Affect zu bringen, dadurch er zur Mildig-
keit bewogen wird, und in dieſen und der-
gleichen Faͤllen das Allmoſen weder an die
rechten Perſonen kommet, noch nach der
Billichkeit unter die Duͤrfftigen ausge-
theilet wird; ſo ſol man im gemeinen We-
ſen das Betteln gar nicht verſtatten, ſon-
dern vielmehr auf Anſtalten bedacht ſeyn,
da dieſer Unterſchleif verhuͤtet wird. Jch
habe geſaget: man ſey nicht immer in den
Umſtaͤnden, da man ſich des Zuſtandes
eines Bettlers erkundigen kan. Denn
weil auch der Recht hat zu betteln, der
zwar arbeiten kan, aber keine Gelegenheit
dazu findet, oder nicht ſo viel mit ſeiner
Arbeit vor ſich bringet, als ſeine Noth-
durfft erfordert (§. 964 Mor.); ſo kan das
aͤuſſerliche Anſehen eines Bettlers einen
leicht auf die Gedancken bringen, als wenn
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