Wolf, August: Der Stern der Schönheit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 303–322. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Schicksal, gleichsam die Unmöglichkeit fühlend, daß ich den Stern der Schönheit nicht haben und kennen lernen sollte, kam ich auf den Gedanken, ihn mir selbst zu schreiben und so wenigstens durch die Phantasie annähernd mir zu ersetzen, was die Wirklichkeit mir vorerst versagte. Ich weiß noch deutlich den Abend, als ich, Thränen der Erregung in den Augen und vor Wuth mit dem Fuß stampfend, zuerst auf dies Rettungsmittel verfiel und mich auch sogleich heransetzte. Wie kann es sein? dachte ich wieder, und wohl mehr als zehnmal hab' ich in der Folge die angefangene Arbeit vernichtet, die einmal schon bis zum Anfang des dritten Acts gediehen war. Aber mit Freude ging ich immer wieder an den Anfang, wenn der vorige Versuch verworfen war. -- Endlich sagte ich mir: Aber Lope, du fängst es auch sehr dumm an, sehr dumm! Wer wird denn auch gleich einen Stern der Schönheit schreiben wollen. Schreibe doch erst andere Sachen, übe dich, entwickle dich, und wenn du deine Kraft erstarkt fühlst, dann geh wieder an einen Versuch. Gedacht, gethan! Ich begann andere Dramen zu schreiben, gleichgültig, spielend, zum Spaß. Darüber wurde ich älter, ich legte mehr Ernst in diese meine Uebungen, schrieb auch andere Gedichte, und je mehr ich schrieb, desto nöthiger schien mir die Vorarbeit zu dem eigentlichen Werk. Meine Sachen wurden bekannt, wurden gelobt, wurden beliebt und aufgeführt, und ich schrieb immer fort, ich konnte mir nicht genug thun, und weißt du, Schicksal, gleichsam die Unmöglichkeit fühlend, daß ich den Stern der Schönheit nicht haben und kennen lernen sollte, kam ich auf den Gedanken, ihn mir selbst zu schreiben und so wenigstens durch die Phantasie annähernd mir zu ersetzen, was die Wirklichkeit mir vorerst versagte. Ich weiß noch deutlich den Abend, als ich, Thränen der Erregung in den Augen und vor Wuth mit dem Fuß stampfend, zuerst auf dies Rettungsmittel verfiel und mich auch sogleich heransetzte. Wie kann es sein? dachte ich wieder, und wohl mehr als zehnmal hab' ich in der Folge die angefangene Arbeit vernichtet, die einmal schon bis zum Anfang des dritten Acts gediehen war. Aber mit Freude ging ich immer wieder an den Anfang, wenn der vorige Versuch verworfen war. — Endlich sagte ich mir: Aber Lope, du fängst es auch sehr dumm an, sehr dumm! Wer wird denn auch gleich einen Stern der Schönheit schreiben wollen. Schreibe doch erst andere Sachen, übe dich, entwickle dich, und wenn du deine Kraft erstarkt fühlst, dann geh wieder an einen Versuch. Gedacht, gethan! Ich begann andere Dramen zu schreiben, gleichgültig, spielend, zum Spaß. Darüber wurde ich älter, ich legte mehr Ernst in diese meine Uebungen, schrieb auch andere Gedichte, und je mehr ich schrieb, desto nöthiger schien mir die Vorarbeit zu dem eigentlichen Werk. Meine Sachen wurden bekannt, wurden gelobt, wurden beliebt und aufgeführt, und ich schrieb immer fort, ich konnte mir nicht genug thun, und weißt du, <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0020"/> Schicksal, gleichsam die Unmöglichkeit fühlend, daß ich den Stern der Schönheit nicht haben und kennen lernen sollte, kam ich auf den Gedanken, ihn mir selbst zu schreiben und so wenigstens durch die Phantasie annähernd mir zu ersetzen, was die Wirklichkeit mir vorerst versagte. Ich weiß noch deutlich den Abend, als ich, Thränen der Erregung in den Augen und vor Wuth mit dem Fuß stampfend, zuerst auf dies Rettungsmittel verfiel und mich auch sogleich heransetzte. Wie kann es sein? dachte ich wieder, und wohl mehr als zehnmal hab' ich in der Folge die angefangene Arbeit vernichtet, die einmal schon bis zum Anfang des dritten Acts gediehen war. Aber mit Freude ging ich immer wieder an den Anfang, wenn der vorige Versuch verworfen war. — Endlich sagte ich mir: Aber Lope, du fängst es auch sehr dumm an, sehr dumm! Wer wird denn auch gleich einen Stern der Schönheit schreiben wollen. Schreibe doch erst andere Sachen, übe dich, entwickle dich, und wenn du deine Kraft erstarkt fühlst, dann geh wieder an einen Versuch. Gedacht, gethan! Ich begann andere Dramen zu schreiben, gleichgültig, spielend, zum Spaß. Darüber wurde ich älter, ich legte mehr Ernst in diese meine Uebungen, schrieb auch andere Gedichte, und je mehr ich schrieb, desto nöthiger schien mir die Vorarbeit zu dem eigentlichen Werk.</p><lb/> <p>Meine Sachen wurden bekannt, wurden gelobt, wurden beliebt und aufgeführt, und ich schrieb immer fort, ich konnte mir nicht genug thun, und weißt du,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0020]
Schicksal, gleichsam die Unmöglichkeit fühlend, daß ich den Stern der Schönheit nicht haben und kennen lernen sollte, kam ich auf den Gedanken, ihn mir selbst zu schreiben und so wenigstens durch die Phantasie annähernd mir zu ersetzen, was die Wirklichkeit mir vorerst versagte. Ich weiß noch deutlich den Abend, als ich, Thränen der Erregung in den Augen und vor Wuth mit dem Fuß stampfend, zuerst auf dies Rettungsmittel verfiel und mich auch sogleich heransetzte. Wie kann es sein? dachte ich wieder, und wohl mehr als zehnmal hab' ich in der Folge die angefangene Arbeit vernichtet, die einmal schon bis zum Anfang des dritten Acts gediehen war. Aber mit Freude ging ich immer wieder an den Anfang, wenn der vorige Versuch verworfen war. — Endlich sagte ich mir: Aber Lope, du fängst es auch sehr dumm an, sehr dumm! Wer wird denn auch gleich einen Stern der Schönheit schreiben wollen. Schreibe doch erst andere Sachen, übe dich, entwickle dich, und wenn du deine Kraft erstarkt fühlst, dann geh wieder an einen Versuch. Gedacht, gethan! Ich begann andere Dramen zu schreiben, gleichgültig, spielend, zum Spaß. Darüber wurde ich älter, ich legte mehr Ernst in diese meine Uebungen, schrieb auch andere Gedichte, und je mehr ich schrieb, desto nöthiger schien mir die Vorarbeit zu dem eigentlichen Werk.
Meine Sachen wurden bekannt, wurden gelobt, wurden beliebt und aufgeführt, und ich schrieb immer fort, ich konnte mir nicht genug thun, und weißt du,
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Zitationshilfe: | Wolf, August: Der Stern der Schönheit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 303–322. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolf_schoenheit_1910/20>, abgerufen am 16.07.2024. |