Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 2. Dresden, 1764.II Theil. Von der Griechischen Kunst der Regel und dem guten Geschmacke entgegen. Es fieng derselbe unter-dessen schon unter dem Augustus an in der Schreibart zu fallen, und scheint sich sonderlich durch die Gefälligkeit gegen den Mäcenas, welcher das Ge- zierte, das Spielende und das Sanfte der Schreibart liebte 1), eingeschli- chen zu haben. Ueberhaupt sagt Tacitus, daß sich nach der Schlacht bey Actium keine großen Geister mehr hervorgethan haben. Jn gemalten Ver- zierungen war man damals schon auf einen übeln Geschmack gefallen, wie sich Vitruvius beklagt 2), daß man dem Entzwecke der Malerey entgegen, welches die Wahrheit oder Wahrscheinlichkeit sey, Dinge wider die Natur und gesunde Vernunft vorgestellet, und Palläste auf Stäbe von Rohr und auf Leuchter gebauet, die unförmlichen, langen und spillenmäßigen Säulen, wie der Stab oder der Schaft der Leuchter aus dem Alterthume ist 3), da- durch vorzustellen. Einige Stücke von Jdealischen Gebäuden unter den Herculanischen Gemälden, welche vielleicht um eben die Zeit, oder doch nicht lange hernach, gemachet sind, können diesen verderbten Geschmack beweisen. Die Säulen an denselben haben das doppelte ihrer gehörigen Länge, und einige sind schon damals wider den Grund einer tragenden Stütze gedrehet: die Verzierungen an denselben sind ungereimt und barba- risch. Von einer ähnlichen ausschweifenden Art waren die Säulen einer gemalten Architectur auf einer Wand vierzig Palme lang, in dem Pallaste der Kaiser, in der Villa Farnese, und in den Bädern des Titus 4). Unter dem Tiberius. Von Künstlern, welche sich unter der Regierung der nächsten Nach- vinzen, 1) Sueton. Aug. c. 86. 2) L. 7. c. 5. 3) Pitture d' Ercol. Tav. 39. 4) Hiervon habe ich eine Zeichnung von dem berühmten Johann von Udine, des Raphaels Schüler, gesehen. 5) Suet. Tiber. c. 47.
II Theil. Von der Griechiſchen Kunſt der Regel und dem guten Geſchmacke entgegen. Es fieng derſelbe unter-deſſen ſchon unter dem Auguſtus an in der Schreibart zu fallen, und ſcheint ſich ſonderlich durch die Gefaͤlligkeit gegen den Maͤcenas, welcher das Ge- zierte, das Spielende und das Sanfte der Schreibart liebte 1), eingeſchli- chen zu haben. Ueberhaupt ſagt Tacitus, daß ſich nach der Schlacht bey Actium keine großen Geiſter mehr hervorgethan haben. Jn gemalten Ver- zierungen war man damals ſchon auf einen uͤbeln Geſchmack gefallen, wie ſich Vitruvius beklagt 2), daß man dem Entzwecke der Malerey entgegen, welches die Wahrheit oder Wahrſcheinlichkeit ſey, Dinge wider die Natur und geſunde Vernunft vorgeſtellet, und Pallaͤſte auf Staͤbe von Rohr und auf Leuchter gebauet, die unfoͤrmlichen, langen und ſpillenmaͤßigen Saͤulen, wie der Stab oder der Schaft der Leuchter aus dem Alterthume iſt 3), da- durch vorzuſtellen. Einige Stuͤcke von Jdealiſchen Gebaͤuden unter den Herculaniſchen Gemaͤlden, welche vielleicht um eben die Zeit, oder doch nicht lange hernach, gemachet ſind, koͤnnen dieſen verderbten Geſchmack beweiſen. Die Saͤulen an denſelben haben das doppelte ihrer gehoͤrigen Laͤnge, und einige ſind ſchon damals wider den Grund einer tragenden Stuͤtze gedrehet: die Verzierungen an denſelben ſind ungereimt und barba- riſch. Von einer aͤhnlichen ausſchweifenden Art waren die Saͤulen einer gemalten Architectur auf einer Wand vierzig Palme lang, in dem Pallaſte der Kaiſer, in der Villa Farneſe, und in den Baͤdern des Titus 4). Unter dem Tiberius. Von Kuͤnſtlern, welche ſich unter der Regierung der naͤchſten Nach- vinzen, 1) Sueton. Aug. c. 86. 2) L. 7. c. 5. 3) Pitture d’ Ercol. Tav. 39. 4) Hiervon habe ich eine Zeichnung von dem beruͤhmten Johann von Udine, des Raphaels Schuͤler, geſehen. 5) Suet. Tiber. c. 47.
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II Theil. Von der Griechiſchen Kunſt
der Regel und dem guten Geſchmacke entgegen. Es fieng derſelbe unter-
deſſen ſchon unter dem Auguſtus an in der Schreibart zu fallen, und ſcheint
ſich ſonderlich durch die Gefaͤlligkeit gegen den Maͤcenas, welcher das Ge-
zierte, das Spielende und das Sanfte der Schreibart liebte 1), eingeſchli-
chen zu haben. Ueberhaupt ſagt Tacitus, daß ſich nach der Schlacht bey
Actium keine großen Geiſter mehr hervorgethan haben. Jn gemalten Ver-
zierungen war man damals ſchon auf einen uͤbeln Geſchmack gefallen, wie
ſich Vitruvius beklagt 2), daß man dem Entzwecke der Malerey entgegen,
welches die Wahrheit oder Wahrſcheinlichkeit ſey, Dinge wider die Natur
und geſunde Vernunft vorgeſtellet, und Pallaͤſte auf Staͤbe von Rohr und
auf Leuchter gebauet, die unfoͤrmlichen, langen und ſpillenmaͤßigen Saͤulen,
wie der Stab oder der Schaft der Leuchter aus dem Alterthume iſt 3), da-
durch vorzuſtellen. Einige Stuͤcke von Jdealiſchen Gebaͤuden unter den
Herculaniſchen Gemaͤlden, welche vielleicht um eben die Zeit, oder doch
nicht lange hernach, gemachet ſind, koͤnnen dieſen verderbten Geſchmack
beweiſen. Die Saͤulen an denſelben haben das doppelte ihrer gehoͤrigen
Laͤnge, und einige ſind ſchon damals wider den Grund einer tragenden
Stuͤtze gedrehet: die Verzierungen an denſelben ſind ungereimt und barba-
riſch. Von einer aͤhnlichen ausſchweifenden Art waren die Saͤulen einer
gemalten Architectur auf einer Wand vierzig Palme lang, in dem Pallaſte
der Kaiſer, in der Villa Farneſe, und in den Baͤdern des Titus 4).
Von Kuͤnſtlern, welche ſich unter der Regierung der naͤchſten Nach-
folger beruͤhmt gemacht haben, findet ſich kaum einige Meldung ihres Na-
mens. Unter dem Tiberius, welcher wenig bauen ließ 5), wuͤrden die
Kuͤnſtler auch ſehr ſchlecht geſtanden ſeyn, und da er in allen reichen Pro-
vinzen,
1) Sueton. Aug. c. 86.
2) L. 7. c. 5.
3) Pitture d’ Ercol. Tav. 39.
4) Hiervon habe ich eine Zeichnung von dem beruͤhmten Johann von Udine, des Raphaels
Schuͤler, geſehen.
5) Suet. Tiber. c. 47.
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