wächs im Pflanzenreich, so bald es während der Zeit seines Hervorkeimens, und ehe es einen gewissen Grad des Wachsthums erreicht hat, verletzet wird, niemals zu der Stärke und Vollkommenheit gelangen kann, die es sonsten erreichet haben würde, wenn man ihm Zeit genung gelassen hätte, sich gehörig auszuwi- ckeln. Diese Beschaffenheit hat es mit dem Grase und denen Kräutern, welche auf der Weide dem Vieh zur Nahrung dienen sollen. Kaum hat der wankelmüthige April, mit seiner ungewissen Heiterkeit, den Schnee vom Anger hinweggeschmelzet; kaum färben sich die brau- nen Keime des Grases mit dunkelm Grün; so zanket bereits der alte Wirth mit dem Hirten, daß er die Heerde austreiben soll. Sein Vieh, heißet es, wolle nicht mehr im Stall fressen, es sehne sich nach der Hütung, ja es rieche schon das Graß. Das an denen Vorurthei- len und der Unwissenheit seines Herrn unschul- dige Vieh, verlässet also ungern die Krippe und gehet auf die Weide. Allein weit entfernt sich zu sättigen, wandert es hin und wieder, und reißet vor Hunger und vielleicht halb auch vor Verdruß die alten Stoppeln des Grases mit dem jungen Keim, und denen daran hangenden Wurzeln zugleich aus der Erde, frisset etwas davon, und lässet das meiste wieder fallen. Der schwere Ochs drücket mit seiner Centnerlast,
bei
waͤchs im Pflanzenreich, ſo bald es waͤhrend der Zeit ſeines Hervorkeimens, und ehe es einen gewiſſen Grad des Wachsthums erreicht hat, verletzet wird, niemals zu der Staͤrke und Vollkommenheit gelangen kann, die es ſonſten erreichet haben wuͤrde, wenn man ihm Zeit genung gelaſſen haͤtte, ſich gehoͤrig auszuwi- ckeln. Dieſe Beſchaffenheit hat es mit dem Graſe und denen Kraͤutern, welche auf der Weide dem Vieh zur Nahrung dienen ſollen. Kaum hat der wankelmuͤthige April, mit ſeiner ungewiſſen Heiterkeit, den Schnee vom Anger hinweggeſchmelzet; kaum faͤrben ſich die brau- nen Keime des Graſes mit dunkelm Gruͤn; ſo zanket bereits der alte Wirth mit dem Hirten, daß er die Heerde austreiben ſoll. Sein Vieh, heißet es, wolle nicht mehr im Stall freſſen, es ſehne ſich nach der Huͤtung, ja es rieche ſchon das Graß. Das an denen Vorurthei- len und der Unwiſſenheit ſeines Herrn unſchul- dige Vieh, verlaͤſſet alſo ungern die Krippe und gehet auf die Weide. Allein weit entfernt ſich zu ſaͤttigen, wandert es hin und wieder, und reißet vor Hunger und vielleicht halb auch vor Verdruß die alten Stoppeln des Graſes mit dem jungen Keim, und denen daran hangenden Wurzeln zugleich aus der Erde, friſſet etwas davon, und laͤſſet das meiſte wieder fallen. Der ſchwere Ochs druͤcket mit ſeiner Centnerlaſt,
bei
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0029"n="11"/>
waͤchs im Pflanzenreich, ſo bald es waͤhrend<lb/>
der Zeit ſeines Hervorkeimens, und ehe es<lb/>
einen gewiſſen Grad des Wachsthums erreicht<lb/>
hat, verletzet wird, niemals zu der Staͤrke und<lb/>
Vollkommenheit gelangen kann, die es ſonſten<lb/>
erreichet haben wuͤrde, wenn man ihm Zeit<lb/>
genung gelaſſen haͤtte, ſich gehoͤrig auszuwi-<lb/>
ckeln. Dieſe Beſchaffenheit hat es mit dem<lb/>
Graſe und denen Kraͤutern, welche auf der<lb/>
Weide dem Vieh zur Nahrung dienen ſollen.<lb/>
Kaum hat der wankelmuͤthige April, mit ſeiner<lb/>
ungewiſſen Heiterkeit, den Schnee vom Anger<lb/>
hinweggeſchmelzet; kaum faͤrben ſich die brau-<lb/>
nen Keime des Graſes mit dunkelm Gruͤn; ſo<lb/>
zanket bereits der alte Wirth mit dem Hirten,<lb/>
daß er die Heerde austreiben ſoll. Sein Vieh,<lb/>
heißet es, wolle nicht mehr im Stall freſſen,<lb/>
es ſehne ſich nach der Huͤtung, ja es rieche<lb/>ſchon das Graß. Das an denen Vorurthei-<lb/>
len und der Unwiſſenheit ſeines Herrn unſchul-<lb/>
dige Vieh, verlaͤſſet alſo ungern die Krippe und<lb/>
gehet auf die Weide. Allein weit entfernt ſich<lb/>
zu ſaͤttigen, wandert es hin und wieder, und<lb/>
reißet vor Hunger und vielleicht halb auch vor<lb/>
Verdruß die alten Stoppeln des Graſes mit<lb/>
dem jungen Keim, und denen daran hangenden<lb/>
Wurzeln zugleich aus der Erde, friſſet etwas<lb/>
davon, und laͤſſet das meiſte wieder fallen. Der<lb/>ſchwere Ochs druͤcket mit ſeiner Centnerlaſt,<lb/><fwplace="bottom"type="catch">bei</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[11/0029]
waͤchs im Pflanzenreich, ſo bald es waͤhrend
der Zeit ſeines Hervorkeimens, und ehe es
einen gewiſſen Grad des Wachsthums erreicht
hat, verletzet wird, niemals zu der Staͤrke und
Vollkommenheit gelangen kann, die es ſonſten
erreichet haben wuͤrde, wenn man ihm Zeit
genung gelaſſen haͤtte, ſich gehoͤrig auszuwi-
ckeln. Dieſe Beſchaffenheit hat es mit dem
Graſe und denen Kraͤutern, welche auf der
Weide dem Vieh zur Nahrung dienen ſollen.
Kaum hat der wankelmuͤthige April, mit ſeiner
ungewiſſen Heiterkeit, den Schnee vom Anger
hinweggeſchmelzet; kaum faͤrben ſich die brau-
nen Keime des Graſes mit dunkelm Gruͤn; ſo
zanket bereits der alte Wirth mit dem Hirten,
daß er die Heerde austreiben ſoll. Sein Vieh,
heißet es, wolle nicht mehr im Stall freſſen,
es ſehne ſich nach der Huͤtung, ja es rieche
ſchon das Graß. Das an denen Vorurthei-
len und der Unwiſſenheit ſeines Herrn unſchul-
dige Vieh, verlaͤſſet alſo ungern die Krippe und
gehet auf die Weide. Allein weit entfernt ſich
zu ſaͤttigen, wandert es hin und wieder, und
reißet vor Hunger und vielleicht halb auch vor
Verdruß die alten Stoppeln des Graſes mit
dem jungen Keim, und denen daran hangenden
Wurzeln zugleich aus der Erde, friſſet etwas
davon, und laͤſſet das meiſte wieder fallen. Der
ſchwere Ochs druͤcket mit ſeiner Centnerlaſt,
bei
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Wöllner, Johann Christoph von: Die Aufhebung der Gemeinheiten in der Marck Brandenburg. Berlin, 1766, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/woellner_aufhebung_1766/29>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.