Wolf, August: Der Stern der Schönheit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 303–322. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.gewöhnlich viel in Haus und Hof herum und ich lief mit ihm und fand dabei mehr Zeitvertreib als in dem Zimmer, in welchem meine Mutter und Tante saßen, Limonade tranken und schwatzten, und wo ich mich stets sehr still und ruhig verhalten mußte. Ich schloß mich auch diesmal dem Oheim bei erster Gelegenheit an, und nachdem wir lange Zeit auf dem Hofe, im Stalle bei zwei Maulthieren und in einer Vorrathskammer, in der allerlei Geräthschaften aufgehäuft waren, zugebracht, kehrten wir wieder in den Hausraum zurück und gingen in ein Zimmer, das gewöhnlich verschlossen war und in das ich nur selten kam, das also schon deshalb einen außerordentlichen Reiz für mich hatte, diesmal mir aber ganz besonders wichtig werden sollte. Der Onkel öffnete nämlich einen großen braunen Wandschrank, der fest in die Mauer eingefügt war, nahm aus den Fächern desselben eine Menge Bücher, legte sie auf das Bett, das unter dem Wandschrank aufgeschlagen war, und begann in den Büchern zu blättern und zu suchen. Ich hatte früh lesen und schreiben gelernt, und lesen, das war meine größte Lust damals. Das viele Lesen war mir verboten: wo ich aber nur ein Buch erwischen konnte, da nahm ich es, versteckte mich und las es begierig. So kramte ich denn auch hier eifrig unter der Menge von Büchern, die unordentlich durcheinander auf dem Bette vor mir aufgehäuft lagen. Ich ergriff eins nach dem andern und schlug die Titel auf, sie waren aber meist unverständlich für mich. Da kam mir auch ein gewöhnlich viel in Haus und Hof herum und ich lief mit ihm und fand dabei mehr Zeitvertreib als in dem Zimmer, in welchem meine Mutter und Tante saßen, Limonade tranken und schwatzten, und wo ich mich stets sehr still und ruhig verhalten mußte. Ich schloß mich auch diesmal dem Oheim bei erster Gelegenheit an, und nachdem wir lange Zeit auf dem Hofe, im Stalle bei zwei Maulthieren und in einer Vorrathskammer, in der allerlei Geräthschaften aufgehäuft waren, zugebracht, kehrten wir wieder in den Hausraum zurück und gingen in ein Zimmer, das gewöhnlich verschlossen war und in das ich nur selten kam, das also schon deshalb einen außerordentlichen Reiz für mich hatte, diesmal mir aber ganz besonders wichtig werden sollte. Der Onkel öffnete nämlich einen großen braunen Wandschrank, der fest in die Mauer eingefügt war, nahm aus den Fächern desselben eine Menge Bücher, legte sie auf das Bett, das unter dem Wandschrank aufgeschlagen war, und begann in den Büchern zu blättern und zu suchen. Ich hatte früh lesen und schreiben gelernt, und lesen, das war meine größte Lust damals. Das viele Lesen war mir verboten: wo ich aber nur ein Buch erwischen konnte, da nahm ich es, versteckte mich und las es begierig. So kramte ich denn auch hier eifrig unter der Menge von Büchern, die unordentlich durcheinander auf dem Bette vor mir aufgehäuft lagen. Ich ergriff eins nach dem andern und schlug die Titel auf, sie waren aber meist unverständlich für mich. Da kam mir auch ein <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0015"/> gewöhnlich viel in Haus und Hof herum und ich lief mit ihm und fand dabei mehr Zeitvertreib als in dem Zimmer, in welchem meine Mutter und Tante saßen, Limonade tranken und schwatzten, und wo ich mich stets sehr still und ruhig verhalten mußte. Ich schloß mich auch diesmal dem Oheim bei erster Gelegenheit an, und nachdem wir lange Zeit auf dem Hofe, im Stalle bei zwei Maulthieren und in einer Vorrathskammer, in der allerlei Geräthschaften aufgehäuft waren, zugebracht, kehrten wir wieder in den Hausraum zurück und gingen in ein Zimmer, das gewöhnlich verschlossen war und in das ich nur selten kam, das also schon deshalb einen außerordentlichen Reiz für mich hatte, diesmal mir aber ganz besonders wichtig werden sollte. Der Onkel öffnete nämlich einen großen braunen Wandschrank, der fest in die Mauer eingefügt war, nahm aus den Fächern desselben eine Menge Bücher, legte sie auf das Bett, das unter dem Wandschrank aufgeschlagen war, und begann in den Büchern zu blättern und zu suchen. Ich hatte früh lesen und schreiben gelernt, und lesen, das war meine größte Lust damals. Das viele Lesen war mir verboten: wo ich aber nur ein Buch erwischen konnte, da nahm ich es, versteckte mich und las es begierig. So kramte ich denn auch hier eifrig unter der Menge von Büchern, die unordentlich durcheinander auf dem Bette vor mir aufgehäuft lagen. Ich ergriff eins nach dem andern und schlug die Titel auf, sie waren aber meist unverständlich für mich. Da kam mir auch ein<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0015]
gewöhnlich viel in Haus und Hof herum und ich lief mit ihm und fand dabei mehr Zeitvertreib als in dem Zimmer, in welchem meine Mutter und Tante saßen, Limonade tranken und schwatzten, und wo ich mich stets sehr still und ruhig verhalten mußte. Ich schloß mich auch diesmal dem Oheim bei erster Gelegenheit an, und nachdem wir lange Zeit auf dem Hofe, im Stalle bei zwei Maulthieren und in einer Vorrathskammer, in der allerlei Geräthschaften aufgehäuft waren, zugebracht, kehrten wir wieder in den Hausraum zurück und gingen in ein Zimmer, das gewöhnlich verschlossen war und in das ich nur selten kam, das also schon deshalb einen außerordentlichen Reiz für mich hatte, diesmal mir aber ganz besonders wichtig werden sollte. Der Onkel öffnete nämlich einen großen braunen Wandschrank, der fest in die Mauer eingefügt war, nahm aus den Fächern desselben eine Menge Bücher, legte sie auf das Bett, das unter dem Wandschrank aufgeschlagen war, und begann in den Büchern zu blättern und zu suchen. Ich hatte früh lesen und schreiben gelernt, und lesen, das war meine größte Lust damals. Das viele Lesen war mir verboten: wo ich aber nur ein Buch erwischen konnte, da nahm ich es, versteckte mich und las es begierig. So kramte ich denn auch hier eifrig unter der Menge von Büchern, die unordentlich durcheinander auf dem Bette vor mir aufgehäuft lagen. Ich ergriff eins nach dem andern und schlug die Titel auf, sie waren aber meist unverständlich für mich. Da kam mir auch ein
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Zitationshilfe: | Wolf, August: Der Stern der Schönheit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 303–322. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolf_schoenheit_1910/15>, abgerufen am 16.07.2024. |