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Wirth, Johann Georg August: Das Nationalfest der Deutschen zu Hambach. Heft 1. Neustadt, 1832.

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Freiheit, Glück und Frieden in dauerhafter Weise nie erlangen, weil
die unvereinbarlichen Principien von Volkshoheit und dem Königthume
des göttlichen Rechts zwischen Frankreich und den deutschen Königen
ewige Reibung erzeugen und einen Kampf entzünden müssen, dem nur mit
dem entscheidenden Siege des vernünftigen Princips, also dem Triumphe
der Volkshoheit in Deutschland, definitiv ein Ziel gesetzt werden kann.
Wenn demnach die Reform Deutschlands so sehr im Interesse Frank-
reichs liegt, so scheint es natürlich, daß die deutschen Patrioten in ih-
rem schweren und ungleichen Kampfe gegen die Verräther ihres Vater-
landes ihre Hoffnung vorzüglich auf Frankreich setzen sollten. Man sollte
meinen, unsere französischen Nachbarn müßten dem großen Werk der
deutschen Reform wegen der davon abhängenden Reorganisation Euro-
pa's frei von allem Eigennutze und insbesondere frei von Vergrößerungs-
sucht, aufrichtig und uneigennützig ihre volle Unterstützung widmen. Leider
dürfen wir aber dieser Hoffnung uns noch nicht ergeben. Die gegenwär-
tig in Frankreich herrschende Parthei, gestützt auf die ganze Masse der
Reichen und Wohlhabenden, will um jeden Preiß den Frieden erhalten.
Ihr ist es nur um kleinliche materielle Interessen zu thun, sie begreift
das wahre Bedürfniß Europa's so wenig, als die Aufgabe des Jahr-
hunderts. Sie ist insbesondere völlig unfähig, sich zu der Idee zu er-
heben, daß Frankreich die Reform Deutschlands aus höheren politischen
Rücksichten völlig eigennützig unterstützen müsse. Könnte daher diese
Parthei auch zu einer Unterstützung der Bewegung in Deutschland sich
entschließen, so würde sie das linke Rheinufer als den Preiß ihrer Hülfe
fordern. Außer den Carlisten, welche hier in keine Erwägung gezogen
werden können, kämpft gegen die herrschende Parthei in Frankreich eine
zweifache Opposition, nämlich die Propaganda und die Republicaner.
Letztere sind aber größtentheils mittellos, daher von den Wahlen und
von dem Antheile an der Repräsentation völlig ausgeschlossen. Auf fried-
lichem Wege kann deßhalb diese Parthei niemals an die Spitze der Ge-
schäfte treten. Würde demnach eine Veränderung des Regierungssystems
in Frankreich von der Opposition auch durchgesetzt, so geschähe dieß höch-
stens im Sinne der Propaganda. Diese Parthei will die Freunde der
Freiheit in andern Ländern allerdings thätig unterstützen, allein sie fordert
als Preiß der Hülfe ebenfalls das linke Rheinufer. Nur die Republikaner,
insbesondere die Gesellschaft der Volksfreunde (Societe des amis du peuple)
haben reinere patriotische Grundsätze und legen auf die Eroberung der Rhein-
grenze einen geringen Werth oder verlangen sie gar nicht. Allein ohne
eine Staatsumwälzung, wozu noch lange keine Aussicht gegeben ist,

Freiheit, Glück und Frieden in dauerhafter Weiſe nie erlangen, weil
die unvereinbarlichen Principien von Volkshoheit und dem Königthume
des göttlichen Rechts zwiſchen Frankreich und den deutſchen Königen
ewige Reibung erzeugen und einen Kampf entzünden müſſen, dem nur mit
dem entſcheidenden Siege des vernünftigen Princips, alſo dem Triumphe
der Volkshoheit in Deutſchland, definitiv ein Ziel geſetzt werden kann.
Wenn demnach die Reform Deutſchlands ſo ſehr im Intereſſe Frank-
reichs liegt, ſo ſcheint es natürlich, daß die deutſchen Patrioten in ih-
rem ſchweren und ungleichen Kampfe gegen die Verräther ihres Vater-
landes ihre Hoffnung vorzüglich auf Frankreich ſetzen ſollten. Man ſollte
meinen, unſere franzöſiſchen Nachbarn müßten dem großen Werk der
deutſchen Reform wegen der davon abhängenden Reorganiſation Euro-
pa’s frei von allem Eigennutze und insbeſondere frei von Vergrößerungs-
ſucht, aufrichtig und uneigennützig ihre volle Unterſtützung widmen. Leider
dürfen wir aber dieſer Hoffnung uns noch nicht ergeben. Die gegenwär-
tig in Frankreich herrſchende Parthei, geſtützt auf die ganze Maſſe der
Reichen und Wohlhabenden, will um jeden Preiß den Frieden erhalten.
Ihr iſt es nur um kleinliche materielle Intereſſen zu thun, ſie begreift
das wahre Bedürfniß Europa’s ſo wenig, als die Aufgabe des Jahr-
hunderts. Sie iſt insbeſondere völlig unfähig, ſich zu der Idee zu er-
heben, daß Frankreich die Reform Deutſchlands aus höheren politiſchen
Rückſichten völlig eigennützig unterſtützen müſſe. Könnte daher dieſe
Parthei auch zu einer Unterſtützung der Bewegung in Deutſchland ſich
entſchließen, ſo würde ſie das linke Rheinufer als den Preiß ihrer Hülfe
fordern. Außer den Carliſten, welche hier in keine Erwägung gezogen
werden können, kämpft gegen die herrſchende Parthei in Frankreich eine
zweifache Oppoſition, nämlich die Propaganda und die Republicaner.
Letztere ſind aber größtentheils mittellos, daher von den Wahlen und
von dem Antheile an der Repräſentation völlig ausgeſchloſſen. Auf fried-
lichem Wege kann deßhalb dieſe Parthei niemals an die Spitze der Ge-
ſchäfte treten. Würde demnach eine Veränderung des Regierungsſyſtems
in Frankreich von der Oppoſition auch durchgeſetzt, ſo geſchähe dieß höch-
ſtens im Sinne der Propaganda. Dieſe Parthei will die Freunde der
Freiheit in andern Ländern allerdings thätig unterſtützen, allein ſie fordert
als Preiß der Hülfe ebenfalls das linke Rheinufer. Nur die Republikaner,
insbeſondere die Geſellſchaft der Volksfreunde (Société des amis du peuple)
haben reinere patriotiſche Grundſätze und legen auf die Eroberung der Rhein-
grenze einen geringen Werth oder verlangen ſie gar nicht. Allein ohne
eine Staatsumwälzung, wozu noch lange keine Ausſicht gegeben iſt,

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[44/0052] Freiheit, Glück und Frieden in dauerhafter Weiſe nie erlangen, weil die unvereinbarlichen Principien von Volkshoheit und dem Königthume des göttlichen Rechts zwiſchen Frankreich und den deutſchen Königen ewige Reibung erzeugen und einen Kampf entzünden müſſen, dem nur mit dem entſcheidenden Siege des vernünftigen Princips, alſo dem Triumphe der Volkshoheit in Deutſchland, definitiv ein Ziel geſetzt werden kann. Wenn demnach die Reform Deutſchlands ſo ſehr im Intereſſe Frank- reichs liegt, ſo ſcheint es natürlich, daß die deutſchen Patrioten in ih- rem ſchweren und ungleichen Kampfe gegen die Verräther ihres Vater- landes ihre Hoffnung vorzüglich auf Frankreich ſetzen ſollten. Man ſollte meinen, unſere franzöſiſchen Nachbarn müßten dem großen Werk der deutſchen Reform wegen der davon abhängenden Reorganiſation Euro- pa’s frei von allem Eigennutze und insbeſondere frei von Vergrößerungs- ſucht, aufrichtig und uneigennützig ihre volle Unterſtützung widmen. Leider dürfen wir aber dieſer Hoffnung uns noch nicht ergeben. Die gegenwär- tig in Frankreich herrſchende Parthei, geſtützt auf die ganze Maſſe der Reichen und Wohlhabenden, will um jeden Preiß den Frieden erhalten. Ihr iſt es nur um kleinliche materielle Intereſſen zu thun, ſie begreift das wahre Bedürfniß Europa’s ſo wenig, als die Aufgabe des Jahr- hunderts. Sie iſt insbeſondere völlig unfähig, ſich zu der Idee zu er- heben, daß Frankreich die Reform Deutſchlands aus höheren politiſchen Rückſichten völlig eigennützig unterſtützen müſſe. Könnte daher dieſe Parthei auch zu einer Unterſtützung der Bewegung in Deutſchland ſich entſchließen, ſo würde ſie das linke Rheinufer als den Preiß ihrer Hülfe fordern. Außer den Carliſten, welche hier in keine Erwägung gezogen werden können, kämpft gegen die herrſchende Parthei in Frankreich eine zweifache Oppoſition, nämlich die Propaganda und die Republicaner. Letztere ſind aber größtentheils mittellos, daher von den Wahlen und von dem Antheile an der Repräſentation völlig ausgeſchloſſen. Auf fried- lichem Wege kann deßhalb dieſe Parthei niemals an die Spitze der Ge- ſchäfte treten. Würde demnach eine Veränderung des Regierungsſyſtems in Frankreich von der Oppoſition auch durchgeſetzt, ſo geſchähe dieß höch- ſtens im Sinne der Propaganda. Dieſe Parthei will die Freunde der Freiheit in andern Ländern allerdings thätig unterſtützen, allein ſie fordert als Preiß der Hülfe ebenfalls das linke Rheinufer. Nur die Republikaner, insbeſondere die Geſellſchaft der Volksfreunde (Société des amis du peuple) haben reinere patriotiſche Grundſätze und legen auf die Eroberung der Rhein- grenze einen geringen Werth oder verlangen ſie gar nicht. Allein ohne eine Staatsumwälzung, wozu noch lange keine Ausſicht gegeben iſt,

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Zitationshilfe: Wirth, Johann Georg August: Das Nationalfest der Deutschen zu Hambach. Heft 1. Neustadt, 1832, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wirth_nationalfest01_1832/52>, abgerufen am 27.11.2024.