Wolf, August: Der Stern der Schönheit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 303–322. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.auf den Tisch unter der Laube. Die Freunde setzten sich, und Lope schenkte ein. Ah Malaga! rief Fernando, der sogleich gekostet hatte, erfreut aus. Dann nahm er noch einen Schluck, prüfte ihn mit Wohlbehagen und fügte hinzu: und welch ein guter, alter! Natürlich, sagte Lope, kann ich dir heute nichts Anderes vorsetzen. Trink dich nur satt. Laß es dir nur schmecken und höre, was ich dir erzählen will. Ach ja, erwiderte Fernando und lachte nochmals, daß es dir, der du fünfhundert Dramen geschrieben hast, ebenso gegangen ist wie mir, der ich nicht ein einziges vollendet habe. Was ich dir zu erzählen habe, ist wohl nichts Anderes, als die Geschichte, wie ich überhaupt dazu gekommen bin zu schreiben. Weißt du, daß ich das Stück, welches ich eigentlich dichten will, noch nicht geschrieben, daß ich es mehrere Male angefangen und immer wieder verbrannt habe? Was ist denn das für ein Stück? fragte Fernando. Es heißt: Der Stern der Schönheit. Wie Tausend? Der Stern der Schönheit oder die Prinzessin von Granada. Als ich ein Bube von etwa zwölf Jahren war, befand ich mich eines Sonntags mit der Mutter bei meiner Tante. Ich langweilte mich entsetzlich und freute mich sehr, als der Oheim nach Hause kam. Der ging auf den Tisch unter der Laube. Die Freunde setzten sich, und Lope schenkte ein. Ah Malaga! rief Fernando, der sogleich gekostet hatte, erfreut aus. Dann nahm er noch einen Schluck, prüfte ihn mit Wohlbehagen und fügte hinzu: und welch ein guter, alter! Natürlich, sagte Lope, kann ich dir heute nichts Anderes vorsetzen. Trink dich nur satt. Laß es dir nur schmecken und höre, was ich dir erzählen will. Ach ja, erwiderte Fernando und lachte nochmals, daß es dir, der du fünfhundert Dramen geschrieben hast, ebenso gegangen ist wie mir, der ich nicht ein einziges vollendet habe. Was ich dir zu erzählen habe, ist wohl nichts Anderes, als die Geschichte, wie ich überhaupt dazu gekommen bin zu schreiben. Weißt du, daß ich das Stück, welches ich eigentlich dichten will, noch nicht geschrieben, daß ich es mehrere Male angefangen und immer wieder verbrannt habe? Was ist denn das für ein Stück? fragte Fernando. Es heißt: Der Stern der Schönheit. Wie Tausend? Der Stern der Schönheit oder die Prinzessin von Granada. Als ich ein Bube von etwa zwölf Jahren war, befand ich mich eines Sonntags mit der Mutter bei meiner Tante. Ich langweilte mich entsetzlich und freute mich sehr, als der Oheim nach Hause kam. Der ging <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0014"/> auf den Tisch unter der Laube. Die Freunde setzten sich, und Lope schenkte ein.</p><lb/> <p>Ah Malaga! rief Fernando, der sogleich gekostet hatte, erfreut aus. Dann nahm er noch einen Schluck, prüfte ihn mit Wohlbehagen und fügte hinzu: und welch ein guter, alter!</p><lb/> <p>Natürlich, sagte Lope, kann ich dir heute nichts Anderes vorsetzen. Trink dich nur satt. Laß es dir nur schmecken und höre, was ich dir erzählen will.</p><lb/> <p>Ach ja, erwiderte Fernando und lachte nochmals, daß es dir, der du fünfhundert Dramen geschrieben hast, ebenso gegangen ist wie mir, der ich nicht ein einziges vollendet habe.</p><lb/> <p>Was ich dir zu erzählen habe, ist wohl nichts Anderes, als die Geschichte, wie ich überhaupt dazu gekommen bin zu schreiben. Weißt du, daß ich das Stück, welches ich eigentlich dichten will, noch nicht geschrieben, daß ich es mehrere Male angefangen und immer wieder verbrannt habe?</p><lb/> <p>Was ist denn das für ein Stück? fragte Fernando.</p><lb/> <p>Es heißt: Der Stern der Schönheit.</p><lb/> <p>Wie Tausend?</p><lb/> <p>Der Stern der Schönheit oder die Prinzessin von Granada.</p><lb/> <p>Als ich ein Bube von etwa zwölf Jahren war, befand ich mich eines Sonntags mit der Mutter bei meiner Tante. Ich langweilte mich entsetzlich und freute mich sehr, als der Oheim nach Hause kam. Der ging<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0014]
auf den Tisch unter der Laube. Die Freunde setzten sich, und Lope schenkte ein.
Ah Malaga! rief Fernando, der sogleich gekostet hatte, erfreut aus. Dann nahm er noch einen Schluck, prüfte ihn mit Wohlbehagen und fügte hinzu: und welch ein guter, alter!
Natürlich, sagte Lope, kann ich dir heute nichts Anderes vorsetzen. Trink dich nur satt. Laß es dir nur schmecken und höre, was ich dir erzählen will.
Ach ja, erwiderte Fernando und lachte nochmals, daß es dir, der du fünfhundert Dramen geschrieben hast, ebenso gegangen ist wie mir, der ich nicht ein einziges vollendet habe.
Was ich dir zu erzählen habe, ist wohl nichts Anderes, als die Geschichte, wie ich überhaupt dazu gekommen bin zu schreiben. Weißt du, daß ich das Stück, welches ich eigentlich dichten will, noch nicht geschrieben, daß ich es mehrere Male angefangen und immer wieder verbrannt habe?
Was ist denn das für ein Stück? fragte Fernando.
Es heißt: Der Stern der Schönheit.
Wie Tausend?
Der Stern der Schönheit oder die Prinzessin von Granada.
Als ich ein Bube von etwa zwölf Jahren war, befand ich mich eines Sonntags mit der Mutter bei meiner Tante. Ich langweilte mich entsetzlich und freute mich sehr, als der Oheim nach Hause kam. Der ging
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Zitationshilfe: | Wolf, August: Der Stern der Schönheit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 303–322. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolf_schoenheit_1910/14>, abgerufen am 16.07.2024. |