Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 2. Dresden, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

II Theil. Von der Kunst, nach den äußern Umständen
hatte sich Aristion, ein Epicurischer Philosoph, zum Herrn aufgeworfen,
und behauptete sich in der angemaßten Gewalt durch die auswärtige Macht,
von welcher er unterstützet, alle Römischgesinnete Bürger ermorden ließ 1).
Da nun zu Anfange besagten Krieges Archelaus vom Sylla in Athen be-
lagert wurde, gerieth die Stadt in die äußerste Noth; der Mangel an Le-
bensmitteln war so groß, daß man endlich Felle und Häute der Thiere fraß;
ja man fand sogar nach der Uebergabe Menschenfleisch 2). Sylla ließ den
ganzen Pireäischen Hafen, nebst dem Arsenale und allen andern öffentlichen
Gebäuden zum Seewesen, gänzlich zerstören: Athen war, wie die Alten
sagen, wie ein hingeworfener todter Körper, gegen das vorige Athen zu
vergleichen. Sylla nahm aus dem Tempel des Olympischen Jupiters so-
gar die Säulen weg 3), und ließ dieselben, nebst der Bibliothek des Apel-
lion, nach Rom führen 4): es werden auch ohne Zweifel viele Statuen
fortgeführet worden seyn, da er aus Alalcomene eine Pallas nach Rom
schickete 5). Das Unglück dieser Stadt setzte alle Griechen in Furcht und
Schrecken, und dieses war auch die Absicht des Sylla. Es geschah da-
mals in Griechenland, was noch niemals geschehen war, daß, außer dem
Laufe der Pferde, keines von andern feyerlichen Olympischen Spielen zu
Elis gehalten wurde 6): denn diese wurden damals von dem Sylla nach
Rom verleget. Es war die hundert und fünf und siebenzigste Olympias.
Leander Alberti redet von der obersten Hälfte einer Statue des Sylla, wel-
che zu Casoli in der Diöces von Volterra in Toscana war 7).

Jn den übrigen Gegenden von Griechenland waren allenthalben trau-
rige Spuren der Verstörung. Theben, die berühmte Stadt, die sich nach
ihrer Verheerung durch den Alexander wieder erholet hatte, war, außer

einigen
1) Appian. Mithrad. p. 124. l. 5.
2) Ibid. p. 127. l. 27. 39.
3) Plin. L. 36. c. 5.
4) Strab. L. 13. p. 907. l. 10.
5) Pausan. L. 9. p. 777.
6) Appian. Bell. civ. L. 1. p. 198. l. 33.
7) Descr. d' Ital. p. 51. a.

II Theil. Von der Kunſt, nach den aͤußern Umſtaͤnden
hatte ſich Ariſtion, ein Epicuriſcher Philoſoph, zum Herrn aufgeworfen,
und behauptete ſich in der angemaßten Gewalt durch die auswaͤrtige Macht,
von welcher er unterſtuͤtzet, alle Roͤmiſchgeſinnete Buͤrger ermorden ließ 1).
Da nun zu Anfange beſagten Krieges Archelaus vom Sylla in Athen be-
lagert wurde, gerieth die Stadt in die aͤußerſte Noth; der Mangel an Le-
bensmitteln war ſo groß, daß man endlich Felle und Haͤute der Thiere fraß;
ja man fand ſogar nach der Uebergabe Menſchenfleiſch 2). Sylla ließ den
ganzen Pireaͤiſchen Hafen, nebſt dem Arſenale und allen andern oͤffentlichen
Gebaͤuden zum Seeweſen, gaͤnzlich zerſtoͤren: Athen war, wie die Alten
ſagen, wie ein hingeworfener todter Koͤrper, gegen das vorige Athen zu
vergleichen. Sylla nahm aus dem Tempel des Olympiſchen Jupiters ſo-
gar die Saͤulen weg 3), und ließ dieſelben, nebſt der Bibliothek des Apel-
lion, nach Rom fuͤhren 4): es werden auch ohne Zweifel viele Statuen
fortgefuͤhret worden ſeyn, da er aus Alalcomene eine Pallas nach Rom
ſchickete 5). Das Ungluͤck dieſer Stadt ſetzte alle Griechen in Furcht und
Schrecken, und dieſes war auch die Abſicht des Sylla. Es geſchah da-
mals in Griechenland, was noch niemals geſchehen war, daß, außer dem
Laufe der Pferde, keines von andern feyerlichen Olympiſchen Spielen zu
Elis gehalten wurde 6): denn dieſe wurden damals von dem Sylla nach
Rom verleget. Es war die hundert und fuͤnf und ſiebenzigſte Olympias.
Leander Alberti redet von der oberſten Haͤlfte einer Statue des Sylla, wel-
che zu Caſoli in der Dioͤces von Volterra in Toſcana war 7).

Jn den uͤbrigen Gegenden von Griechenland waren allenthalben trau-
rige Spuren der Verſtoͤrung. Theben, die beruͤhmte Stadt, die ſich nach
ihrer Verheerung durch den Alexander wieder erholet hatte, war, außer

einigen
1) Appian. Mithrad. p. 124. l. 5.
2) Ibid. p. 127. l. 27. 39.
3) Plin. L. 36. c. 5.
4) Strab. L. 13. p. 907. l. 10.
5) Pauſan. L. 9. p. 777.
6) Appian. Bell. civ. L. 1. p. 198. l. 33.
7) Deſcr. d’ Ital. p. 51. a.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0068" n="380"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">II</hi> Theil. Von der Kun&#x017F;t, nach den a&#x0364;ußern Um&#x017F;ta&#x0364;nden</hi></fw><lb/>
hatte &#x017F;ich Ari&#x017F;tion, ein Epicuri&#x017F;cher Philo&#x017F;oph, zum Herrn aufgeworfen,<lb/>
und behauptete &#x017F;ich in der angemaßten Gewalt durch die auswa&#x0364;rtige Macht,<lb/>
von welcher er unter&#x017F;tu&#x0364;tzet, alle Ro&#x0364;mi&#x017F;chge&#x017F;innete Bu&#x0364;rger ermorden ließ <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">Appian. Mithrad. p. 124. l.</hi> 5.</note>.<lb/>
Da nun zu Anfange be&#x017F;agten Krieges Archelaus vom Sylla in Athen be-<lb/>
lagert wurde, gerieth die Stadt in die a&#x0364;ußer&#x017F;te Noth; der Mangel an Le-<lb/>
bensmitteln war &#x017F;o groß, daß man endlich Felle und Ha&#x0364;ute der Thiere fraß;<lb/>
ja man fand &#x017F;ogar nach der Uebergabe Men&#x017F;chenflei&#x017F;ch <note place="foot" n="2)"><hi rendition="#aq">Ibid. p. 127. l.</hi> 27. 39.</note>. Sylla ließ den<lb/>
ganzen Pirea&#x0364;i&#x017F;chen Hafen, neb&#x017F;t dem Ar&#x017F;enale und allen andern o&#x0364;ffentlichen<lb/>
Geba&#x0364;uden zum Seewe&#x017F;en, ga&#x0364;nzlich zer&#x017F;to&#x0364;ren: Athen war, wie die Alten<lb/>
&#x017F;agen, wie ein hingeworfener todter Ko&#x0364;rper, gegen das vorige Athen zu<lb/>
vergleichen. Sylla nahm aus dem Tempel des Olympi&#x017F;chen Jupiters &#x017F;o-<lb/>
gar die Sa&#x0364;ulen weg <note place="foot" n="3)"><hi rendition="#aq">Plin. L. 36. c.</hi> 5.</note>, und ließ die&#x017F;elben, neb&#x017F;t der Bibliothek des Apel-<lb/>
lion, nach Rom fu&#x0364;hren <note place="foot" n="4)"><hi rendition="#aq">Strab. L. 13. p. 907. l.</hi> 10.</note>: es werden auch ohne Zweifel viele Statuen<lb/>
fortgefu&#x0364;hret worden &#x017F;eyn, da er aus Alalcomene eine Pallas nach Rom<lb/>
&#x017F;chickete <note place="foot" n="5)"><hi rendition="#aq">Pau&#x017F;an. L. 9. p.</hi> 777.</note>. Das Unglu&#x0364;ck die&#x017F;er Stadt &#x017F;etzte alle Griechen in Furcht und<lb/>
Schrecken, und die&#x017F;es war auch die Ab&#x017F;icht des Sylla. Es ge&#x017F;chah da-<lb/>
mals in Griechenland, was noch niemals ge&#x017F;chehen war, daß, außer dem<lb/>
Laufe der Pferde, keines von andern feyerlichen Olympi&#x017F;chen Spielen zu<lb/>
Elis gehalten wurde <note place="foot" n="6)"><hi rendition="#aq">Appian. Bell. civ. L. 1. p. 198. l.</hi> 33.</note>: denn die&#x017F;e wurden damals von dem Sylla nach<lb/>
Rom verleget. Es war die hundert und fu&#x0364;nf und &#x017F;iebenzig&#x017F;te Olympias.<lb/>
Leander Alberti redet von der ober&#x017F;ten Ha&#x0364;lfte einer Statue des Sylla, wel-<lb/>
che zu Ca&#x017F;oli in der Dio&#x0364;ces von Volterra in To&#x017F;cana war <note place="foot" n="7)"><hi rendition="#aq">De&#x017F;cr. d&#x2019; Ital. p. 51. a.</hi></note>.</p><lb/>
          <p>Jn den u&#x0364;brigen Gegenden von Griechenland waren allenthalben trau-<lb/>
rige Spuren der Ver&#x017F;to&#x0364;rung. Theben, die beru&#x0364;hmte Stadt, die &#x017F;ich nach<lb/>
ihrer Verheerung durch den Alexander wieder erholet hatte, war, außer<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">einigen</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[380/0068] II Theil. Von der Kunſt, nach den aͤußern Umſtaͤnden hatte ſich Ariſtion, ein Epicuriſcher Philoſoph, zum Herrn aufgeworfen, und behauptete ſich in der angemaßten Gewalt durch die auswaͤrtige Macht, von welcher er unterſtuͤtzet, alle Roͤmiſchgeſinnete Buͤrger ermorden ließ 1). Da nun zu Anfange beſagten Krieges Archelaus vom Sylla in Athen be- lagert wurde, gerieth die Stadt in die aͤußerſte Noth; der Mangel an Le- bensmitteln war ſo groß, daß man endlich Felle und Haͤute der Thiere fraß; ja man fand ſogar nach der Uebergabe Menſchenfleiſch 2). Sylla ließ den ganzen Pireaͤiſchen Hafen, nebſt dem Arſenale und allen andern oͤffentlichen Gebaͤuden zum Seeweſen, gaͤnzlich zerſtoͤren: Athen war, wie die Alten ſagen, wie ein hingeworfener todter Koͤrper, gegen das vorige Athen zu vergleichen. Sylla nahm aus dem Tempel des Olympiſchen Jupiters ſo- gar die Saͤulen weg 3), und ließ dieſelben, nebſt der Bibliothek des Apel- lion, nach Rom fuͤhren 4): es werden auch ohne Zweifel viele Statuen fortgefuͤhret worden ſeyn, da er aus Alalcomene eine Pallas nach Rom ſchickete 5). Das Ungluͤck dieſer Stadt ſetzte alle Griechen in Furcht und Schrecken, und dieſes war auch die Abſicht des Sylla. Es geſchah da- mals in Griechenland, was noch niemals geſchehen war, daß, außer dem Laufe der Pferde, keines von andern feyerlichen Olympiſchen Spielen zu Elis gehalten wurde 6): denn dieſe wurden damals von dem Sylla nach Rom verleget. Es war die hundert und fuͤnf und ſiebenzigſte Olympias. Leander Alberti redet von der oberſten Haͤlfte einer Statue des Sylla, wel- che zu Caſoli in der Dioͤces von Volterra in Toſcana war 7). Jn den uͤbrigen Gegenden von Griechenland waren allenthalben trau- rige Spuren der Verſtoͤrung. Theben, die beruͤhmte Stadt, die ſich nach ihrer Verheerung durch den Alexander wieder erholet hatte, war, außer einigen 1) Appian. Mithrad. p. 124. l. 5. 2) Ibid. p. 127. l. 27. 39. 3) Plin. L. 36. c. 5. 4) Strab. L. 13. p. 907. l. 10. 5) Pauſan. L. 9. p. 777. 6) Appian. Bell. civ. L. 1. p. 198. l. 33. 7) Deſcr. d’ Ital. p. 51. a.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte02_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte02_1764/68
Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 2. Dresden, 1764, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte02_1764/68>, abgerufen am 22.11.2024.